Immer zurück zum Pruth

Rose Ausländer Die langwierige Heimkehr nach Czernowitz

Czernowitz am 11. Mai. In der Unterstadt, dem früheren Judenviertel, sperrt die Polizei den Durchgangsverkehr. Im Nieselregen, vor der Sahajdatschnoho-Gasse Nummer 57, eine Gruppe touristisch anmutender Menschen. Nach Ansprachen in deutscher und ukrainischer Sprache enthüllt der Bürgermeister eine Gedenktafel: "In diesem Haus wurde am 11.Mai 1901 die bekannte deutschsprachige Dichterin Rose Ausländer geboren."

Harry Scherzer hat wohl die weiteste Reise gemacht, um genau in diesem Moment an diesem Ort zu sein. Er ist mit seiner Schwester Katherine aus den USA gekommen. Als beide vor dem Bild der Rose Ausländer stehen, sind Ähnlichkeiten unverkennbar. Denn Katherine und Harry sind Nichte und Neffe der Rose Ausländer, die hier als Rosalie Beatrice "Ruth" Scherzer vor 100 Jahren das Licht der Welt erblickte. Gestorben ist Rose Ausländer, nach einem rastlosen Reiseleben, 1988 in Düsseldorf.

Das Reisen und das Erinnern - zwei Hauptmotive im lyrischen Werk der Dichterin. Zwei Leitmotive auch für jene, die sich ihr nähern wollen. Stichwort Reisen: Eine Schar von Touristen, geleitet von den Berliner "Stattreisen", machte sich zum 100. Geburtstag auf den weiten Weg nach Czernowitz (heute: Tscherniwzi). Mit dabei Helmut Braun, Leiter der Rose Ausländer-Stiftung und Erstherausgeber ihrer gesammelten Werke. Im Gepäck eine Ausstellung mit Dokumenten aus dem Leben der Lyrikerin. Die Ausstellung wird am 11.Mai im Kunstmuseum von Czernowitz eröffnet, und im Stadttheater endet der Geburtstag mit einem politischen und kulturellen Festakt. Der Schriftsteller Ralph Giordano zeichnet Lebenslinien und vor allem Lebensbrüche der Rose Ausländer nach. Der Musiker Eduard Weissmann vom Deutschen Symphonie Orchester Berlin, begleitet seine Tochter Nadine auf dem Cello. Höhepunkt in seinem Leben und Rückkehr zu den jüdischen Wurzeln: Weissmann wurde 1943 in Czernowitz geboren.

Stichwort Erinnern: Das war das Leitmotiv eines mehrtägigen Symposiums in der Universität von Czernowitz. Harald Vogel, der an der PH Ludwigsburg den Nachlass von Rose Ausländer bearbeitet, hielt den Eröffnungsvortrag: "Immer zurück zum Pruth". Schon diese Verszeile zeigt, wie ein lyrisches Bild konkrete Wirklichkeit erinnert (hier den Fluß Pruth) und zugleich als Metapher ins Allgemeine weist. Die kulturelle Vielfalt dieses "östlichen Wien" schärfte den Blick der Lyrikerin: Viersprachenlieder/Menschen/die sich verstehen. Die multikulturelle Heimat, die östlichen Wurzelnprägen ihre Kindheitsbilder. Untersuchungshaft, Ghettoerfahrung Todesangst und der Verlust des Vaterlandes bedeuten für Ausländer eine existenzielle und literarische Zäsur: Wir waren die Scheiterhaufen unserer Zeit. Schreiben wird zum Überleben.

Für eine Überraschung in Czernowitz sorgte der ukrainische Celan- und Ausländer-Experte Peter Rychlo. Er war der erste, der Einblick nehmen durfte ins Archiv des sowjetischen Geheimdienstes. Nach den Akten wurde Rose Ausländer am 5.11.1940 von der 3. NKWD-Abteilung verhaftet. Das Untersuchungsverfahren wegen Auslandsspionage zog sich ein Vierteljahr hin. Mangels Beweisen wurde die Dichterin am 17. Februar 1941 aus dem Gefängnis entlassen. Manches Gedicht aus dieser Zeit wird nun anders gelesen werden, und sämtliche Biographien bedürfen der Überarbeitung.

Arbeit ganz anderer Art wartet auf die Ukraine. Fast alle Czernowitzer verstehen die Sprache nicht mehr, in der Rose Ausländer zu Hause war ("Mutterland Wort"). Mit Vertreibung und Ermordung der deutschsprachigen Juden ging die soziale und kulturelle Basis verloren, die diese Stadt zum Ausgangspunkt literarisch herausragender Lebensläufe werden ließ. Und die politischen Verwerfungen der letzten Jahrzehnte haben noch einmal die historische Blütezeit überdeckt. Unübersehbar die Armut der Menschen, der Verfall ihrer Häuser.

Bis Rose Ausländer wirklich heimkehren kann, werden noch Jahre, vielleicht Jahrzehnte vergehen. Zwar wurde ihr 100. Geburtstag gefeiert, mit viel Engagement - und Initiative vor allem aus Deutschland. Doch noch hat die Heimatstadt Czernowitz ihre (im Ausland) bekannteste Tochter nicht ganz zurückgeholt.

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden