Immer die Falschen

Gastkommentar Dresden hat es mit Putin

In seiner Bedeutung ist der Sächsische Dankorden der Goldenen Henne vergleichbar. Dieses Bronzehuhn können so genannte Prominente, die der Stimmungsmache des auflagenstarken ostdeutschen Kampf- und Wochenblatts in westdeutschen Händen, der Super-Illu, etwas zu verdanken haben (2008 waren das Inka Bause, Udo Jürgens und Horst Köhler), nicht ablehnen.

Der Sächsische Dankorden vergilt Prominenten gleichen Kalibers ihr diszipliniertes Erscheinen auf dem Dresdener Semper-Opernball. Der ist in Tateinheit mit dem Dresdener Striezelmarkt der Kristallisationspunkt Dresdener Bürgerstolzes - eine, um es mit dem MDR zu sagen, "rauschende Nacht" mit "hochkarätigen Gästen vor traumhafter Kulisse und jeder Menge Ballgeflüster dahinter". Als Anreiz zum Kurz-Auftritt auf dem Opernball reicht offenbar der Materialwert des Ordens, ein in massives Gold getriebenes Monstrum, genauer: ein dickes Pferd nebst Reiter und Lanze, nachgebildet einem allegorischen Motiv, das im Grünen Gewölbe lagert. Dieses schöne Stück wollte Wladimir Putin wahrscheinlich gern besitzen, um es fortan zum Jolka-Feste zu tragen.

Was sonst sollte ihn nach Dresden ziehen? Politische Motive waren es kaum. Zwar tobte gerade der "Gaskrieg" zwischen Russland und der Ukraine, und die Deutschen begannen, den Kältetod zu fürchten. Putin gab lustlos ein Statement dazu ab, das hätte er auch von zu Hause aus machen können. Vielleicht wollte er mit seiner Teilnahme am Opernball einmal Gorbatschow zuvorkommen, der ansonsten als russischer Tanzbär am Nasenring durch hiesige Manegen gezogen wird.

Vielleicht zogen Putin aber auch nostalgische Gefühle. Er kennt in Dresden jede Ecke - wer, wenn nicht er. Er war hier einst Resident des KGB und hat gewiss noch Freundinnen und Freunde in der Stadt. Als er kürzlich da war, verschwand er in einer Imbissbude, in der er dereinst Stammgast war, um dort die Boulevardzeitung zu lesen.

Mehr wäre zum Thema kaum zu sagen, würden nicht die Dresdener ihren albernen Opernball so schrecklich ernst und den zugehörigen Karnevalsorden so verdammt wichtig nehmen. Und könnte bei dieser Gelegenheit nicht ausreichend Empörungspotential mobilisiert werden, das die moralische Überlegenheit der (seit spätestens 1990) "echten" ostdeutschen Demokraten über die "unechten", weil schon immer sehr bösen, wenn sich auch gelegentlich als "lupenrein" gerierenden ostdeutschen Demokraten beweist. Putin - das ist doch sozusagen der Mielke, der es auf den Zaren-Thron geschafft hat! Weiter, als Stolpe, de Maizière oder Sachsens Blockflöte Tillich je zu träumen wagten.

Nicht nur Mitglieder des Operball-Vereins - Gastronomen und Friseure - äußerten Abscheu beziehungsweise fürchteten Einnahmeverluste. Der lebenslange Revolutionär der ersten Stunde, Werner Schulz, war "entsetzt". Der opferwunde Pfarrer Eggert forderte Putin auf, bei der Entgegennahme des Ordens stumm darüber zu reflektieren, dass er selbst als KGB-Oberst nie und nimmer das Geld gehabt hätte, den Opernball zu besuchen, wenn nicht die friedliche Revolution mit Eggert an der Spitze gesiegt hätte. Allerdings, raunte Eggert, läge heute das Opernball-Bürgertum wahrscheinlich im Massengrab, wäre der Russe nicht in den Kasernen geblieben. Der CDU-Hinterbänkler Arnold Vaatz schließlich kennt einen, der gesehen haben will, wie Putin im Herbst 1989 die Kalaschnikow "durchgezogen" hat, um ostdeutsche Revolutionäre durch Erschießen daran zu hindern, die KGB-Residenz zu betreten. Ja, die Welt ist schlecht. Die schönsten Orden kriegen immer die Falschen!

Mathias Wedel ist Buchautor und Journalist

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden