In den Korridoren

Reisebericht Der Regisseur James Gray sucht „Die versunkene Stadt Z“
Ausgabe 13/2017

Bevor sich Die versunkene Stadt Z tief in den Dschungel des Amazonas begibt, wird erst mal ein Hirsch geschossen. Der Film eröffnet mit einer „hochkultivierten“ Jagd in den Weiten der Grafschaft Cork – eine Szene, die nicht nur durch ihre Dynamik antithetisch zum eher langsamen Dschungelfilm steht. Zur Jagdgesellschaft zählen britische Armeeangehörige verschiedenen Rangs, darunter Percival Fawcett (Charlie Hunnam), ein gelernter Landvermesser und Soldat einfacher Herkunft. Fawcett setzt den entscheidenden Schuss, wird beim anschließenden Ball jedoch auf Abstand gehalten. „Er hat in Bezug auf seine Vorfahren eine unglückliche Wahl getroffen“, heißt es verschnupft.

In James Grays Adaption von David Granns gleichnamigem Sachbuch ist der Abenteuer- und Dschungelfilm immer auch ein Klassendrama. Als Fawcett den Auftrag der Royal Geographical Society annimmt, unerforschte Gebiete in Bolivien zu kartografieren, ist sein Motiv weniger Abenteuerlust als die Aussicht auf militärische Auszeichnungen. 1906 bricht Fawcett zum ersten Mal in Begleitung seines Adjutanten Henry Costin (Robert Pattinson mit Nickelbrille und Fusselbart) in den Regenwald auf, bei einer zweiten Expedition entdeckt er Spuren vergangener Zivilisationen, eine versunkene Metropole, die er schlicht „Z“ nennt. Durch die wissenschaftliche Elite geht ein Aufschrei, sie sieht die Grundfesten der Menschheitsgeschichte bedroht – „Pots and pans“, skandiert das Publikum höhnisch, als Fawcett bei einem Vortrag ein paar Tonscherben präsentiert. Auf der Suche nach dem Existenzbeweis zieht es den Forscher immer wieder in den Dschungel. Die letzte Reise im Jahr 1925 erfolgt in Begleitung seines 21-jährigen Sohns, den er mit der Z-Obsession infiziert hat. Dabei verschwinden die beiden spurlos.

Chiaroscuro-Beleuchtung

Nach den eher kammerspielartigen Erkundungen der New Yorker Außenbezirke und ihrer migrantischen Mikrokosmen in Filmen wie Little Odessa (1994), We Own the Night (2007) und Two Lovers (2008) verlässt Gray mit Die versunkene Stadt Z erstmals die Stadt (und New York). Die Erzählung erstreckt sich über 20 Jahre und viele Orte: Irland, England, das Amazonas-Gebiet, Erster Weltkrieg und die Schlacht an der Somme. Zwischen den insgesamt sieben Forschungstrips, die Gray auf drei Reisen eindampft, kehrt Fawcett zu seiner Familie zurück, seine Frau Nina (Sienna Miller) muss sich trotz protofeministischer Ansichten in die Rolle der alleinerziehenden Mutter fügen.

Die Wechsel zwischen Familienheim, Wissenschaftswelt und „grüner Wüste“ schreiben dem Film eine eher episodische (und dramaturgisch antiimmersive) Struktur ein – visuell aber ist alles aus einem Guss. Ungeachtet der geografischen Expansion bleibt Gray seiner Signatur treu: dunkle Räume und enge Flure, Ocker- und Sepiafarben, Chiaroscuro-Beleuchtung. In gewisser Weise scheint der Dschungel für ihn wie gemacht: Die Pfade, die sich Fawcett mit seiner Machete erst freischlagen muss, sind den engen Korridoren der städtischen Landschaft erstaunlich ähnlich. Trotz des epischen Rahmens herrscht ein introspektiver Grundton, der Determinismus wiederum greift in das Einflussgebiet der griechischen Tragödie. „Nichts wird mit uns geschehen, was nicht unser Schicksal ist“, sagt der in seinem Edelmut vielleicht etwas zu schlicht gezeichnete Fawcett am Ende zu seinem Sohn, als sie in indigener Gefangenschaft dem ungewissen Ende entgegensehen.

Anders als Werner Herzogs Aguirre und Fitzcarraldo (mit dem der Film Motive teilt: etwa das Opernhaus mitten im Dschungel), anders auch als einige postkolonial perspektivierte Amazonas-Filme der jüngeren Zeit wie Ciro Guerras Der Schamane und die Schlange ist Die versunkene Stadt Z kein delirierender, entgrenzter Dschungeltrip. Doch gerade im Klassizismus des Films offenbart sich eine zeitgemäße gesellschaftliche Perspektive. Die Forscher- und Abenteurerfigur ist bei Gray kein freier Radikaler, sondern ein durch die sozioökonomische Ordnung regulierter Mann, der sein Offiziersein nie ablegt. Im Gray’schen Bildraum hat selbst die Obsession etwas Eingehegtes.

Info

Die versunkene Stadt Z James Gray USA 2016, 141 Minuten

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