„Die Blätter der Pflanzen waren nicht grün, sondern schwärzlich, die Zweige waren knorrig und verkrümmt und trugen keine Früchte, sondern verdorrte Giftstengel“. Man muss kein Ikolonologe sein oder Metaphernkundler, um zu wissen, dass ein Roman, der so beginnt, kein idyllisches Ende nehmen wird. Die Natur, die hier beschrieben wird, wird zum dystopischen Signal. Und das dominiert fortan die Erwartungshaltung des Lesers.
Der junge Mann, der da auf einem Laster sitzt und die Augen schließt, um das Elend nicht sehen zu müssen, das da auf den Maisfeldern längs der Straße an ihm vorüberzieht, heißt Blackie. Wir befinden uns im Süden der USA, wir schreiben die dreißiger Jahre. Der fünfzehnjährige Blackie ist au
kie ist aus einer Besserungsanstalt auf dem Land geflohen und auf dem Weg zurück zu seiner Familie in Atlanta.Widerstreitende Gefühle treiben ihn um. Seine Familie ist nicht wirklich froh, dass er wieder aufgetaucht ist. Eine Arbeit hat er nicht. Noch weiß er nicht, was er in Zukunft machen soll. In der Hitze des August streunt er durch die Stadt. Doch er fühlt sich fremd, spürt, dass er „ein anderer Mensch“, eben älter geworden ist. Seine Geschwister und Freunde kommen ihm plötzlich kindisch vor.Was der Lesende im Verlauf des Romans erlebt, ist die aufschlussreiche Schilderung eines Hürdenlaufs zur Identität. Beim wiederholten Blick in den Spiegel lernt Blackie, sich selbst mit Abstand zu beobachten. Die Liebe zu Mabel, die er im Schmugglercafe Cuban Villa kennenlernt, aber auch kleine Diebereien verwandeln ihn allmählich. Und irgendwann gerät der Junge, den ein „ruheloses Verlangen … nach unbefleckter Stärke“ teibt, an einen Scheideweg zwischen Gefühl und Härte.Ein tierhafter AusdruckBlackie schwankt zwischen Melancholie und Entschlossenheit, Klarheit und Zweifel, Misogynie und sexueller Gier, Kriminalität und Legalität. Doch spätestens, als „ein halb tierhafter, beinahe unheimlicher Ausdruck … zwischen der dunklen Tiefe seiner Augen und den vereinzelten Stoppeln eines ersten Bartes“ lauerte, ist dieser Selbstfindungsprozess entschieden. Der 1950 erstmals erschienene Roman Dog Star ist die (zeitlose) Geschichte der Verrohung eines Teenagers: „Er fragte sich nicht, wer seine Angreifer waren. Es war egal“.Donald Windham, 1920 in Atlanta geboren, hat ein ähnliches Schicksal wie der Protagonist seines Romans erlebt. Mit 19 brannte er nach New York durch. In Bars und Theatern traf er auf die Bohème der damaligen Zeit, begann zu schreiben. Dog Star wurde kein großer Erfolg. Das könnte sich jetzt ändern.Wo wäre der Buchmarkt ohne die Independents? Der kleine Düsseldorfer Lilienfeld-Verlag hat das beeindruckende Werk nun in einer stilsicheren Übersetzung von Alexander Konrad erstmals auf deutsch zugänglich gemacht.Man soll das Leben eines Autors nicht mit seinem Werk kurzschließen. Doch der biografische Hintergrund kaum bekannten Windham legt vielleicht doch eine Spur, mit deren Hilfe sich ein weiteres Motiv dieses Romans entschlüsseln ließe. Denn das große Vorbild, dem der orientierungssuchende Blackie nacheifern will, heisst Whitey Maddox. Wegen dessen plötzlichem Selbstmord hat Blackie das Heim verlassen.Der ominöse Junge, Blackies bester Freund, war immer gern allein. Wenn er im Schlafsaal des Heims lag und Gitarre spielte, strahlte er jene Selbstsicherheit aus, die Blackie sich erst aneignen muss. Im Endeffekt deutet er dessen innere Stärke aber zum solipsistischen Ideal um, wenn er Whiteys Selbstmord so interpretiert : “Und er hatte sich erschossen, um zu zeigen, dass er mehr Macht hatte als sie, und dass nur er selbst sich etwas anging.“Wort und BlutKlar: Der selbstsichere Whitey ist für den bei der Mutter aufgewachsenen Blackie eine Art Vaterersatz. Doch so wie er ständig an seinen Gefährten aus dem Erziehungsheim denkt, drückt sich darin aber auch eine unausgesprochen homoerotische Spannung aus. Die vielleicht einer der Gründe ist, warum so viele namhafte schwule Autoren der fünfziger Jahre sich für den jungen, begabten Donald Windham zu interessieren begannen.Andrè Gide, Tennesse Williams, Thomas Mann lobten Windhams Erstling und ermutigten ihn zum Schreiben. Truman Capote lud ihn sogar zum gemeinsamen Urlaub in Italien ein. Den berühmten amerikanischen Autor, der vor 25 Jahren starb, hält Windham, der heute, 88-jährig in New York als Pflegefall lebt, noch immer für einen „großen Lügner“, wie er kürzlich einem deutschen Journalisten anvertraute. Capote prahlte gern mit erfundenen Bettgeschichten.Dog Star lebt vom kalten, rücksichtslosen, niemals sentimentalen Blick des Erzählers. Der aber auch mit großer Empathie die widersprüchliche Psyche seines „Helden“ freilegt. Manchmal steigert er sich bis zu einer berückend surrealen Poesie. Etwa wenn er einen Traum Blackies beschreibt, in dem Whitey ihm einen Blütenzweig überbringt: „und wie bei einem frischen Zweig, der an einem Ende brennt, während er am anderen durch die austretende Luft zu zischen beginnt, so traten aus dem gebrochenen Holz Scherben, Splitter und Kiesel, die violette Blüte des Veilchens, der scharlachrote Fleck der Anemone, das tiefe Rot der Rose, Wort und Blut gemeinsam hervor.“Trotzdem ist ein derart ernüchternder Adoleszenz-Roman, der noch dazu blutig endet, vielleicht nicht unbedingt die naheliegendste Sommerlektüre. Es sei denn, das schlechte Wetter im Urlaub zwingt dazu, sich die fehlende Hitze herbei zu imaginieren. In Dog Star steigt sie bis auf knappe 40 Grad. Es sind die Hundstage im August. Die Stadt glüht: „Die Sonne war so grell, daß es in den Augen schmerzte … die Sonne hatte alles lebendige Grün herausgebleicht“.Dunkle PhantasienWindhams Sommer-Obsession ist kein Selbstzweck. Die unaufhörliche Schilderung der sengenden Sonne, die so auf Blackie drückt, „als ob sich die Luft an jeder Stelle seines Körpers zu heißem Beton verdichten würde“ dient dazu, die Spannung in diesem kammerspielartigen Setting auf überschaubarem Terrain aufs Äußerste zu steigern. Auf der anderen fungiert sie als Kontrastmittel. Vor der sich das emotionale Erkalten des Protagonisten nur um so schärfer abhebt.Vor allem befeuert die Hitze aber Blackies jungmännliches Erwachen. Ständig fühlt sich der Junge in jenem „Schwebezustand zwischen der klaren Wirklichkeit der nachmittäglichen Straßen und einem Verlangen nach großen Taten, wie denen in seinen dunklen Phantasien“. Und zumindest das ist nun wirklich ein Gefühl, welches der Stimmungslage, die man aus dem Urlaub kennt, zum Verwechseln ähnlich ist.
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