In Malmö Mensch

Ausbildung In Nottingham ein Nichts: Jungen Bürgerkriegsflüchtlingen wird geholfen. Aber nur wenn sie im richtigen Land landen
Ausgabe 14/2018
Sie befinden sich hier. Europa ist einladend bunt und kann mit dem Finger frei befahren werden
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Foto: Markus Heine/Nurphoto/Getty Images

Noor und Ammar sind zwei Jungen im Teenageralter, beide haben gefährliche Reisen nach Europa hinter sich und kamen im Alter von 16 Jahren unbegleitet an. Beide wirken intelligent, ehrgeizig, entschlossen. Noor, aufmerksam und selbstbewusst, sieht einem direkt in die Augen, wenn er redet. Er ist Ammar nie begegnet, könnte aber für sie beide sprechen. „Ich war sechs Monate unterwegs“, erzählt er, „und wusste lange nicht, wo ich ankommen werde.“

Hier hören die Ähnlichkeiten auf, weil Ammar, der aus Syrien stammt, in Großbritannien Asyl beantragt hat, während Noors Flucht aus Afghanistan bis nach Schweden führte. Ihre Erfahrungen sind Gegenstand eines Forschungsprojektes über die Ausbildung von Flüchtlingen, das von den Universitäten Nottingham und Lund vorangetrieben wurde. Das Ergebnis ist für britische Bildungspolitiker wenig schmeichelhaft.

Neuankömmlinge in Schweden sitzen spätestens einen Monat nach der Ankunft in der Schule und dürfen dort lernen, bis sie 20 sind. Wer in Großbritannien landet, findet oft keinen Schulplatz, besonders wenn der Betreffende in einem Alter ist, in dem sich einheimische Schüler auf den Realschulabschluss GSCE vorbereiten. Noor war innerhalb eines Monat bei einer Pflegefamilie in Malmö untergebracht und ging zur Schule. Ammar kämpfte in Nottingham monatelang um einen Schulplatz. Am Ende durfte er Kurse besuchen, die nicht seinen Wünschen entsprachen.

Nach seiner Ankunft wurde Noor als erstes in ein „Välkomsten“, ein Willkommenszentrum, gebracht, wo ihm bald ein Platz in der Nicolaiscolan von Malmö zugewiesen wurde. Er konnte Schwedisch lernen, Geld war kein Thema. In ihrem früheren Leben hatten Noor und sein Freund Samir als Kinderarbeiter mit dem Schneidern Geld verdient. Daher wurden sie ermutigt, in Malmö ein Geschäft für Einkaufstaschen aus Stoff aufzuziehen. Mit Erfolg: Ihr Design erwies sich als so beliebt, dass sie heute mit der Produktion kaum nachkommen. „Seit ich zur Schule ging, wurde alles besser für mich“, sagt Noor. „Ich fand dadurch neue Freunde in Schweden.“ Als er davon spricht, hören Henry Kulaya und Sally Coulton zu, zwei Schulleiter aus Nottingham, die wegen des Forschungsprojekts in Schweden zu Besuch sind. Coulton ist die Direktorin der Ellis Gilford School, der einzigen städtischen Sekundarschule in Nottingham, die von der Kommune gezwungen werden kann, Flüchtlinge aufzunehmen, alle andere Anstalten sind zu spezialisiert. Wie man mit jungen Flüchtlingen in beiden Ländern umgehe, das unterscheide sich sehr, findet die Schulleiterin „Schweden sieht sie als Menschen, die etwas zur Gesellschaft beitragen können.“

Und Großbritannien? Ammar gehört zu den Einwanderern, die dort willkommen sein sollten, kommt er doch aus einer gebildeten syrischen Familie, lernt schnell und will Medizin studieren. Doch als er im Vorjahr in Nottingham eintraf, wurde sein Potential ignoriert. Obwohl Ammar in Syrien kaum noch zur Schule gehen konnte, tat er alles, um weiter zu lernen. Er ließ seine Familie zurück und riskierte die Fahrt übers Mittelmeer nach Griechenland. Von dort schlug er sich zu einer Tante in Nottingham durch, nicht zuletzt vom Wunsch beseelt, wieder eine Schule zu besuchen. „Meine Tante ging mit mir zur Stadtverwaltung und füllte Formulare aus. Ich bekam zu hören, man werde einen Brief schicken, aber der traf nie ein.“ Zunehmend deprimiert wartete Ammar sechs Monate: „Mir wurde langsam klar, dass mein Leben hier nicht gut verlaufen würde.“ Irgendwann bekam er einen Schulplatz, freilich nur für Englisch, Mathematik und Informatik, nicht für die Fächer, die er braucht, um Medizin zu studieren.

Im Augenblick sorgt sich Direktorin Coulton von der Ellis Guilford-Schule gerade um einen vietnamesischen Schüler, den Schlepper nach Großbritannien geschleust hatten. Er kam in eine Pflegefamilie und begann im September mit der Schule. Nur kurze Zeit später teilte ihm die Immigrationsbehörde mit, ein Visa-Antrag mit seinem Fingerabdruck beweise, dass er 18 sei. Er müsse daher die Schule verlassen, die ihn betreuende Familie ebenso, was in Schweden undenkbar gewesen wäre. Einen Tag, nachdem der Vietnamese von seiner Zurückweisung erfuhr, war er verschwunden. „Wir befürchten, dass er wieder in der Hand der Schlepper ist“, sagt Coulton.

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