Immer an die Leser denken

Journalismus Die Debatte über die Zukunft der Medien: Vermittelmäßigung und Mäzenatentum – Blogger ed2murrow antwortet Jakob Augstein

Es ist so gekommen, wie ich befürchtet habe: „Öffentlichkeit 2.0“ befasst sich ausschließlich mit der Autorenschaft, zu der Sie naturgemäß auch Blog(g)er zählen. Sie stellen dabei den Krieg „Jeder gegen Jeden“ mit den diversen Deklarationen samt Fundstellen treffend ins Licht. Aber was ist mit der Leserschaft, ist sie nicht auch oder gerade DIE Öffentlichkeit? Geht man davon aus, dass in Deutschland nicht einmal eine Million Menschen regelmäßig in einem Blog schreiben und vergleicht man diese Zahl mit denen der IVW, wonach Tageszeitungen in Deutschland gesamt eine Auflage von 23,25 Mio und Wochenzeitungen eine von 1,91 Mio für das dritte Quartal 2009, Online-Medien hingegen eine Nutzung, gemessen in PageImpressions, von 55 Milliarden (!) für Oktober 2009 ausweisen (die Analyse lässt sich im übrigen auch auf den user-generierten Content verfeinern, Freitag inkl.), wird zahlenmäßig belegt, was ohnehin eine Selbstverständlichkeit ist: Man schreibt nicht in den leeren Raum, sondern um gelesen zu werden. Was darf sich also der Leser erwarten und womit muss er rechnen?

An einiges hat er sich bereits gewöhnen dürfen. Vor etlichen Jahren wurde dem Leser versprochen, er würde näher an die Quelle der Nachrichten (Fakten, Fakten, Fakten) herangeführt werden, er könne aktiv partizipieren, die „größte Community im deutschsprachigen Raum“ war die Folge. Als das alles zu teuer wurde, nicht nur wegen der Gestehungs- sondern vor allem wegen der laufenden Kosten und der nicht realisierten Werbeeinnahmen, wurde alles still und heimlich eingedampft. Die „Rest“-Community von heute wird von Usern verwaltet, die seitens der Redaktion mit „besonderen Rechten“ ausgestattet sind, vor allem dem des redaktionellen Eingriffs in Beiträge. Vorkenntnisse irgendwelcher Art sind dafür nicht erforderlich.

Gipfel der Regression ist die mittlerweile schon berüchtigte „Blauverschiebung“ (© by User Tycho de Brahe), bei ZEIT-online, wo der Community-Ansatz seine höchste Vollendung in einer schwer aufzufindenden Leserbrief-Ecke gefunden hat. Diese Entwicklung im online-Bereich, für die die obigen nur als Beispiele unter vielen stehen, hat durchaus ihr Pendant im Kiosk um die Ecke. Schon vor einigen Jahren, also weit vor der sog. Wirtschaftskrise, begannen in Spezialmagazinen, von Technik bis hin zur Lebensart, die Qualitätsmaßstäbe zu sinken. Der Spartenjournalismus war der erste, der lernen musste, dass Wachstum endlich ist. Schlechteres Papier, miesere Fotos, von der Qualität der Artikel ganz zu schweigen, gaben bereits da dem Leser beredtes Zeugnis davon, dass irgendwas nicht stimmt. Heute liest man in den üblichen Tagespublikationen (gleich ob paper oder online) die Artikel, die früher eine ganze Gattung ernährten. Nur sind solche Texte in vielen Fällen entweder guten Autoren abgetrotzt, die zunächst in die Scheinselbstständigkeit geschickt wurden und denen man dann auch noch die Zweitverwertung außerhalb der Fachpublikation vorenthalten hat. Oder sie sind gleich solchen überlassen, die ihr Wissen aus „Copy Paste“ beziehen. Und das sind keine Blog(g)er, sondern schlichte Gemüter mit journalistischer Grundausbildung und einem befristeten Vertrag – bereits jetzt der Idealtypus des Online-Journalisten.

Mag es den Leser etwa einer SZ oder ZEIT verwundern, dass ihm dort mittlerweile die Vorzüge von „Mercedes S vs. BMW 7 vs. Porsche Panamera 4S“ um die Ohren gewedelt werden, die sich als schlecht kaschierte Werbeinfos präsentieren?

Die Vermittelmäßigung droht nun auch das Kerngeschäft zu erfassen, das der Nachrichten und der Meinungen. Die im Artikel zitierte Bilanz des Springerverlags ist die von 2008. Weltweit rechnet man für 2009 mit einem Einbruch bei den Werbeeinnahmen von bis zu 35%. Ob sie sich je erholen werden, steht in den Sternen. Nicht umsonst sind einige der verlagsbasierten Diskussionen just zu der Zeit begonnen worden, als die Halbjahreszahlen auf den Tischen der Vorstände ankamen. Schlecht geht es derzeit allen, nicht nur dem Papier. Zoomer und netzeitung haben bereits dicht gemacht, andere werden folgen. Wie schlecht muss es dann erst denen gehen, die auf zwei Hochzeiten gleichzeitig tanzen, für die gleiche Nachricht also gleich zwei Strukturen und evtl. sogar gesonderte Aufbereitungen bereit halten? Wie schlecht wird es dann erst für den Leser werden?

Systemfrage des Journalismus

Wir sind allerdings auch schon da angekommen, was ich als „selbstgestellte Falle des Verdrängungswettbewerbs“ bezeichne: Bei der Systemfrage. Der Journalismus insgesamt, also vom Verlag bis hin zum HiWi, suchte in den 90er Jahren händeringend nach einem Ausweg für das Problem des Überangebotes an medialer Information. Das Netz schien da genau richtig zu sein, etwas Neues, faszinierendes, das man gleich mit einer neuen Berufsgruppe besetzen konnte, dem sog. „Online-Journalisten“. In der Tat absorbierte dieser „neue Markt“ ganz schnell anderweitig überflüssig gewordene Ressourcen, baute aber fatalerweise gleichzeitig eine nun als Konkurrenz empfundene Intelligenz im Netz auf: Die des Lesers, der sich hierdurch nicht nur eine Meinung bildete, sondern auch anfing, sie teilweise sehr schlau und auf seine Weise professionell kund zu tun. Nun sitzt der Journalismus zwischen allen Stühlen: Journalisten selbst, weil sie sich in angeblich heterogene künstliche Berufsgruppen haben aufteilen lassen; Verlage, weil einerseits alle Journalisten zusammen anfangen, aufmüpfig zu werden und andererseits weil die Konkurrenz nicht schläft; Alle zusammen gegen den Leser-Autor und dieser gegen sich selbst und die Zeit, die er aufwenden muss, um sich Zugriffe zu sichern. Da erscheint der Krake Google als Feindbild gerade recht, um trefflich von den selbst eingebrockten Problemen abzulenken: Der hat Geld wie Heu, scheint irgendwie illegal zu handeln und ist überhaupt ganz ganz böse, weil er Gesetze schlau nutzt. Wo aber wirklich ansetzen, wo diesen Teufelskreis nun durchbrechen?

In einem anderen Beitrag habe ich auf „L’Espresso“ in Italien verwiesen. Und auf das Mäzenatentum. Beides ist miteinander durch die Figur von Adriano Olivetti verbunden. Er hatte eine Vision: Ein Unternehmen sei nicht nur eine Produktionsstätte, „sondern auch der Hauptmotor für die ökonomische und soziale Entwicklung und trage somit eine Verantwortung gegenüber der Gesellschaft und der eigenen Umgebung“. „Corporate Design“, bevor der Begriff überhaupt entstanden war, Urbanistik als Verzahnung von Industrie und Lebensraum, damit einhergehend Architektur und natürlich die geistige Nahrung des Journalismus waren Gebiete, die von ihm nachhaltig geprägt wurden. Tiziano Terzani, der auf der legendären „Lettera 22“ sogar seine Doktorarbeit in Jurisprudenz (!) schrieb, und hierzulande als einer der großen Auslandskorrespondenten des „Spiegel“ bekannt wurde, meinte dazu rückblickend: „Die größten italienischen Intellektuellen kamen dorthin, nicht etwa von einem kleinen Gehalt angezogen, sondern wegen der Überzeugung zu einem großen Entwurf beizutragen.“ Auch wenn die Marke „Olivetti“ mittlerweile zersplittert, eingedampft und überwiegend abgewickelt ist, das vom Gründervater ins Leben gerufene Magazin „L’Espresso“ gibt es heute noch. Es war die publizistische Wiege von Eugenio Scalfari, dem Doyen des italienischen Journalismus, der seinerseits die Tageszeitung „La Repubblica“ gründete. Beide zusammen sind heute die einzigen veritablen öffentlichen Stimmen wider die geballte Medienmacht des Tycoons Berlusconi. Als täglicher Leser bieten nur sie mir wirklich fundierte Nachrichten über das, was jenseits des Berlusconismo liegt.

Als Olivetti sich von „L’Espresso“ zurückzog, verkaufte er seine Anteile nicht etwa, sondern schenkte sie Scalfari und dem Mitherausgeber Caracciolo. Man wird einwenden können, in der Zeit war das einfacher, nach dem Krieg gab es kaum Konkurrenz. Ich sage: Im Gegenteil, an allen Ecken und Enden sprossen Zeitungen und Magazine, ähnlich wie in der von User Streifzug beschriebenen Zeit der franz. Revolution und das mit einem europäischen Intellekt, der zu mehr als nur zur Hälfte auf den Feldern, in den Lagern und in Umerziehungsanstalten geblieben war. Die Fernwirkung dieses Mannes sollte zu denken geben und gleichzeitig die Provokation erlauben: Muss ein Dietmar Hopp immer nur in einen Fußballclub investieren oder solche wie die Guggenheims nur in Museen?

Vielleicht bin ich nur zu verwöhnt und zu privilegiert, mich in mehreren Sprachen informieren zu können, nicht sklavisch und gezwungenermaßen am Tellerrand einer nationalen (so leid es mir tut, das offenbart sich mir immer wieder, auch hier) Optik festkleben zu müssen. Aber ich erlaube mir den Gedanken, dass „Globalisierung“ nicht nur etwas bedrohliches hat, sondern die Chance birgt, eine neue Stufe auch im Journalismus zu betreten. Das würde ich gerne miterleben dürfen: Dass mir aus Indien nicht nur der umgekippte Bus oder der Zugunfall gezeigt wird, sondern die Unternehmensgründungen wie auch die Philosophie, die dazu geführt hat; Dass Australien nicht nur abseits jeden Verkehrs liegt, sondern dank (trotz?) seiner gnadenlos kosmopolitischen Urbanität einem Murdoch den Aufstieg erst ermöglichte; Warum die immer wieder scheel angeschauten USA die Stellung haben, die sie haben, und ob das auch damit zu tun haben könnte, dass dort „Think Big“ nicht nur für Werbebranchen gilt, sondern, trotz Bible Belt, ein tief verwurzelter Konsens ist?

In Zeiten der Krise, sagen echte Haie, muss man antizyklisch denken und handeln. Einen entfernten Verwandten solcher Knorpelfische haben Sie, geehrter Herr Augstein, bereits im Bassin. In diesen Zeiten der Selbstkastration sollten Sie ihn um des lieben Symbols willen Kane nennen. Und selbst ein bißchen mehr Citizen sein, das schulden Sie Ihrer Leserschaft.


Bei diesem Text handelt es sich um die leicht gekürzte und wenig bearbeitete Fassung eines Kommentars, den Blogger ed2murrow auf einen Artikel von Jakob Augstein abgegeben hat. Wir fanden diesen Kommentar so wichtig, dass wir daraus einen eigenen Artikel gemacht haben.

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