In einem Taxi nach Saanen

Literatur So deutschtumsverachtend wie schweizmüde: Christian Krachts neuer Roman „Eurotrash“
Ausgabe 10/2021
Die Schweiz: gern genutzte Kulisse für schräge Romannarrative
Die Schweiz: gern genutzte Kulisse für schräge Romannarrative

Foto: Fabrice Coffrini/AFP/Getty Images

Als im November vergangenen Jahres der Christian-Kracht-Account auf Facebook „ ,Faserland‘, die Fortsetzung, fünfundzwanzig Jahre später“, ankündigte, war Twitter binnen Minuten voller Barbourjacken- und Fisch-Gosch-Witze. Faserland, Krachts 1995 erschienener Debütroman, in dem ein so warenfetischverliebter wie angeödeter, namenloser Ich-Erzähler durch ein seltsam un-wiedervereinigtes (West-)Deutschland reiste, war seinerzeit mitunter als Dreh- und Angelpunkt der durch den Roman mitverursachten Renaissance deutschsprachiger Popliteratur gehandelt worden. Seitdem wurde jeder der vier weiteren Romane des ehemaligen Tempo-Autors und späteren Der Freund-Herausgebers, die alle statt in einer zeitgeistdurchtränkten Gegenwart entweder in der Vergangenheit oder einer alternativen Zukunft angesiedelt waren, zum Buchmarktereignis – flankiert von teils aufgeregten Debatten wie derjenigen, ob Imperium (2012), die Erzählung des Schweizer Autors über den deutschen Aussteiger August Engelhardt, „durchdrungen von einer rassistischen Weltsicht“ sei. (Georg Diez, Der Spiegel).

Ein ganz schlauer Bursche

Sich diese Debatten in Erinnerung zu rufen, ist nicht ganz unwichtig, will man Eurotrash, jene nun erschienene Fortsetzung von Faserland, verstehen. Daraus, dass die Differenzen und Nähen von Autor und Erzähler, von biografisch Erlebtem und literarisch Verschleiertem, die Kracht-Debatten seit 1995 mitbestimmten, schöpft Eurotrash nicht nur seinen Inhalt, sondern auch die krachttypische Second-Order-Hipness: „Christian Kracht ist ein ganz schlauer Bursche“, lässt der Verlag auf dem Buchumschlag ausgerechnet Peter Handke sagen – und das „ausgerechnet“ bezieht sich darauf, dass es sich hier lediglich um einen Verweis auf das 2019er-Handke-Mem „Trennung von Werk und Autor“ handelt, was natürlich bestens zu diesem auf autofiktionale Rekursionen bauenden Buch passt. Und ohne da eine Zeile des Romans gelesen zu haben, ist man bereits mittendrin im Kosmos eines Buches, in dessen Impressum steht „Dieses Buch ist ein Roman, wenn auch …“ und das mit den gleichen Worten beginnt und endet wie Faserland: „Also“ und „Bald“.

Innerhalb dieser Klammer erzählt Christian Kracht, der Autor, von Christian Kracht, dem Ich-Erzähler, der sich im Alter von 25 entschlossen habe, „einen Roman in der Ich-Form“ mit dem Titel Faserland zu schreiben, „bei dem ich mir selbst und dem Leser vorgaukeln würde, ich käme aus gutem Hause, wäre wohlstandsverwahrlost und hätte etwas von einem autistischen Snob“. Viel mehr erzählt Kracht aber – in der Jetztzeit – von Krachts Familie: dem gleichnamigen, verstorbenen Vater des Erzählers, der mit dem Vater des Autors – unter anderem Generalbevollmächtigter des Axel Springer Verlages – viel gemein zu haben schien (an englischen Maßanzügen klebte „der Geruch der deutschen Arbeiterschicht“). Und insbesondere von der Mutter Krachts, Tochter eines SS-Untersturmführers, inzwischen achtzigjährig, alkohol- und medizinabhängig, grenznormal, nach der Scheidung zwischen einem Apartment am Zürichsee und diversen Kliniken pendelnd.

Mit ihr unternimmt der Erzähler eine Taxireise durch die Schweiz, in einer Plastiktüte 600.000 Franken, Rendite aus „Waffenaktien“. Geld, das sie, auf dem Weg nach Saanen, dem Geburtsort auch des Autors, verschenken wollen. Die kryptofaschistische Kommune, bei der sie übernachten, bekommt das Geld garantiert nicht, auch die von der zwischenzeitlich fast übersinnlich, immer klarer, grandios einfallsreich scheinenden Mutter als die drei Hexen aus Macbeth identifizierten Frauen auf dem per Seilbahn erreichten Col du Pillon gehen leer aus.

Schließlich, nach einem Abstecher zu Borges’ Grab in Genf, steuert das Taxi eine Klinik an, von der die Mutter denkt, es sei Afrika, wohin sie sich – letzte Reise – wünscht. Während alledem erzählt ihr der Sohn eine Geschichte nach der anderen, und so entsteht dieses Buch, so haarsträubend wie amüsant, so grollend und voller Abscheu, so deutschtumsverachtend wie schweizmüde, so trotzig wie zärtlich: Wie Kracht kürzlich in einem Zeitungsinterview erzählte, ist seine Mutter am Tag nach der Manuskriptabgabe verstorben. Sollte sie Ähnlichkeit mit der Romanfigur gehabt haben, vieles spricht dafür, ist Eurotrash ein sanftes Denkmal, eine selbstzerrissene Verneigung – und eine Wendung in Krachts Werk: von nun an Liebe.

Info

Eurotrash Christian Kracht Kiepenheuer& Witsch 2021, 210 S., 22 €

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