In die Nesseln gesetzt

Kommentar Berlusconi und der Truppenabzug aus dem Irak

Am Tag nach seiner überraschenden Ankündigung, im September werde mit dem schrittweisen Rückzug der 3.200 italienischen Soldaten aus dem Irak begonnen, brauchte Silvio Berlusconi seinen Lieblingssatz nicht einmal selbst in die Mikrofone zu raunen. Jenen Zu-Satz, der so sicher auf jede Erklärung des Premiers folgt wie Sonnenschein auf Regen und seit Jahren zum römischen Fernsehalltag gehört: Alles nur ein Missverständnis! Den Eindruck, zwei Jahre nach Kriegsbeginn sei selbst einem der stursten Betonköpfe das klägliche Scheitern der Irak-Invasion klar geworden, galt es so schnell wie möglich zu zerstreuen. Berlusconi rettete sich in die beliebte Opferrolle: er sehe sich einer "Desinformationskampagne der intellektuell unaufrichtigen Presse" ausgesetzt.

Dass der so schamlos Hintergangene seine mutmaßliche "Entscheidung" vor den Live-Kameras einer Talkshow kund getan hatte, erwies sich als weiteres Eigentor. Nicht nur die Opposition nahm diese Vorlage gern an, um Berlusconis eigentümliches Demokratieverständnis zu rügen. Auch Präsident Ciampi fühlte sich verpflichtet, ein Loblied auf den Parlamentarismus anzustimmen, das zu einer wahren Gardinenpredigt für den Premierminister geriet: die Macht der Medien dürfe niemals zur Abwertung demokratischer Institutionen verführen. Entscheidungen von solcher Tragweite könne man nicht in Talkshows verkünden, dafür gebe es nun einmal das Parlament.

Was eigentlich hat Berlusconi zu seinen verfänglichen Aussagen bewogen? Offenbar ist seine Gebrauchtwagenhändlermentalität wieder einmal mit ihm durchgegangen, als sein Hofjournalist Vespa das Mikrofon entgegenstreckte: Sage mir, was du dir wünschst, und ich verspreche dir - du bekommst es. So hat der frisch toupierte Regierungschef eben kurzerhand alles versprochen, was sich sein Publikum wünschen könnte, ohne Rücksicht auf Verluste - und mit wahltaktischem Kalkül. Im April finden Regionalwahlen statt, und der aktive Part bei Bushs Golfkrieg stieß in Italien noch nie auf den Zuspruch einer Mehrheit. Da sich das Debakel des gepriesenen "Demokratieexports" angesichts der nicht abreißenden Schreckensmeldungen aus Bagdad auch mit so markigen Worten wie "Missione compiuta!" (Auftrag ausgeführt) kaum mehr verschleiern lässt, schwindet selbst unter konservativen Wählern das Verständnis. Die italienischen Soldaten und Carabinieri müssen sich im Irak genau so in ihren Kasernen verschanzen wie Amerikaner und Briten. Der Fall Sgrena und der Tod des Geheimdienstagenten Calipari - kurz vor dem "Missverständnis" über den Truppenrückzug - kamen Berlusconi daher höchst ungelegen.

So nahm er in Kauf, dass sein Lavieren in London und Washington zunächst keine Begeisterungsstürme auslöste und tat danach alles Nötige, um zum Wohlgefallen von George Bush diesen peinlichen Fauxpas zu korrigieren.


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