Die Gegend um Zittau gehört zu den Abwanderungsgebieten Deutschlands. Seit der Wende sank die Einwohnerzahl allein in der ostsächsischen Kleinstadt von 38.000 auf 25.000. Trotzdem sind hier in der Vergangenheit - zum großen Teil aus Eigeninitiative, aber auch mit Unterstützung aus Bundesmitteln und europäischen Fonds - einige interessante (sozio)kulturelle Initiativen entstanden. Dazu gehört das Kunst-Bauer-Kino in Großhennersdorf zwischen Zittau und Löbau. Das seit 1993 betriebene Programmkino erfreut sich, so Gründer Andreas Friedrich, wachsenden Publikumszuspruchs. Internationale Bedeutung bekommt die Initiative durch das Neiße-Filmfestival, das seit vier Jahren aktuelle Spiel- und Dokumentarfilme ins deutsch-tschechisch-polnische Dreil&
iländereck holt.Zu den Schwerpunkten in Großhennersdorf gehört von Anbeginn das ostmitteleuropäische Kino, präsentiert etwa als Nachspiel des Cottbuser Filmfestivals. 2004 organisierte man in Zusammenarbeit mit der Stiftung Aufarbeitung eine Veranstaltungsreihe zum Thema EU-Osterweiterung, die neben Filmvorführungen auch Lesungen und Konzerte umfasste. Im gleichen Jahr initiierte Friedrich zusammen mit Co-Festivalleiter Heiko Fischer das Neiße-Filmfestival: "Wir waren jahrelang in Cottbus, irgendwann hat es uns dann gejuckt, selber mal etwas zu machen." Als Schirmherrin konnte inzwischen die bei der Europäischen Kommission für Medien zuständige Viviane Reding gewonnen werden. Über Mittel der Euroregion Neiße-Nisa-Nysa gehört die EU zu den Förderern des Festivals, das schwerpunktmäßig Filme aus der Tschechischen Republik, Polen und Deutschland zeigt und inzwischen, neben den Hauptspielorten Großhennersdorf und Zittau, auch mit Spielstätten in Görlitz und dessen polnischer Partnerstadt Zgorzelec sowie Liberec und Varnsdorf in Tschechien zusammenarbeitet.Am Anfang war es vor allem die Sorge um die Kinokultur in der Region, die die ursprünglich acht Gründer des Kunst-Bauer-Kino umtrieb. In den Jahren nach der Wende schlossen viele Spielstätten, für andere, wie für den auf vier Säle erweiterten Zittauer Filmpalast, rechnete sich ein Weiterbetrieb nur mit kommerzieller Kost. Selbst Arthaus-Hits wie Léolo oder Die Liebenden von Pont Neuf, die in Großhennersdorf zu den ersten Programmpunkten gehörten, drohten der Region verloren zu gehen. Nachdem der ursprünglich für Oktober 1993 geplante Start wegen Totalausfalls der russischen 35mm-Vorführanlage verschoben wurde, begann man im Mai 1994 mit wöchentlichen Filmabenden im ehemaligen Kretscham, dem in der Dorfmitte gelegenen Gasthaus, das in der Oberlausitz früher gleichzeitig Ort der Gerichtsbarkeit war. Doch der Tanzsaal, in dem die Filme provisorisch im 16mm-Format liefen, wurde ein Jahr später baupolizeilich gesperrt, und so mussten sich die Kinomacher nach einem neuen Domizil umsehen.Als 1997 das Kulturcafé Alte Bäckerei eröffnete, wurde in einem Nebenraum der heute als "Saal 2" bespielte 23-Plätze-Raum in Betrieb genommen, der schon bald als kleinstes Kino Deutschlands in die Analen der bundesdeutschen Kinogeschichte einging. Wenn nötig, passten freilich auch doppelt so viele Zuschauer in den Minisaal, der mit seiner Mischbestuhlung aus Kinositzen und ausrangierten Sofas, dem Perserteppich und dem Kachelofen neben dem Projektionsfenster alternatives Wohnzimmerflair ausstrahlt. Von Anfang an wollten die Kinomacher, so Friedrich, "kein Provinzkino, sondern Kino, was einem das bringt, was man auch in der Stadt sehen kann." Mit Erfolg: der alte Kinoraum wurde schnell zu klein, und 2005 konnte ein moderner 60-Plätze-Saal in Betrieb genommen werden, errichtet mit Unterstüzung der europäischen Interreg-Förderung. Im Arthauskinobereich konnte sich das Kunst-Bauer-Kino als wichtiger regionaler Ansprechpartner für Verleiher wie Piffl-Medien, Neue Visionen oder Ventura-Film etablieren, Filme wie Das Schnitzelparadies oder Prinzessinnenbad laufen recht zeitnah zum großstädtischen Kinostart auch in Großhennersdorf an. Der ansprechend freundlich gestaltete neue Saal, Ausdruck auch einer Professionalisierung, brachte eine Steigerung des Publikumszahlen mit sich. Mit 5.000 Zuschauern, die laut Friedrich aus allen Sozial- und Altersschichten kommen, hat sich die jährliche Auslastung inzwischen um fast 50 Prozent erhöht. Andere Projekte wie das Seniorenkino scheiterten dagegen an der mangelnden Nachfrage, obwohl das Kunst-Bauer-Kino potentiellen älteren Zuschauern sogar einen Shuttle-Service angeboten hatte.Inzwischen wurde das Haus zweimal mit dem Kinoprogrammpreis der Mitteldeutschen Medienförderung und einmal mit dem BKM-Kinopreis ausgezeichnet. Unterstützung bei Land und Kommune hat man bisher nicht angefragt, nicht zuletzt, um "die Unabhängigkeit zu wahren." Dafür nimmt man bewusst in Kauf, ehrenamtlich zu arbeiten - ein im ländlichen Arthauskinobereich inzwischen weit verbreitetes Konzept, bei dem die Mitarbeiter, die sich zum großen Teil aus ehemaligen und jetzigen Angestellten der im Ort gelegenen diakonischen Einrichtung Katharinenhof rekrutieren, freilich irgendwann an die von Job und Zeitbudget vorgegebenen Grenzen stoßen.Große Sorge um die Zukunft des Kunst-Bauer-Kinos muss man sich nicht machen, trifft man in dem 2.000-Seelen-Ort Großhennersdorf doch auf ein erstaunliches Netzwerk bürgerlicher Kultur: Über dem kleinen Kinosaal befindet sich die Umweltbibliothek; die örtliche Vereinsliste verzeichnet neben dem obligatorischen Karnevalsclub und dem Rassegeflügelzüchterverein auch ein soziokulturelles Begegnungszentrum, das sich grenzüberschreitenden Begegnungen im Dreiländereck widmet. Oder Speicher e.V., ein Verein, der einen Teil des "Herrschaftlichen Schloßgutes Großhennersdorf" künftig für Kultur und Bildung nutzen will. Im benachbarten Zittau wurde, auf Initiative des rührigen Multikulturellen Zentrums, das seit über 20 Jahren brach liegende Kronenkino reaktiviert und präsentiert nun wieder jeden Mittwoch Filme, darunter auch neuere Streifen wie Die Fälscher. Im Rahmen des Neiße-Filmfestivals trat hier die DEFA-Diva Eva-Maria Hagen auf.Wenn auch die kulturelle Szene am Zittauer Gebirge hängt zwischen Ehrenamt und staatlichen Fördermaßnahmen - die Restaurierung des Kronenkinos wird durch das "Mehraufwandsentschädigungsprogramm", also 1-Euro-Jobber, ermöglicht -, so existiert doch eine Infrastruktur, die den Vergleich zu wohlhabenderen Regionen keinesfalls scheuen muss.
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