Immer hart am Sexus

Montage Jürgen Ploog hat mit seinen Textarbeiten den Beat und den Pop in die hiesige Literatur gebracht. Nun wird er 80 und ist neu zu entdecken
Ausgabe 02/2015

Schriftsteller behaupten gern, sie hätten schon als Kind nichts lieber getan, als zu lesen. Das beflügelt den Künstlermythos, das gefällt dem Publikum und der Kritik. Jürgen Ploog hat sich für den institutionalisierten Literaturbetrieb sein Leben lang so viel interessiert wie umgekehrt der Literaturbetrieb für ihn – praktisch gar nicht. Über sein Aufwachsen in München sagt er: „Ich habe nie unter der Bettdecke Bücher verschlungen. Nach dem Krieg war keine Zeit fürs Lesen.“

Diesen Freitag, am 9. Januar, wird er 80 Jahre alt: Ploog, der Gebrauchsgrafiker und langjährige Lufthansa-Pilot und ganz ohne Zweifel einer der einflussreichsten sogenannten Subliteraten des deutschen Sprachraums. Ohne seine Textexperimente, ohne die Waghalsigkeit seiner Schriften wäre das, was hier und heute gemeinhin Popliteratur genannt wird, undenkbar. Eine ganz neue Art, die Welt zu betrachten, ihre Fassaden zu demontieren, auf US-amerikanisch abgebrühte Art, der souveräne Umgang mit medialen, politischen Flach- und Falschheiten: Das ist Ploogs Geschäft.

Die Cut-up-Methode

Neben Carl Weissner (1940 – 2012) ist Ploog der deutschsprachige Pionier der Cut-up-Methode, der „Schnittliteratur“, die 1959 vom US-Künstler Brion Gysin erfunden worden war. Beat-Literat William S. Burroughs, zu dessen Komplizen Ploog seit den 60er Jahren zählte, wurde damit weltberühmt. Wie Burroughs hat auch Ploog seinen ganz eigenen Cut-up-Stil entwickelt.In der für ihn typischen Schreibweise, mit „&“-Zeichen, erklärte er es einmal so: „Die simpelste Form ist, 2 beliebige Seiten eigenen oder fremden Textes senkrecht zu zerschneiden & die 4 Hälften in vertauschter Reihenfolge wieder zusammenzusetzen. Man beginnt, über die semantischen Bruchstellen hinwegzulesen.“

Das Spielen mit Bombensplittern gehörte für den 1935 geborenen Jungen zu den Illuminationen im tristen Kriegsalltag. In seiner Adoleszenz erfolgt dann der erste große Schnitt: Er verbringt ein Jahr in den USA und kehrt mit einem glühenden Interesse an transatlantischer Subkultur zurück. Sein Studium der Gebrauchsgrafik bricht er ab. Er absolviert eine Pilotenausbildung bei der Lufthansa und fliegt dann 33 Jahre lang in deren Langstreckendienst.

Seine ersten literarischen Versuche erscheinen in Zeitschriften. Cut-up – oder die Durchkreuzung des Nullpunkts der Literatur: Was schimmert auf der anderen Seite? Was passiert nach dem Durchbruch in den grauen Raum? Einen politischen Spiegel findet die anarchische Methode in linkstheoretischen Pamphleten, etwa von Peter A. Kropotkin und Herbert Marcuse, die Ploog damals bei Nova Press herausgibt.

Seine eigenen frühen Experimente münden in ein Buch, das 1969 im Melzer Verlag erscheint – ins Cola-Hinterland, das nur deshalb nicht „Coca-Cola-Hinterland“ heißt, weil Ploog den Darmstädter Kleinverleger Joseph Melzer vor einer Klage des Konzerns bewahren will. Cola-Hinterland wird, wie die späteren Bücher von Ploog, von den Feuilletons ignoriert oder verschmäht. In subkulturellen – subliterarisch wie subpolitisch interessierten – Kreisen erlangt es aber schnell einen Kultstatus.

Florian Vetsch lebt als Schriftsteller in St. Gallen in der Schweiz. Er übersetzte Paul Bowles, Ira Cohen und andere Beat-Autoren ins Deutsche

Ploog ist kein Einzelkämpfer. In seiner Frankfurter Wohnung trifft sich die deutsche Off-Szene, neben Carl Weissner etwa Jörg Fauser und Wolf Wondratschek. Ploog gibt von Frankfurt aus die Zeitschrift Gasolin 23 heraus. Sie erscheint in acht Ausgaben von 1973 bis 1986 und verdankt ihren Namen der Zusammenführung der Schicksalsziffer 23 mit dem ins Deutsche transponierten Titel eines Lyrikbands des Beat-Poeten Gregory Corso (Gasoline, 1958).

In der Beat-Literatur schlug sich „zeitgemäßes Bewusstsein am direktesten & unverfälschtesten nieder“, sagt Ploog, es gehe dabei um einen „Aufbruch im Kulturellen übers rein Rhetorische hinaus“. Die Leitmotive stammten etwa von Raymond Chandler, Charles Bukowski und Harold Norse. Ploog und seine Gasolin-23-Kollaborateure waren die Ersten, die jene Autoren nicht nur ins Deutsche übersetzten, sondern ihnen auch mit eigenen ästhetischen Versuchen und counterscripts antwortenen. „Wir erfanden die Zeitschrift, um unabhängiges, nicht zensiertes Schreiben am Leben zu erhalten“, sagt Ploog und meint dabei die Zensur, „die der etablierte Begriff von tradierter Kultur immanent ausübt“.

Nicht nur seine politischen Äußerungen, seine Publikationsstrategien und sein experimenteller Stil, auch seine Motive brachen mit den Standards der konventionellen Literatur. Massenhaft politisch Unkorrektes treibt durchs Ploog’sche Universum: pornografische, sodomitische, sexistische Elemente, Betrug, Diebstahl, Terror und Gewalt. Doch keines dieser Elemente bleibt ungebrochen. Die Messermethode dekodiert sie, macht ihre Abgründe transparent oder führt sie in gewitzten variativen Durchläufen, sogenannten routines, ad absurdum. Schnitt und Falz deterritorialisieren Machtansprüche, kappen Erwartungshaltungen. Ploogs Werk ist das wortalchemistische Abenteuer eines Zöglings aus der Schule des Marquis de Sade, die schwarzromantische Ausschweifung eines „Weltraumjunkies“. Und, mit den Arbeiten etwa von Hubert Fichte, Ralf-Rainer Rygulla und Rolf Dieter Brinkmann, Teil einer literarischen Gegenbewegung zur damals (moral-)mächtigen Gruppe 47.

Die Maske Marlowe

„Ein alter blaustichiger Porno, der an jeder Stelle reißen kann“: Ploog und seine Komplizen arbeiteten an der Verbreitung „kosmo-orgasmonautischer Produkte“ und trugen zum – zunächst feministisch noch unterbelichteten – Sexualisierungsprozess der 60er und 70er bei, einem Prozess, den der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit als „Salzen“ im Widerspiel von „Salzen & Entsalzen“, von Hemmung und Enthemmung bezeichnete. Es war eine Zeit, die den „Orgasmus links“ (Peter Sloterdijk) definierte; wohingegen der Sex heute propagandistisch, medial und wirtschaftlich verwaltet wird.

Kaum ein anderer deutschsprachiger Autor hat sich so intensiv an den Grenz- und Zentralgebieten des Sexus, an den Perversionen, Fantasien und Gelüsten der Wunschmaschine Mann abgearbeitet. Einen „Beitrag zur kybernetischen Erotik“ nannte Ploog seine lange Erzählung Die Fickmaschine von 1970. Ploog schrieb – und schreibt –, wie die von ihm hoch geschätzte Punk-Ikone Kathy Acker, eine Literatur des Begehrens. Dabei weisen seine späteren Arbeiten – etwa Undercover (2005), Santa Muerte (2011) und Unterwegssein ist alles (2011) – eine hohe sprachliche Präzision auf. „Auf seine Weise ist Ploog ein großer Stilist“, meinte Wolf Wondratschek einmal.

Ploog in einer Bildmontage von 1975

Montage: Walter Hartmann

Antihelden vom Schlage eines Philip Marlowe sind Ploog beliebte Masken für sein literarisches Alter Ego. So auch Max Lang, Ex-Agent und gealterter Pilot, der die soeben neu erschienene Episodensuite Nächte in Amnesien eröffnet: „Airports galten als ‚heiß‘, und deshalb mieden Josi und Max sie. Sie hielten sich an verlassene Landestreifen, die von Cropdustern & Frachtmaschinen benutzt wurden, wo die Bullen nachlässig & die Einwohner weniger misstrauisch waren.“ Dass die Nächte in Amnesien nun, pünktlich zu Ploogs 80. Geburtstag, in einer überarbeiteten Neufassung vorliegen, nennt der Lyriker Joachim Sartorius „eine verlegerische Großtat“. Auf jeden Fall ist es eine schöne Gelegenheit, den großen Monteur nun wieder neu zu entdecken.

Nächte in Amnesien Jürgen Ploog Moloko Print 2014, 272 S., 15 €

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