Imperium der Idiotie

Kehrseite Frühschicht; Produktion. Ich bohre das Ventil in den Kraftstoffverteiler; Zeit: 6.19 Uhr. Ich drücke die Dichtung in den Verteiler; Zeit: 6.19 Uhr. ...

Frühschicht; Produktion. Ich bohre das Ventil in den Kraftstoffverteiler; Zeit: 6.19 Uhr. Ich drücke die Dichtung in den Verteiler; Zeit: 6.19 Uhr. Ich stecke den Verteiler in die Druckkammer; Zeit: 6.20 Uhr. Gähn.

Mein Studentenbudget verlangt, dass ich mich emanzipiert in die Fabrikhalle begebe, mein Mental am Portal übergebe und mich dem Akkord am Fließband untergebe. Durch die Halle gehend staune ich über die Laute der Männer: Balz-Arien. Maschinen, die so monoton vor sich hin rattern wie die Arbeiterschaft. Gabelstapler rasen durch die Gänge. Dieselben Fahrer (e)chauffieren sich Samstag nachts auf Breitreifen in der Innenstadt. Verkehrswidrigkeit ist ein Fremdwort und steht nicht auf dem Etikett der Bierflasche.

Die Anzeigentafel zeigt korrekt Uhrzeit, Soll- und Ist-Stückzahl. Und weiter zähle ich Minuten und Stückzahl, Minuten und Stückzahl bis zur Pause, Minuten und Stückzahl bis zum Schichtende, Minuten und Stückzahl, die ich bereits hinter mir habe. Jeder Gedanke ist bereits durchdacht, jede Zeitrechnung bereits gerechnet und der Stundenlohn bereits mental konsumiert.

Mit der Stückzahl am Fließband fließen Gehirnzellen in andere Sphären ab. Ich werde Teil eines Imperiums, dessen Funktionalität Sozialethik für Materielles untergräbt. Erschaffen von Genies, deren Lebensziel die Optimierung eines Produktionsprozesses ist. Dieses Ziel machen sich dann jene zu eigen, deren Intellekt anderen Bedürfnissen, suggeriert von Fachidioten, weicht. Paradox!

Einem Arbeiter erzähle ich von den Illuminaten. Die Verschwörungstheorie liefert ihm Gedankengut für seinen monotonen Arbeitstag. Der Meister dreht seine obligatorische Runde. Als er mir die Hand gibt, schaut er geschlagene vier Sekunden auf mein sekundäres Geschlechtsmerkmal. Er liest wohl kaum was auf meinem T-Shirt steht?! Genervt kümmere ich mich weiter um das Erreichen meiner Sollstückzahl.

Was mir bleibt, ist die Absehbarkeit dieses Zustandes.

Etappensiege sind wichtig! Minute für Minute - Stück für Stück.


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