Immer weiter geradeaus

Kolumne Volksparteien halten stets den Kurs – nur die Richtung ist egal. Das liegt in der Natur der Sache und gilt nicht nur für Angela Merkel, sondern für alle Kanzler

Mit den Hartz-Gesetzen geht es der SPD wie den Engländern mit der Schlacht am Skagerak: Sie sagen, das sei ein großer Sieg gewesen, aber sie streiten seit Jahrzehnten darüber, wer Schuld daran war. Besser hat es da die CDU Angela Merkels. Die profitiert von den Hartz-Gesetzen, ist aber eben nicht Schuld daran.

Wie kommt so etwas zustande? Die Erklärung liegt im Prinzip Volkspartei. Eine Volkspartei ist ja nicht unbedingt eine große Partei, sie ist zuerst eine Partei, von der sich Menschen aus allen Schichten eines Landes vertreten fühlen können, soweit sie an einer „Grande Querelle“, einer großen Frage, interessiert sind. Bei Konrad Adenauers Union war dies die Trias: Westbindung, Antikommunismus, Wiedervereinigung. Gesellschaftspolitisch wollte er nur Harmonie und für die sorgte Ludwig Erhard mit der Formel „Wohlstand für alle“. Indem so die deutsche Gesellschaft sozialdemokratisiert wurde, konnte aus der Programmpartei SPD eine Volkspartei werden, denn die „Grande Querelle“ hieß jetzt „Wohlstand für alle“. Das stieß gegen Ende der Regierungszeit Helmut Schmidts an eine gewisse Grenze, und die FDP forderte einschneidende Sozialreformen. Daran und an Schmidts Nachrüstung scheiterte die SPD zum ersten Mal als Regierungspartei.

Helmut Kohl fand vor oder schuf sich wieder Hauptfragen, wie Adenauer sie gehabt hatte. Jetzt waren das: Nachrüstung, das „Europäische Haus“ und – wie gehabt, aber von der SPD verstoßen – die Wiedervereinigung. In Fragen der Sozial- und Gesellschaftspolitik war auch Kohl ausschließlich an Harmonie interessiert. Reformbegehren, mit denen Graf Lambsdorff einst Schmidt geärgert hatte, konnte dieser bei Kohl überhaupt nicht anbringen, da wäre ihm gleich Norbert Blum wie ein Kettenhund an die Gurgel gefahren. So produzierten die 16 Kohl-Jahre zuletzt einen Reformstau, an denen der Wiedervereinigungskanzler scheiterte.

Gerhard Schröder brauchte einige Jahre, bis er begriff, dass im Interesse des Landes die „Grande Querelle“ seiner Regierungszeit soziale Reformen, besonders solche am Arbeitsmarkt sein würden, weil anders die Wettbewerbstätigkeit Deutschlands nicht länger den Anforderungen der zunehmend zur Globalisierung drängenden Wirtschaft entsprechen würde. Die Hauptfrage, auf die er Antworten finden musste, hatte erhebliche innenpolitische Konsequenzen – wie sie die Union stets vermieden hatte. Mit Harmoniestreben kam Schröder nicht weiter. Der Slogan „Wohlstand für alle“ musste ersetzt werden durch „Wohlstand für die meisten“. Damit scheiterte die SPD zum zweiten Mal als Kanzlerpartei.

Angela Merkel bekam als Kanzlerin internationale Krisen als Hauptthemen ihrer Regierungszeit präsentiert. Innenpolitisch durfte sie – wie Kohl – auf der Linie ihres Vorgängers bleiben. Das bedeutete nun aber auf dem Weg der Hartz-Reformen.

Das verlangt die Volkspartei: Harmonie in den eigenen Reihen erreicht man dadurch, dass man gegenüber unaufhebbaren Gegensätzen den Status quo wahrt. Der war für Kohl arbeitnehmerfreundlich gewesen, darum änderte er auch nichts am Spitzensteuersatz. Er wollte seine Arbeitnehmer nicht vergrätzen. Angela Merkel fand einen arbeitnehmerfeindlichen Status quo vor. Daran konnte sie nichts ändern, ohne die Arbeitgeber in der Union zu verstimmen. So will es das Überlebensgesetz einer Volkspartei. Solange die Politik bei den Hauptfragen gelingt, kann das gut gehen.

Jürgen Busche ist Kolumnist des Freitag. Er hat viele Jahre lang vor allem für große Tageszeitungen gearbeitet, darunter Frankfurter Allgemeine Zeitung und Süddeutsche Zeitung. Busche war außerdem Chefredakteur der Wochenpost und der Badischen Zeitung. Er lebt in Berlin.

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