Immer im Einsatz

Heli-Doc Wenn Sekunden über Leben und Tod entscheiden, heben sie ab: Wie sieht der Alltag eines Notarztes und seines Teams im Rettungshubschrauber aus?

Es war immer mein Traum, im Rettungsdienst zu arbeiten. Bei der Luftrettung hat mich dabei nicht so sehr das Fliegen gereizt, sondern die abwechslungsreiche Arbeit. Die Fälle sind nicht so vorhersehbar wie im Klinikalltag. Und das gesamte Spektrum der Medizin ist vertreten: von Geburt bis zu Alter und Tod.

Um bei der Luftrettung als Notarzt zu arbeiten, braucht man Erfahrungen aus den verschiedenen Bereichen der Medizin, außerdem Einfühlungsvermögen und körperliche Fitness. Manchmal legen wir im Sprint längere Strecken vom Landeplatz bis zum Patienten zurück. Und natürlich muss man mit Stress umgehen können.

Vieles ist aber eine Frage der richtigen Organisation. Unangenehmen Stress kann ich etwa vermeiden, indem ich die Zuordnungen im Team gut organisiere. Durch die dichte Einsatzabfolge, besonders im Sommer, kann aber natürlich auch Stress entstehen. Oft habe ich während des laufenden Einsatzes Anfragen, ob ich schon zum nächsten Notfall fliegen kann. In solchen Momenten muss ich schnell entscheiden: Kann ich das hier abbrechen? Schnell abwickeln und den Rest dem Rettungsdienst überlassen oder geht das nicht? Das macht aber auch den Reiz der Arbeit aus.

Wir Notärzte jonglieren bei unseren Entscheidungen immer mit Mosaiksteinen von Wissen, aus denen wir ein möglichst genaues Bild zusammensetzen müssen. Es gibt einen festen Ablauf bei Notfällen: Sicherung der Atmung, Sicherung des Kreislaufs, dann Schmerztherapie. Das fordert Gründlichkeit und Selbstbewusstsein in den Entscheidungen. Wenn ich in einer solchen Situation einen Fehler machen würde, würde mich das schon ziemlich treffen.

Nicht mit nach Hause nehmen

Anders als es meist in Filmen oder im Fernsehen zu sehen ist, sind ein Großteil der Einsätze internistische Notfälle im Rahmen der Hilfeleistungspflicht. Kann kein anderer Notarzt innerhalb von zehn Minuten am Einsatzort erscheinen, fliegen wir solche Einsätze – ganz unabhängig von der eigentlichen Dramatik – an. Es geht los, sobald am Telefon gewisse Schlüsselwörter gefallen sind und die Indikation für einen Notarzt steht. Oft zeigt dann die genauere Diagnose vor Ort, dass die Situation deutlich undramatischer ist als zunächst angenommen.

Wichtig ist, dass man das Gesehene und Erlebte nach Feierabend nicht nach Hause mitnimmt. Einsätze mit Kindern stellen dabei eine besondere Belastung dar. Bei mir hat sich da etwas verändert, nachdem ich Vater geworden war. Vorher konnte ich mit solchen Einsätzen nüchterner umgehen. Jetzt kommt eine ganz andere Emotionalität auf. Direkt im Geschehen, wenn ich Ad-hoc gefordert bin, meine Algorithmen abarbeite, dann trifft mich das noch nicht. Aber in den Pausen, wenn ich Zeit habe über den Einsatz zu reflektieren, kommt diese Emotionalität hoch.

Aus meiner Ausbildungszeit als Narkosearzt verfolgt mich ein Einsatz bis heute. Damals war ich erst kurze Zeit in der Klinik und kam auf dem Heimweg an einem schweren Verkehrsunfall vorbei. Ich sah das ganze Unfallszenario im Vorbeifahren und bin dann umgekehrt, um zu helfen. Es war ein typischer Discounfall, bei dem ein junges Mädchen fürchterlich im Fensterrahmen eingeklemmt war und ich durch die Leitplanke überhaupt nicht an es heran kam.

Das hat mich ziemlich beschäftigt: Wenn ich heute mit dem gesamten Team vor Ort bin und als Notarzt arbeiten kann, alles Menschenmögliche tue, die Hilfe aber trotzdem nicht ausreicht, kann ich die Dinge ganz anders verarbeiten, als wenn ich völlig hilflos mit meinem Plasteverbandskasten vor so einem Unfall stehe.Wie es dem Mädchen von damals heute geht, weiß ich leider nicht. Der Informationsrücklauf aus den Klinken – wenn man sich nicht besonders drum kümmert – ist generell sehr schlecht.

Schöne Momente gibt es für mich trotzdem immer wieder, wenn ich Menschen, die sich in Notsituationen befinden, helfen kann und sie die Hilfe dankbar annehmen. Auch wenn es sich medizinisch manchmal nur um Banalitäten handelt, ist das ein tolles Gefühl – und genauso viel wert, wie wenn man jemandem mit seinem Team gerade das Leben gerettet hat.

Reimund Fehst, 46, Dr. med., ist seit September 2009 neben seiner Arbeit als Arzt im Krankenhaus Neustrelitz in Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig als Notarzt mit der ADAC-Luftrettung im Raum zwischen Ostsee und Berlin im Einsatz

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