Womöglich war alles nur ein Missverständnis und Che Guevara wollte mit seinem berühmten Satz "Eigentum ist verdinglichte Unfreiheit" gar kein politisches Statement abgeben, sondern steckte gerade mitten in einem Umzug und war einfach nur sehr, sehr genervt. Wobei es für das Produzieren dieses zweifellos aus tiefstem Herzen kommenden Stoßseufzers vermutlich schon gereicht hätte, wenn er zu diesem Zeitpunkt bloß mit Umzugsvorbereitungen beschäftigt war.
Ein Ortswechsel beginnt schließlich damit, dass man fassungslos durch die Wohnung läuft und rätselt, wo zur Hölle eigentlich dieser ganze dort aufbewahrte Kram herkommt. Und dass man beim Versuch, so etwas wie eine Logistik zu entwickeln, auf ein erstes Problem stößt, das
;t, das ähnlich unlösbar ist wie die berühmte Henne und Ei-Frage: Was gehört eigentlich zuerst für den Transport vorbereitet, der Schrank oder der Inhalt? Zerlegt man zum Beispiel erst die Vitrine, steht ihr Inhalt für eine gewisse Zeit schutzlos in der Gegend herum, verpackt man dagegen zuerst die zerbrechlichen Dinge, sind die Chancen groß, dass sich bei erster Gelegenheit ein Depp exakt diesen Karton als idealen Platz für die schweren Vitrinen-Regalbretter aussucht und sie selbstverständlich mit viel Schwung dort ablädt.Und so ist es die Hoffnung, die Umziehende aufrecht erhält, Hoffnung auf die Wissenschaftler, die ganz sicher und vor allem interdisziplinär schon seit Jahren an der Lösung des Schrank/Inhalt-Problems arbeiten und zweifellos kurz vor dem entscheidenden Durchbruch stehen, der bestimmt umgehend in den TV-Nachrichten verkündet wird, weswegen es völlig blödsinnig wäre, den Fernseher als ersten Gegenstand in die für umzugsfertige Dinge vorgesehene Flurecke zu stellen.Außerdem muss man sich die Zeit bis dahin ja irgendwie vertreiben, denn im Grunde gibt es solange nichts zu tun. Außer eine detaillierte Bestandsaufnahme zu machen, die idealerweise im Keller und/oder auf dem Dachboden beginnen sollte. Denn dort stehen sie, die vollbepackten Kartons und Kisten und Reisetaschen vom letzten Umzug, in denen all die Sachen sind, die man zwar nicht wirklich vermisst hat, die aber andererseits auch irgendwie schrecklich wichtig sind und die man eigentlich immer mal auspacken und durchgucken wollte. Wozu jetzt leider keine Zeit mehr ist, denn zum einen wäre es ausgesprochen dumm, das wunderbare Gefühl, bereits über grob 500 Kilo Umzugsfertiges zu verfügen, zu zerstören, und zum anderen muss nun so etwas wie Logistik her. Die besteht darin, alle Freunde und BekannteN über den tatsächlichen Umfang des Geplanten Aus-, Um- und Einzugs zu täuschen, um "ein bisschen Hilfe beim Tragen von ein, zwei kleineren Kartons" zu bitten und gleichzeitig möglichst kostengünstig so etwas wie das Miet-LKW-Äquivalent zur Antonov AN 225 zu finden.Unglücklicherweise lassen sich Umzugswagen-Vermieter nicht auf "och, mal gucken, wann wir genau fertig werden" als Termin ein, sondern bestehen auf exakten Zeitabgaben, was einen gewissen Zeitdruck auslöst. Was dadurch verunschönert wird, dass die Abendnachrichten keineswegs mit der Lösung des Schrank/Inhalts-Problems aufmachen, so dass nun wirklich und tatsächlich und ziemlich unwissenschaftlich mit der Haushaltsauflösung begonnen werden muss.Und kaum eine Stunde später ist es soweit, die ersten Kartons sind fertig gepackt, nachdem sich das ideale Mischungsverhältnis als ein Drittel Bücher/Papiere, ein Drittel Kleider und ein Drittel Zerbrechliches erwiesen hat. Die liebevoll beschrifteten Teile werden hübsch ordentlich in die Fertig!-Ecke gestellt - und dann ist es auch schon an der Zeit, sich einigen unerfreulichen Tatsachen zu stellen. Wie zum Beispiel der, dass die Wohnung kein Stück leerer aussieht. Und in diesem Tempo unmöglich weitergemacht werden kann. Zeit, endlich einmal auszusortieren und all das Zeugs wegzuwerfen, das man sowieso schon lange nicht mehr haben mag und nur noch aus purer Trägheit behalten hat, bleibt daher leider auch nicht.Was mit geordnetem Einpacken und detaillierten Inhaltsbeschreibungen beginnt, endet deswegen immer, immer, immer mit Kartons, auf denen in dicken Buchstaben "Krams" steht, so dass selbst Menschen mit fotografischem Gedächtnis später Mühe haben werden, sich daran zu erinnern, in welchem der halt so Sachen enthaltende Behältnisse nun der dringend benötigte Schraubenschlüssel, die Adresse des neuen Vermieters, die Computerkabel sind.Ungefähr zu diesem Zeitpunkt muss sekündlich mit dem Auftauchen irgendwelcher Dingse gerechnet werden, kleinen Gegenständen, die irgendwie wichtig aussehen, deren Sinn und Zweck jedoch völlig unklar ist. Ein typisches Dings besteht aus Hartplastik, ist oval oder halbrund geformt und weist verwirrende Ausformungen respektive Anhängsel auf, quadratische abdrehbare Noppen etwa oder dreieckige Metallspitzen oder - wenn´s ganz schlimm kommt - einen aufgeprägten Pfeil, unter dem sich ein verwirrendes Symbol oder eine mit "Caution! Do not ..." beginnende Warnung befindet.Die Farbe dieses Dings ist entweder computerbeige, blasschwarz oder technikgrau und eines steht fest: Es darf auf keinen Fall weggeworfen werden. Auch wenn über seine Funktion gleich beim ersten Blick klar geworden ist, dass es sich leider nicht um das seit dem letzten Umzug fehlende Teil handelt, das unter das hintere linke Couchbein gehört hätte. So sieht eine klassische No-win-Situation aus: Wirft man es weg, war es wichtig, behält man es, wird niemals klar werden, wozu es eigentlich auf der Welt ist, deswegen wandert es umgehend in die Kiste, in der schon alle seine Kumpels, die zum Teil bereits seit Generationen in Familienbesitz sind, wohnen.Von wem diese Kiste nun eigentlich getragen wird, ist dabei leider ungeklärt, denn selbst wenn die vorgesehenen Schlepper nicht von selber absagen, muss man sich angesichts der unglaublichen Menge an Transportgut dringend entscheiden: Möchte man einen billigen Umzug oder lieber doch auch nach dem Umzug noch Freunde haben?Leider müssen professionelle Umzugshelfer, im Gegensatz zu den meist eher stinkend faulen und nur auf energische Aufforderung hin tätig werdenden Laien, ständig überwacht werden. Nicht etwa, weil sie in einem unbeobachteten Moment irgendetwas stehlen könnten - schon das Wort Umzug bewirkt seltsamerweise selbst bei gerade angeschafften Möbeln und technischen Geräten, dass sie plötzlich schäbig und abgeranzt aussehen. Stehen sie dann noch auf einem Bordstein herum und sind den neugierigen Blicken der neuen Nachbarn preisgegeben, wirkt plötzlich selbst ein Designersessel wie ein Stück vom Billigtrödler um die Ecke.Das Problem bei den professionellen Umzugshelfern ist also ein ganz anderes: Ihr Daseinszweck ist es, Sachen zu schleppen, und wenn sie dazu keine Gelegenheit bekommen, langweilen sie sich schnell und sie beginnen, Eigeninitiative zu entwickeln. Was unter allen Umständen verhindert werden muss, denn sonst gibt es in der neuen Wohnung ein äußerst unfrohes Wiedersehen mit dem Fernseher, der bereits seit einem Vierteljahr anstelle bunter, bewegter Bilder einen kleinen weißen Punkt sendet oder mit dem Laminat-Packen, den die vom damaligen Vermieter mit der Renovierung beauftragten Handwerker im Badezimmer zurückgelassen hatten, und den man aus purer Faulheit nicht sofort zum Sperrmüll stellte, sondern in eine Wohnungsecke räumte und alle Vierteljahre mal abstaubte.Immerhin ist es bei einem Umzug im Sommer zumindest theoretisch relativ einfach, tatendurstige Träger von blindem Aktionismus abzuhalten. Natürlich hat man sich den heißesten Tag des Jahres ausgesucht, weswegen man pro 20 Kilo Transportiertes grob einen halben Liter Flüssigkeit verbraucht, wodurch leicht eine Flaschenmenge zusammenkommt, für deren Einkauf und Tragen eigentlich schon wieder eigene Helfer gebraucht würden, die natürlich ihrerseits bei der herrschenden Hitze viel trinken, so dass man theoretisch eine unendliche Menge Personal beschäftigen sollte. Tut man natürlich nicht, und so vergrößert sich die Menge Unfreiheit, die mit in die neue Wohnung ziehen sollte, unweigerlich um einen defekten Fernseher, eine halbe Tonne verpacktes Laminat und viele Bücher, die gemeinsam mit den Kartons ungeklärten Inhalts, die im Grunde nur von Keller zu Keller transportiert werden, ganz sicher irgendwann mal aussortiert und zum Sperrmüll gestellt werden. Irgendwann. Später, viel später, denn nun muss erst einmal ausgepackt werden, was ein bisschen schwierig ist, denn nur die wenigsten Kartons sind beschriftet.Immerhin stellt sich beim Einrichten das Vitrinen/Inhalt-Problem nicht, zuerst wird aufgebaut, dann das eingeräumt, was trotz der schwungvoll auf das Behältnis geworfenen Regalbretter in Scherben gegangen ist. Schade eigentlich, dass man nicht daran gedacht hat, sich zu merken, wo man das Pflaster hingetan hat, vermutlich ist es da hinten in einer der mit "Krams" beschrifteten Kisten, an die man aber im Moment sowieso nicht herankommt, weil sich bedauerlicherweise der Inhalt eines ausgerechnet in diesem Moment durchgebrochenen Kartons, in dem sich lauter rätselhafte Dingse befanden, beim Anheben in der Wohnung verteilt hatte. Auch schade, dass man sich nicht mal kurz zum Durchatmen aufs Sofa setzen kann, denn das Stück Holz, das anstelle des schon länger nicht mehr auffindbaren Dingses, das eigentlich unters linke hintere Couchbein gehört hätte, ist, ebenso wie die Standsicherung fürs Bein hinten rechts, plötzlich verschollen. Und auf dem nunmehr kippeligen Dreisitzer Platz zu nehmen, birgt das Risiko, mit Schwung im mit "Gläser" beschrifteten dahinterstehenden Karton zu landen.Vielleicht wäre das aber auch gar nicht so schlimm, denn eigentlich konnte man diese hässlichen Teile sowieso nie leiden, und vielleicht wäre es gar nicht so schlimm, wenn mindestens die Hälfte des eigenen Besitzes plötzlich verschwinden würde und man einen neuen Anfang machen könnte. Vielleicht wäre es gut, gleich beim Auspacken konsequent auszusortieren und alles, was man nicht mehr braucht, wegzuwerfen. Wobei, dazu ist eigentlich jetzt absolut keine Zeit. Dann halt beim nächsten Umzug.
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