In Zukunft Schnick, Schnack, Schnuck

Halloween Unsere Kolumnistin ist eine verlässliche Süßwarenausgabestelle. Aber so geht es nicht weiter
Ausgabe 43/2021
Dieses Jahr fällt Halloween auf einen Sonntag. Für diejenigen, die den Brauch erhalten wollen, heißt das: aufstocken
Dieses Jahr fällt Halloween auf einen Sonntag. Für diejenigen, die den Brauch erhalten wollen, heißt das: aufstocken

Foto: John Lamparski/Getty Images

In meinem Viertel lastet der Süßes-oder-Saures-Brauch zu Halloween auf den Schultern von zwei, drei Schlüsselfiguren. Ich fürchte, ich bin eine von ihnen. Unterstützt werden wir vom lokalen Einzelhandel und der Gastronomie, die auch einige Fässer Süßigkeiten bereithalten.

Doch dieses Jahr fällt Halloween auf einen Sonntag. Das bedeutet: Der Einzelhandel ist komplett raus, die Gastronomie und ich sind auf uns allein gestellt. Und das in einer sowieso schon zugespitzten Situation: Weil letztes Jahr der Coronagrusel den Süßigkeiten-Erpressern einen deutlichen Dämpfer gegeben hat, sind Nachholeffekte zu befürchten. Wir, die letzten Stützen dieses Brauches, müssen uns dafür rüsten. Das bereits erwachsene Kind muss sein Zimmer vorübergehend räumen, damit wir dort die Süßigkeiten stapeln können.

Denn es wird wie immer sein: Sobald sich herumspricht, dass wir eine der drei letzten privaten Süßigkeitenausgabestellen im gesamten Viertel sind, erklimmen die Kinder in Scharen unser viertes Stockwerk. Die Herunterkommenden werden von den Heraufkommenden gefilzt, um zu erkennen, ob sich denn der Aufstieg auch lohnt.

Ja, er lohnt, aber dann: Große Entrüstung, die anderen hatten bessere Riegel abgegriffen. „Kannst du mal gucken, ob wir noch einen Schoko-Mix-Nuss-Amaranth-Riegel dahaben?“, schreie ich nach hinten ins Halloween-Lager. „Mit oder ohne Gluten?“, tönt es zurück. Fragend schaue ich das als Kind verkleidete Kind an (wahrscheinlich für Leute kostümiert, die vor Kindern Angst haben). „Egal“, frohlockt es leise. „Is’ egal“, brülle ich nach hinten.“ Doch, o weh!: „Gar keine mehr da!“, heißt es jetzt. „Tut mir leid, alle alle.“ – „Total unfair“, schlägt es mir entgegen. Hmpf!

„Vielleicht wirfst du mir nächstes Jahr einen Bestellzettel in den Briefkasten, damit das besser klappt“, schlage ich beleidigt vor. Die erwachsene Begleitperson, die eine halbe Treppe tiefer in ihr Handy tippt, schüttelt missbilligend den Kopf. Klar war das fies. Aber liebe Halloween-Eltern, bitte denkt auch an die Situation derjenigen, die diesen Spaß am Laufen halten. Wenn bekannt wird, dass ich hier ohne Ende leckere Süßigkeiten vorrätig habe und total nett bin, dann passt bald keiner mehr ins Treppenhaus.

Überhaupt geht es so einfach nicht weiter: In kinderreichen Vierteln schafft die Halloween-Struktur ein soziales Ungleichgewicht. Die Arbeitsverdichtung für Halloween-Süßigkeitenausgeber ist extrem. Denn ist ja klar: Je mehr halloweenekstatische Familien um die Häuser ziehen, umso weniger Leute sind in diesen Häusern noch drin. Und die darin Verbliebenen ächzen unter Überbelastung, bekommen Burn-out, flüchten zu Halloween. Hab ich auch schon gemacht.

Bedenkt, was passiert, wenn sich euren Kindern keine Tür mehr öffnet. Denkt an die traurigen Zombie-, Feen-, Hirnchirurgen- und Prinzessinnenaugen, die euch dann anschauen werden. Aber, hier kommt Rettung. Ich habe eine Reformidee, die Halloween auch für die Halloween-Leistungsträger attraktiver machen wird. So attraktiv, dass eure Kinder vielleicht sogar schon in jungen Jahren selbst Leistungsträger werden wollen. Es ist ganz einfach. Ihr bringt mir Süßigkeiten mit. Geschenke, damit ich euch nicht verwünsche, zum Teufel jage, euch mit Konfetti bewerfe, mit Marmelade einschmiere oder mit Klopapier umwickle. Damit das Ganze spannend bleibt, wird es per Schnick, Schnack, Schnuck entschieden. Der Gewinner kriegt Süßigkeiten, der Verlierer muss abgeben.

Das wäre fair, das wäre eine gesunde Struktur, die dauerhaft Begeisterung bei allen Beteiligten erhalten kann. Ich glaube, ich beginne schon dieses Jahr damit. Also überlegt gut: Wollt ihr bei mir läuten oder nicht?

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