In der Geschichte gibt es kein letztes Wort

Sprache Aus der "Reichskristallnacht" wurde die "Reichspogromnacht". Der Historiker Reinhart Koselleck spricht lieber von der "Nacht der Synagogenverbrennungen". Nachdenken lohnt
Ausgabe 51/2013
In der Geschichte gibt es kein letztes Wort

Foto: MOHAMMED ABED/ AFP/ Getty Images

Reinhart Koselleck war einer der maßgeblichen Historiker aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Er war so bedeutend, dass man sagen darf, er ist einer der wichtigsten Historiker aus dieser Zeit, auch wenn er nun schon einige Jahre tot ist. Er hat keine Bücher der Geschichtsschreibung vorgelegt, seine Sache war das Nachdenken über Geschichte. Der Satz „Geschichte ist das, was die Historiker tun“ von Isaiah Berlin, war ihm nicht genug. So forschte er unter anderem dem nach, was Menschen dazu bringt, Vergangenes für ihre Gegenwart festzuhalten und wie sie das machen, etwa mit dem Errichten von Denkmälern.

Gelehrte, die so etwas mit Erfolg tun, sind über ihr Werk hinaus faszinierend. So gibt es mehr als ein hochinteressantes Interview mit Koselleck. Ein bisher unbekanntes erscheint demnächst im Carl-Winter-Verlag in Heidelberg. Koselleck kommt darin auf die Jahre der NS-Diktatur zu sprechen und auch auf jenes Ereignis, das zunächst und für einige Zeit als „Reichskristallnacht“, später aber als „Reichspogromnacht“ bezeichnet wurde. Und das bis heute. Der Historiker nun spricht – wiederholt – von der Nacht der „Synagogenverbrennungen“. Das hat er sicherlich nicht unbedacht getan. Er hat für das Geschehene ein anderes Wort haben wollen, und er hatte recht damit.

Reichskristallnacht war ein albernes, von den Nationalsozialisten in Umlauf gebrachtes Wort. Es sollte verharmlosend wirken, aber das konnte es natürlich nicht. Das kann ein Name, und sei er noch so abwegig, nie. „Sizilianische Vesper“ oder „Bartholomäusnacht“ klingen auch irgendwie nett, aber trotzdem verbindet jeder Gebildete die grauenvollen Ereignisse mit ihnen, für die sie stehen.

Das Wort kann die Tat nicht verdecken. Reichspogromnacht deutet mit dem Wort Pogrom auf den Schrecken des Ereignisses hin, aber es ist falsch. Pogrome waren Volksaufwallungen, wie auch immer angestoßen. Sie waren einer Stampede bei Rinderherden vergleichbar. Das gab es im Mittelalter und auch noch sehr viel später in Osteuropa. 1938 in Deutschland gab es das nicht. Da gab es wohlorganisierte Brandstiftungen und Übergriffe aller Unart durch die SA, durch uniformierte Befehlsempfänger. Die meisten Deutschen schauten weg, schwiegen, schämten sich vielleicht. Aber die meisten waren eben nicht dabei. Und spontan war daran gar nichts. Es war kein Pogrom.

Kosellecks Wort von den Synagogenverbrennungen scheint zurückhaltender zu sein, schließt aber doch an das alles andere als harmlos wirkende Wort von den Bücherverbrennungen an. Es ist nicht nur richtig, es ist auch besser. Nachdenken lohnt.

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