In der Oase kein Geruch von verfaulten Eiern

Zwischen Durban und Dakar Sarah Mersch erfuhr, wie sich Tunesiens Natur seit Corona erholt
Ausgabe 52/2020
Gabès ist die größte Stadt im Süden Tunesiens. Eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Oase direkt am Meer. Normalerweise riecht es hier nach Schwefel
Gabès ist die größte Stadt im Süden Tunesiens. Eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Oase direkt am Meer. Normalerweise riecht es hier nach Schwefel

Foto: Fathi Nasri/AFP/Getty Images

Es stinkt ja gar nicht. Kurz vor Gabès hatte es bei mir im Kopf „klick“ gemacht, nachdem ich mich ein paar Minuten lang gewundert hatte, was dieses Mal anders war, auf diesen letzten Kilometern der Autobahn, wo man fast alleine unterwegs ist.

In der Ebene war in der Ferne schon die Zementfabrik zu sehen, das Zeichen dafür, dass man fast angekommen ist. Doch die pustet allenfalls viel Staub in die Luft und überdeckt die Region mit einem leichter Grauschleier, auch bei Sonnenschein. Bevor man die Fabrik überhaupt sieht, riecht man die Stadt. Beziehungsweise man riecht sie nicht, so wie dieses Jahr.

Gabès, von den Römern früher Tacapes genannt, ist Heimat von rund 140.000 Bewohnern, die größte Stadt im Süden Tunesiens. Eine der wenigen, wenn nicht sogar die einzige Oase direkt am Meer. Normalerweise riecht Gabès nach Schwefel, nach verfaulten Eiern. Es ist dieser beißende Geruch, der einem in die Nase steigt, bevor man den Ort überhaupt sieht. Bis Corona kam. Da roch man ihn nicht mehr – nicht etwa, weil der Geruchssinn durch das Virus beeinträchtigt war, sondern weil die Chemiewerke während des ersten Lockdowns im März mehr als zwei Monate lang geschlossen wurden, so wie alle anderen nicht lebensnotwendigen Branchen.

Bei der Gründung der Chemiewerke 1972 hatte der damalige Präsident Habib Bourguiba blühende Landschaften versprochen. Heute sind die Fabriken der größte Umweltverschmutzer und Wasserkonsument, aber eben auch der größte Arbeitgeber in der Region. Wenn sie stillstehen, dann tut das nicht nur ein Großteil der lokalen Wirtschaft, es hat auch massive Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Nach dem Lockdown lief die Phosphatverarbeitung, die wichtigste Aktivität des Industriekomplexes, nur schleppend wieder an. Vor der Revolution drittgrößter Exporteur von Phosphat weltweit, muss sich Tunesien inzwischen auf den hinteren Plätzen einordnen. Eine dubiose Einstellungspolitik in der Branche, Streiks und Transportblockaden behindern Abbau und Verarbeitung des Bodenschatzes regelmäßig.

Doch dieses Jahr im Frühling waren die Indikatoren der Luftqualität auf einmal wieder im grünen Bereich. Das saubere Regenwasser freute die Landwirte, und auch die Fischer trauten sich langsam wieder, näher an der Küste zu fischen. Normalerweise werden dort Abwässer und Abfallprodukte ungefiltert ins Meer geleitet.

Doch was zunächst so klingt, als füge es sich wunderbar ein in die herzerwärmenden Geschichten von Delfinen in den Kanälen von Venedig oder Affen, die sich in verlassenen Hotelpools amüsieren, ist nicht ganz so einfach. Das Leben in Gabès sei ein tägliches Dilemma, so erzählte es mir vor einigen Jahren mal ein lokaler Menschenrechtsaktivist. „Wir träumen, dass wir am nächsten Morgen bei den Chemiewerken eingestellt werden oder dass der Sohn, der Bruder oder die Tochter dort eine Stelle bekommt. Und gleichzeitig träumen wir, dass wir am nächsten Morgen aufwachen, gen Norden blicken, wo das Industriegebiet ist, und es verschwunden ist.“

Sarah Mersch schreibt aus Tunis, hier im Wechsel mit Odile Jolys, Leonie March sowie Andrea Jeska

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