Für Autoren politischer Lehrbücher lohnt ein Blick nach Polen, sollten sie ein Paradebeispiel für eine politische Sackgasse suchen. Denn die regierende nationalkonservative Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) steckt in einer solchen. Ihre Entscheidung, ein Urteil des Verfassungsgerichts nicht zu akzeptieren, ist ein Affront gegen die Gewaltenteilung. Die Richter hatten in ihrem Votum eine Reform des Verfassungstribunals verworfen, die auf die faktische Blockade des höchsten Gerichts hinauslief. Ähnlich urteilte auch die renommierte Venedig-Kommission des Europarates in ihrem rechtlich nicht bindenden Gutachten.
Die starre Haltung der PiS verwundert nur auf den ersten Blick. Denn durch die verbale Hetze der vergangenen Monate gegen das „postkommunistische“ höchste Gericht könnte sie gar nicht nachgeben, ohne nun ihr Gesicht zu verlieren. Dadurch aber droht dem Land das Chaos. Regierung und staatliche Behörden werden nämlich künftige Urteile des Verfassungsgerichts nicht akzeptieren, untergeordnete Gerichte dies aber sehr wohl tun. Innenpolitische Spannungen sind programmiert.
Die sture Haltung von Parteichef Jarosław Kaczyński liegt einerseits an seiner Provinzialität und an seiner ins Irrationale gleitende Machtgier – und an politischer Dummheit. Denn mit ihrem radikalen Kurs in institutionellen Fragen stellt die Regierung in erster Linie sich selbst ein Bein. Ihre sozialpolitischen Reformen, eine keynesianisch anmutende Wirtschaftspolitik und günstige Wirtschaftsdaten sorgen nämlich dafür, dass die Zustimmung zur PiS in der Bevölkerung unvermindert hoch ist. Doch das tritt angesichts des Streits um die Gewaltenteilung und die demokratische Verfasstheit des Landes in den Hintergrund.
Die wachsende Zahl der Protestler, die Opposition und die EU-Kommission: Sie alle werden ihren Druck auf die PiS erhöhen. Kaczyński hat offensichtlich eines vergessen: dass er mit der EU und ihren Werten leben muss. Als radikaler Anti-Postkommunist sieht er sich als Kämpfer gegen Klüngel und eine antipolnische Verschwörung durch ein linksliberales Establishment, das angeblich in der EU herrscht. Doch dieses Mal hat er sich klar verkalkuliert. Aus dieser Sackgasse wird er ohne Gesichtsverlust nicht herauskommen.
Kommentare 2
Ehrlich gesagt, lässt mich ihr Artikel etwas ratlos zurück. Sie behaupten, dass der wachsende Widerstand gegen Kaczyński ihm Probleme breiten wird, dass er in einer Sackgasse steckt, aus der er, wie sie schreiben, ohne Gesichtsverlust nicht wieder herraus kommt. Dann aber schreiben sie, dass er mit einer keynesianisch anmutende Wirtschaftspolitik und günstige Wirtschaftsdaten über eine anhaltend hohe Zustimmung in der Bevölkerung verfügt.
Dann: Doch das tritt angesichts des Streits um die Gewaltenteilung und die demokratische Verfasstheit des Landes in den Hintergrund.
Warum?
Das steht da leider nicht.
Meine These schrieb ich hier schon ein paar mal. Die neoliberalen Irren, die die Umgestaltung in Polen wie im ganzen Osten vollstreckten, haben sich den Hass derer, die ihre Opfer sind und die sie dann noch als Loser verhöhnen, mehr als verdient.
Daraus erklären sich die Wahlergebnisse und nicht daraus, dass es den Polen oder anderen im Osten lebenden an Kultur, Wissen oder sonst was fehlt.
In Polen ist es tatsächlich, da es keine andere relevante politische Kraft mehr gibt, die Wahl zwischen Pest und Cholera: Auf der einen Seite eine die marktradikalen Irren, die eine eklige Melange aus einstigen Aperatschiks und neuerweckten "Liberalen" bilden, auf der anderen die autoritären Rechtskonservativen, die sie, wie ich finde, recht gut beschreiben. Ich vermute auch, dass die Polen, die bei letzteren Schutz vor den Zumutungen eines aus dem Ruder laufenden Kapitalismus erhoffen, nicht nur enttäuscht werden sondern einen hohen Preis zahlen werden.
Nur sehe ich nicht, dass sie wirklich eine Wahl hätten, dass es eine emanzipatorische Lösung geben könnte.
Wissen sie, es sei ihnen selbstverständlich zugestanden, ihrem Unmut über die Neuen hörbar zu machen.
Und so sehr ich mich persönlich freue, dass Polen im Freitag eine durchaus wahrnehmbare Rolle spielt, so wünschte ich mir doch sehr viel mehr Tiefe, mehr Darstellung von Zusammenhängen, Analysen, Beurteilung von Kräfteverhältnissen, die Suche nach Ursachen, Prognosen, die mehr als nur Wünsche und Hoffnungen sind......
Die neoliberalen Irren, die die Umgestaltung in Polen wie im ganzen Osten vollstreckten, haben sich den Hass derer, die ihre Opfer sind und die sie dann noch als Loser verhöhnen, mehr als verdient.
Danke für Ihren Kommentar, dem ich mich inhaltlich voll anschließe.
Die neoliberalen Irren haben überall im Osten mit westlichen Wohlstandversprechen Erwartungen der Menschen geweckt und gleichzeitig all ihr vergangenes Leben zu giftigem Dreck erklärt, um sie immun dagegen zu machen.
Den eigenen giftigen Dreck des "Neuen" mußten die Menschen selbst kosten und ausspucken lernen.
Ich vermute auch, dass die Polen, die bei letzteren Schutz vor den Zumutungen eines aus dem Ruder laufenden Kapitalismus erhoffen, nicht nur enttäuscht werden sondern einen hohen Preis zahlen werden.
Das genau ist die jetztige Phase - die für das Kurzzeitgedächtnis programmiert scheint und nicht nur Polen - dort aber sehr offensichtlich - betrifft.
Es wird wohl eine lange Zeit für die Verlierer geben.