Mancherorts liest man den Aufruf, die aktuellen Quarantäne-Auflagen gegen die Ausbreitung des Corona-Virus auch als Moment der Entschleunigung zu genießen, als Chance der Besinnung und Zeit für sich und die Familie. Aber was, wenn dieser Rückzugsort keiner ist und erst recht nicht in Zeiten einer Krise? Dass das Zuhause für Frauen ein besonders gefährlicher Ort ist, gehört inzwischen fast schon zum Allgemeinwissen, dennoch erfährt das Problem auch in der gegenwärtigen Krise keine Berücksichtigung in den Sicherheitskonzepten. Das ist fatal.
Denn nehmen soziale Probleme zu, dann fungiert die Familie als ihre Endhaltestelle. Begreift man Gewalt gegen Frauen als Verteidigung der männlichen Vormachtstellung in hierarchischen Geschlechterverhältnissen, wie feministische Theoretiker*innen und Aktivist*innen es seit jeher argumentieren, ist leicht abzusehen, dass Männer ihr ökonomische Prekarisierung und Unsicherheit dadurch zu kompensieren versuchen. Zahlen gibt es dazu noch wenige, weil schlicht das staatliche Interesse fehlt. Eine geschlechtersensible Auswertung der allgemeinen Straftatenstatistik 1994-2014 für England und Wales kam jedoch zu dem Ergebnis, dass Gewaltverbrechen gegen Frauen. Insbesondere in der Familie, seit der Wirtschaftskrise 2008/09 zugenommen haben. Neben männlichem Vormachtstreben lässt sich das aber auch darauf zurückführen, dass Frauen in Wirtschaftskrisen gefährlichen Situationen zuhause häufig nicht mehr entfliehen können, sei es, weil sie es sich nicht leisten können, sei es, weil Hilfesysteme und soziale Dienstleistungen den einhergehenden Austeritätsmaßnahmen zum Opfer gefallen sind.
In der jetzigen Pandemie spitzen sich diese Zusammenhänge allerdings noch einmal zu. Aus China melden Frauenorganisationen nicht nur einen massiven Anstieg von Partnerschaftsgewalt während der Quarantäne, hervorgerufen durch ökonomische wie persönliche Unsicherheit. Sie berichten ebenfalls von Schwierigkeiten mit staatlichen Autoritäten, wenn es darum geht, trotz Ausgangssperren und Reiseverboten, Frauen aus gewaltvollen Verhältnissen herauszuholen. Viele Zufluchtsorte für Frauen seien zudem in Unterkünfte für Obdachlose umfunktioniert worden. In Italien diskutiert die feministische Bewegung deshalb, wie sie die „Selbstverteidigung“ von Frauen organisieren kann. Solange Frauen nicht als besondere Risikogruppe anerkannt wird, scheint ihnen nichts Anderes übrig zu bleiben.
Kommentare 14
"In Krisenzeiten werden Männer gewalttätiger"
Nöö. In Krisenzeiten werden alle gereizter, nicht mehr und nicht weniger.
Ein echtes Problem in Zeiten von Isolation ist häusliche Gewalt, das stimmt, da man ihr kaum entkommen kann. Allerdings:
"Dass das Zuhause für Frauen ein besonders gefährlicher Ort ist, gehört inzwischen fast schon zum Allgemeinwissen".
Ich weiß nicht so recht ob wirklich für ALLE Frauen das Zuhause ein besonders gefährlicher Ort ist. (->"sein kann", oder?).
Wenn das so formuliert wird, wirkt das sofort übertrieben und erreicht weniger Menschen.
Abstand halten! Halten Sie Abstand!
Das hört man nun immer öfter und immer mehr. Das wird dazu beitragen, dass der Zusammenhalt und Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung zurück gehen werden!
Das ist zwar nicht neu…
In Essen sollen mehrere Passanten an einem gestürzten Mann vorbeigegangen sein, ohne ihm zu helfen. Betroffen war diesmal ein im Rollstuhl sitzender Rechtsanwalt und Fußballspieler-Berater.
https://rp-online.de/nrw/panorama/erneut-ignorieren-passanten-in-essen-einen-hilflosen-mann_aid-19688141
…jedoch noch nicht flächendeckend.
Was kommt auf Deutschland zu? Selbst anerkannte Fachexperten können nicht einschätzen, wie Professor Karl-Heinz Leven vom Institut für Geschichte und Ethik der Medizin in Erlangen, im Interview mit der web.de Redaktion:
„Man wird sehen, wie es sich auf das Lebensgefühl der Menschen auswirkt, dass man jetzt die sozialen Einrichtungen, die Schulen, die Betreuungsstätten zugemacht hat… Interessant ist heute, dass die Politik uns sagt: Wenn sie jetzt Nächstenliebe zeigen wollen, dann halten Sie sich mit Sozialkontakten zurück. Das ist virologisch sehr vernünftig, heißt aber eben auch, dass man das Vermeiden von Sozialkontakten gleichsam als Nächstenliebe ausgibt. Das ist soziologisch ein interessantes Experiment, von dem man noch nicht weiß, wie das ausgehen wird.“
Der Autor hat eigentlich recht.
Denn wenn wir die regionalen/überregionalen und globalen Kriminalstatistiken analysieren würden, so kämen wir zur Erkenntnis, dass es bei Gewaltdelikten und z.B. speziell Sexualdelikten überproportional mehr Männer als Täter fungieren, im Gegensatz zu Frauen. Nun hat aber die Krise die Anzahl der Delikte absolut erhöht. Ein kausaler Zusammenhang kann sehr wohl festgestellt werden, da Emotionen wie Angst, Unzufriedenheit, Ärger, Hass oder Unsicherheit die Taten oft beeinflussen. Auch u.a. deswegen geschehen nicht wenige Straftaten unter Alkoholeinfluss, der die Ausprägung der Gefühle und Emotionen erhöht oder mindert.
Dann möge der Autor bitte schreiben "manche Männer", von mir aus auch "viele Männer", wenn unbedingt quantitativ argumentiert werden muss. Eine Aussage wie "werden Männer gewalttätig" bedeutet für jemanden wie mich, der zu Zeiten sozialisiert wurde, in denen Sprachgenauigkeit noch etwas bedeutete, soviel wie "alle Männer werden gewalttätig". Und das ist falsch.
Ergänzung: Der Autor schreibt "werden Männer gewalttätiger", das heißt, sie alle waren und sind schon immer gewalttätig (und werden es in Krisenzeiten noch mehr). Das ist Humbug.
Aber vielleicht darf ich einfach keine zu hohen Ansprüche an Sprachgenauigkeit mehr stellen.
die imaginierten harmonien sind hin.
die scheinbare "über-fluß-gesellschaft" zeigt ihre knappheiten.
Es ist ja nicht nur die Sprachgenauigkeit, die in diesem wie in ähnlich ausgerichteten Artikeln auf der Strecke bleibt. Die Methodik wäre zu allererst anzukreiden. Das unzweifelhaft bestehende Problem der Gewalt, die von Männern verursacht wird, wird mit Hilfe der Krise wie in einem Brennglas so vergrößert, dass alle anderen Formen von Gewalt davon verdeckt werden. Physische Gewalt gegenüber Kindern wird in diesen Zeiten genauso zunehmen wie Gewalt gegenüber Älteren oder Schwächeren. Und daran werden Frauen als Täterinnen einen nicht geringen Anteil haben. Es explodiert auch die psychische Gewalt, die dann Auslöser für physische Gewalt wird. Indem all das weder in diesem Artikel noch in anderen Artikeln, die daneben veröffentlicht werden, dargestellt wird, verkommen solche Publikationen zur Lüge. Man könnte es auch interessegeleiteten Lobbyismus nennen, denn es geht nicht um Gewaltopfer an sich, sondern um eine ganz spezielle Klientel.
Das stimmt meines Erachtens und ist ein grundlegendes Problem dieser vom Autor angelegten Sichtweise (die freilich nicht auf ihn begrenzt ist). Aber mit Kausalrelationen ist es so eine Sache: Viele suchen sich die raus, die zu ihren Thesen passen und ignorieren den Rest bzw. machen ihn suspekt, wenn er ihren Absichten entgegenläuft. Außerdem glaubt eine fundamentalmoralistische Sichtweise offenbar, an die Irrelevanz von Gründen lauben zu können, die zu Gewalt an Frauen führt, sobald diese Gründe nicht auf die Verkommenheit der Männer hinauslaufen.
Mit Ihrer Aussage haben Sie auch recht. Ihr Standpunkt ist mir nicht sofort eingefallen. Sorry.
Tja das ist der kleine Unterschied, ob man "alle" lesen möchte, wenn nichts vorm Substantiv steht, weil man sprachliche Ungenauigkeit monieren will oder ob man auch nur sprachlich ungenau sein will, um zu verschleiern oder Aussagen zu entwerten, um im Nachgang die Macht über Aussagen zu haben. Der Ausdruck "werden Männer gewatltätiger" ist einer , der die abstrakte Sprachebene des konkreten Inhalts eines Sprechaktes ausdrückt. Es ist die qualitative Metaebene von Sprache gemeint und damit korrekt, ganz ohne quantitative Praxis der "alle", "viele" oder "wenige".
Um "die Macht über Aussagen zu haben", wow. Irgendwann in den letzten 20 Jahren scheint das Wissen darüber verlorengegangen zu sein, was ein Diskurs ist. Aber natürlich, wenn es um "die abstrakte Sprachebene des konkreten Inhalts eines Sprechaktes" und die "qualitative Metaebene von Sprache" geht, dann ist klar, dass selbst Dummsprech mit erhabener Bedeutung geladen sein kann. Ich gebe Ihnen also recht; was immer Sie mit ihrer Darlegung gemeint haben mögen, es wird in Ihrem Narrativ schon passen. Was Herrn Wischnewski betrifft, so denke ich allerdings nach wie vor, es geht ihm darum, dass Männer in Zeiten von Corona gewalttätiger werden, und was ich davon halte, hat sich durch Ihren ... wie sage ich es? Einwand? ... nicht geändert.
Es gäbe eine geniale?/einfache Lösung für das männliche Gewaltproblem. Unsere PolitikER zögern aber noch (unverständlicherweise):
https://www.youtube.com/watch?v=TDgTt7DswoY
Männer meinen ja immer alles zu können. In der Krise stoßen sie an Grenzen. An Grenzen ihrer selbst.
Wir müssen uns zusammenreissen! Frauen und Kinder brauchen nun echte Männer. Keine Paniker.