In Leipzig sind Mieter Wächter

Häuserkampf II Das berühmt gewordene Wächterhaus-Modell bietet billigen Freiraum, allerdings nur auf begrenzte Zeit
Ausgabe 42/2014

Wächterhäuser, diese in Leipzig entwickelte und berühmt gewordene Form der temporären Immobiliennutzung, gelten als Musterbeispiel, wie man Nachfrage nach preiswertem Freiraum und Quartierssicherung zusammenbringen kann. Kritiker allerdings sehen in diesem Modell ein, wenn auch nicht intendiertes, Moment der Gentrifizierung.

„Bewachung durch Nutzung“: Auf diese Formel bringt Fritjof Mothes vom dafür zuständigen Haushalten e.V. die Idee. Vor zehn Jahren suchte eine Gruppe aus Planern, Architekten, Stadtteilbewohnern nach Lösungen, um dem baulichen Verfall speziell im Westen der Stadt zu begegnen. Es ist kein Zufall, dass dort später das Zentrum des Leipzig-Hypes lag. „Grundlage waren Unmut und Verzweiflung über die besonders an den Hauptverkehrsstraßen zusammenfallenden Altbauten“, sagt der freiberufliche Stadtplaner. „Es ging um die Rettung denkmalgeschützter, städtebaulich wichtiger Bausubstanz. Es gab vor zehn Jahren Leerstand, aber kein eingespieltes System, wie Projekte, Gruppen oder Vereine sich solche Objekte für eine gewisse Zeit aneignen können.“ Das wurde nach Aussage von Fritjof Mothes mit den Wächterhäusern nun gefunden.

Aufwertung durch Kultur

Dabei überlässt der Eigentümer den Nutzern sein Gebäude für einen befristeten Zeitraum, üblicherweise fünf Jahre. Zu zahlen sind lediglich die Betriebskosten, dafür müssen die Räume in Eigenleistung gestalten werden. Die Nutzung als Wohnungsraum ist ausgeschlossen – auch wenn das nicht alle Nutzer einhalten –, weil sonst das Mietrecht aktiv wird. Die sogenannten Gestattungsverträge nennt Mothes eine „Konstruktion, die allen Seiten Sicherheit gibt“. Derzeit existieren 16 Wächterhäuser, von denen acht bereits in neue Nutzungsverhältnisse überführt wurden. Andere ostdeutsche Städte haben das Modell übernommen.

Freiraum für wenig Geld: Das kann es nur in schrumpfenden Städten geben. Nun aber wächst Leipzig wieder jährlich um rund 10.000 Einwohner. Die Mietsteigerungen fallen im Bundesvergleich zwar noch moderat aus, aber der Zuzug konzentriert sich auf wenige Quartiere. Die Karawane zieht dorthin weiter, wo es noch Raum gibt, kann man achselzuckend meinen. Gerade ist ein neues Wächterhaus im nordöstlichen Stadtteil Schönefeld entstanden.

Genau diese Entwicklung kritisiert Roman Grabolle vom Immobilienkollektiv Central. Was sei denn das Versprechen der Zwischennutzung unter den derzeitigen Marktbedingungen, fragt er. Wie entwickelt sie sich im weiter anziehenden Immobilienmarkt? „Sie stellt ja Privateigentum und Rendite nicht in Frage, im Gegenteil.“ Manche Investoren beziehen das Wächterhausmodell in ihre Planungen ein, spielen bewusst die Karte kultureller Aufwertung. „Es gibt einen bekannten Bauträger“, erzählt Grabolle, „der hat am Stück über 60 Häuser gekauft und saniert diese Block für Block. Aus einem Eckhaus wurde 2011 ein Wächterhaus. Dieses Jahr enden die Verträge und danach kommen potente Mieter.“

Für Mothes wiederum ist das normale Stadtentwicklung. „Eine Stadt ohne Entwicklung ist tot.“ Zwischennutzung könne deshalb nicht die Antwort auf alle Probleme sein. Deshalb reagiere Haushalten e.V. mit Ausbauhäusern, die auf unbefristete Verträge und Selbstausbau setzen. Und wenn der Wächterhaus-Vertrag ausläuft? Das erste Haus haben die Bewohner mit Haushalten-Unterstützung gekauft. „Andere wurden in normale Mietverträge mit sehr günstigen Konditionen umgewandelt“, sagt Mothes.

Das sieht Dirk Förster, Geschäftsführer vom Lofft, anders. Das freie Theater hat seit 2006 Büroräume in einem 2009 entlassenen Wächterhaus angemietet. „Es gab eine Vereinbarung, die Miete bis Ende 2010 nicht und danach maximal 20 Prozent pro Jahr anzuheben. 2011 wurden wir sofort mit erheblich höheren Forderungen konfrontiert. Gleichzeitig verschlechterte sich der Zustand des Hauses rapide. Wahrscheinlich, um die Mieter zum Ausziehen zu bewegen. Also das Gegenteil vom Ziel des Wächterhausmodells.“ Auf die Bitte um Unterstützung habe Haushalten e.V. leider nicht reagiert.

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