Ein bißchen sieht es hier aus wie in einem sowjetischen Themenpark. Es könnte aber auch ein anti-westliches Zauberland sein. An den Barrikaden, die man rund um die „Volksrepublik Donezk“ errichtet hat, hängen Karrikaturen des amerikanischen Präsidenten: Obama als Hitler mit Schnäuzer, Obama mit Napoleon und Hitler, daneben steht: „Sie haben alle geglaubt, ihre Länder seien anderen überlegen“. Und schließlich noch Obama als Affe. Der war am vergangenen Freitag noch da, am Samstag aber war er schon wieder weg.
Seit zwei Wochen halten pro-russische Separatisten nun schon das Gebäude der Regionalregierung in Donezk besetzt, der elfgeschossige Bau mit Blick auf den grünen Puschkin-Boulevard ist ihr Hauptquartier. 15- und 16-jährige Jugendliche in Sturmhauben gehören ebenso zu den Aktivisten wie bärtige Männer in Militärjacken. Weiter drinnen im Lager, vorbei an einer Wand aus Autoreifen, treffe ich den Aktivisten Witali Akulow, der neben einer Fahne, die Stalin mit einer Kalaschnikow zeigt, steht. Hat der Mann nicht Millionen von Sowjetbürgern töten lassen? „Ohne einen starken Zar, der vor rigorosen Maßnahmen nicht zurückschreckt, kann man kein Imperium aufbauen“, hält Akulow dagegen. Auf den anderen Transparenten steht: „Scheiß auf EU und USA“, „Donbass zu Russland“.
Am Donnerstag vergangener Woche haben Russland, die Ukraine, die USA und die EU in Genf ein Abkommen unterzeichnet, um in der nun sechs Monate anhaltenden Ukraine-Krise für Deeskalation zu sorgen. Man kam überein, dass alle illegalen Gruppierungen die Besetzung öffentlicher Gebäude beenden und ihre Waffen abgeben sollten. Aber 48 Stunden später halten die Separatisten in der Region Donbass noch immer einige öffentliche Gebäude besetzt.
„Natürlich gehen wir nicht“, sagt Alexej Kirolow, 24 Jahre alt, der in der Cafeteria im ersten Stock gerade frühstückt. Auf einem Tisch liegen belegte Brote, Kekse, Tee und Kaffee. Jemand hat Gläser mit Gurken gespendet. Was aber ist mit Genf? „Russland hat irgendein Papier unterzeichnet. Allen war klar, dass das nicht ernst gemeint ist“, sagt Kirolow. “Putin wird uns nicht aufgeben. Wir sind seine Leute.“
Im elften Stock, den man nur über die Treppe erreicht, da die Aufzüge kaputt sind, plant die Führung der „Republik“ ihren nächsten Schritt. Hier waren früher die Abteilungen für Wirtschaft und Justiz untergebracht, nun sitzen hier erschöpfte Aktivisten und hören Radio. Am Freitag erklärte der „Volksgouverneur“ Denis Puschilin, ein gut gekleideter Geschäftsmann, gegenüber Journalisten, dass seine Unterstützer keines der besetzten Gebäude verlassen würden, bevor die „illegale“ Regierung in Kiew nicht zurücktrete. Vor der Synagoge in Donezk fanden sich Flyer mit seinem Namen, die alle Juden der Stadt dazu aufriefen, sich registrieren zu lassen, andernfalls müssten sie mit einer Strafe rechnen. Puschilin hat dies als Schwindel und „komplette Lüge“ zurückgewiesen. Woher die Flyer stammen, bleibt jedoch ein Rästel.
Warten auf Janukowytsch
Puschilins enger Kollege, Wladimir Markowitsch, erklärte gegenüber dem Observer, die Regierung in Kiew habe kein Recht, irgendetwas zu unterzeichnen: „Sie haben keine Legitimation.“ Dabei hat doch zumindest das demokratisch gewählte Parlament der Ukraine die Übergangsregierung gewählt und selbst Mitglieder von Wiktor Janukowytschs Partei der Regionen haben sie unterstützt. Hat dagegen ihn irgendjemand gewählt? „Nein, aber ich erhalte Unterstützung aus meiner Region.“
Markowitsch bezeichnet sich als „Sprecher der Republik“. Seine Aktivisten hätten sich verbarrikadiert, weil jeden Augenblick die Gefahr bestehe, dass „Faschisten“ ihr Lager stürmen. „Wir besitzen keine Waffen, haben nie welche gehabt“, sagt er. DieDemonstranten würden ihren Sit- und Sleep-In fortsetzen, bis ein Referendum über die Zukunft der Region abgehalten werde. Dies soll bis zum 11. Mai geschehen.
Da das Genfer Abkommen also bereits schon wieder Makulatur sei, hält Professor Igor Todorow von der Universität Donezk zwei Szenarien für wahrscheinlich. Entweder Russland annektiere den Osten der Ukraine nach dem Vorbild der Krim. Oder Moskau installiere eine Marionettenregierung wie in Transnistrien, der abtrünnigen moldawischen Region, die an die Westukraine angrenzt. „Der Kreml wird das in letzter Minute entscheiden“, so der Professor weiter.
Die Separatisten machen keinen Hehl daraus, dass sie sich Russland anschließen wollen. Und die USA, die EU und Kiew sprechen von erdrückenden Beweisen dafür, dass der Kreml den Aufstand mithilfe von Undercover-Soldaten und FSB-Agenten koordiniert und bewaffnet hat. Moskau dementiert dies.
Igor Todorow, der Professor unterstützt den ukrainischen Staat, äußert sich pessimistisch über die Zukunft seines Landes. Er hält es für unwahrscheinlich, dass am 25. Mai Präsidentschaftswahlen stattfinden werden, zumindest nicht im Osten. In Kiew wachse der Eindruck, dass es für die Ukraine besser wäre, sich von ihren östlichen Provinzen zu trennen, um ohne sie ein modernes europäisches Land aufzubauen.
Noch in der vergangenen Woche wurde in russischen Medien berichtet, Janukowytsch plane, am Ostersonntag in die Ukraine zurückzukehren. Er würde in seine Heimatstadt Donezk kommen, hieß es. Aber diese Berichte haben sich nicht bestätigt. Todorow glaubt trotzdem, dass der Kreml zu einem bestimmten Zeitpunkt auf ihn zurückgreift. „Ich kann mir ein Szenario vorstellen, in dem Russland Janukowytsch zurückbringt und ihn in Kiew auf einen Panzer setzt“, so der Professor.
Andrej, der das Hauptquartier der Republik bewacht, sagt, in der Region genieße Janukowytsch noch immer einen gewissen Respekt. „Ich wüsste nicht, warum er nicht zurückkommen sollte, wenn die Menschen ihm einen „lebenden Korridor“ schaffen.“ Andrej will seinen Nachnamen nicht nennen. Er sei 27, Wachmann und komme aus der nahegelegenen Stadt Horliwka. Zu seiner Verteidigung trägt er einen Baseballschläger aus Eisen und eine Splitterschutzweste. Wie lebt es sich hier in diesem besetzten Gebäude? „Nun, das hier ist nicht Zuhause, wie man sieht. Aber wir haben zu essen. Und es gibt sogar eine einfache Dusche.“ Neben Andrej gibt eine junge Ärztin Medikamente aus. An der Wand hängen Schwarzweißbilder von sowjetischen Kriegsveteranen. In der Nähe der Toiletten hat jemand mit pinkem Textmarker auf einen Karton geschrieben: „Lasst Provokateure die Toiletten putzen.“
Wie im Zweiten Weltkrieg
Ist es nicht schwierig, in wenigen Wochen ein Referendum zu organisieren? „Sehen Sie nur, wie schnell es auf der Krim ging“, so Andrej. „In den Städten und Dörfern wird die Volksabstimmung bereits vorbereitet. Wir treffen Vorkehrungen, wieder autonom zu werden. Russland hilft uns dabei.“ Der Stolz auf die Sowjetunion ist allgegenwärtig. Die Separatisten inszenieren ihren Kampf als Wiederholung des Zweiten Weltkrieges, Moskau gegen die Nazis. Auf einem Poster sind russische Soldaten zu sehen und ein Bild einer europäischen Gay-Pride-Veranstaltung: „An welcher Parade sollte Ihr Sohn teilnehmen?“
Die Besetzer mögen über mächtige Freunde in Moskau verfügen, doch für eine Stadt mit einer Million Einwohnern ist die Zahl der Unterstützer vor dem Gebäude recht dürftig. Es gibt in der Ost-Ukraine eine Mehrheit, die sich für eine größere Autonomie ausspricht und will, dass Russisch wieder den Status einer Amtssprache erhält. Laut einer Umfrage vom Februar sind die Separatisten mit ihrer Forderung eines Anschlusses an Russland allerdings in der Minderheit. Nur 26 Prozent der Ostukrainer sprachen sich dafür aus.
Akulow steht immer noch neben der Stalin-Fahne. „Mir ist egal, ob wir am Ende zu Kiew oder zu Moskau gehören, Hauptsache, wir sind selbstständig.“ Sein Leben lang sei er Mitglied der Kommunistischen Partei gewesen, „der aus der UdSSR, nicht der von heute“. Jetzt sei er 68 und im Ruhestand. Als im Westen der Ukraine Kriegsdenkmäler zerstört worden seien, habe ihn das auf die Straße getrieben.
„Mein Vater starb sehr früh. Ich war neun. Er wurde mehrmals verletzt, während er in der Roten Armee kämpfte. Wenn sowjetische Soldaten Besatzer genannt werden, empfinde ich das als zutiefst beleidigend. Deshalb sollten wir hier gewinnen“, sagt er noch zum Schluss.
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