Indikator Baseballschläger ungenügend

GEWALTBEREITSCHAFT UND RECHTSEXTREMISMUS Die Mehrheit der antidemokratisch gesinnten Jugendlichen wird nicht auffällig - und von Sozialarbeitern übersehen

Welche Jugendlichen sind eigentlich rechts? Blöde Frage: Rechts oder rechtsradikal sind natürlich alle, die Ausländer verprügeln, NS-Symbole zeigen und mit geschorenen Köpfen durch die Straßen laufen. Diese Jugendlichen fühlten sich nicht angenommen, sähen ihre Zukunft unsicher und lebten in der Gegenwart schlecht, erklären Sozialwissenschaftler. Der Zusammenhang von Gewalt und sozialer Benachteiligung war bislang selbstverständlich. Die Erziehungswissenschaftler Gudrun-Anne Eckerle und Bernhard Kraak haben darüber nun eine Studie angestellt (*) und gerade bei gewaltbereiten Jugendlichen diesen Zusammenhang nicht gefunden. Stattdessen warnen sie: Autoritäres Gedankengut sei unter unauffälligen Jugendlichen stärker verbreitet als erwartet. Wir dokumentieren Auszüge der Untersuchung.

Die Annahme, dass gewalttätige Jugendliche in irgendeiner Weise zur kurz gekommen sein müssten, scheint vielen plausibel. Der weitergehende Schluss, dass nämlich gewalttätige Jugendliche antidemokratisch und ausländerfeindlich eingestellt seien, ist deshalb den meisten Untersuchungen zu eigen und verhindert, dass diese Annahme angemessen geprüft wird.

Tatsächlich gibt es Anhaltspunkte dafür, dass die als gewalttätig auffälligen Jugendlichen wenig über rechtsextreme Politik wissen. Außerhalb der viel beachteten Szene wächst dagegen weitgehend unbeachtet eine sehr große Gruppe von Jugendlichen mit antidemokratischen politischen Auffassungen heran. Allgemein gilt für das Verhältnis zwischen beiden Gruppen: Gewalttätigkeit von Jugendlichen ist ein Indikator für antidemokratische Einstellung, antidemokratische Einstellung aber nicht für Gewalttätigkeit.

In der Studie wurden 5.356 Jugendlichen folgende Aussagen vorgelegt: "Was unser Land vor allem braucht, sind mutige und entschiedene politische Führer, denen sich das Volk anvertrauen kann" und "Das Problem mit der Demokratie ist, dass viele Menschen zu dumm dafür sind oder verrückte Ideen haben". Die meisten stimmten den Aussagen zu; auf einer Skala von fünf Stufen antworteten auf die Frage nach der politischen Führung 79 Prozent mit den drei höchsten Stufen, davon 23 Prozent mit der höchsten Stufe. Wir wollen diese Jugendlichen im Folgenden antidemokratisch eingestellt nennen.

Sehr viel weniger aller Befragten stimmten hingegen der Frage zu, ob sie zur Durchsetzung eigener Ziele Gewalt aktiv ausüben würden. Nur 37 Prozent antworteten mit den drei höchsten Stufen. Vergleicht man den Anteil von gewalttätigen Jugendlichen mit der Gesamtzahl der Befragten und mit dem Anteil der antidemokratisch eingestellten Jugendlichen, ergibt sich zunächst eine Steigerung des Gewaltpotenzials, die unerwartet niedrig ist. Der Unterschied beträgt nur etwas mehr als 6 Prozent, ein erster Hinweis darauf, dass Gewalt und rechte politische Einstellungen nicht aneinander gebunden sind. Mit Ausnahme von Riga sagen weniger als 40 Prozent der antidemokratisch eingestellten Jugendlichen von sich, dass sie gewalttätig seien. Dagegen stimmt eine größere Zahl der antidemokratischen Jugendlichen ausländerfeindlichen Aussagen zu, im Durchschnitt etwa 53 Prozent.

Weder Gewalttätigkeit noch Ausländerfeindlichkeit stehen also nach unseren Beobachtungen in einer systematischen Beziehung mit antidemokratischen Überzeugungen, sondern ihr Verhältnis variiert in den verschiedenen nationalen Stichproben. Der in der öffentlichen und in der Fachdiskussion so oft berichtete Zusammenhang betrifft nur den Schluss, dass nämlich gewalttätige Jugendliche antidemokratisch und ausländerfeindlich eingestellt seien.

Wir weisen mit Nachdruck auf die Gruppe der resignierten, nicht gewaltbereiten Jugendlichen hin, diese machen ein Viertel aller Jugendlichen aus, die antidemokratischen Einstellungen zustimmen. Das ist dramatisch viel. Hier haben wir eine der nicht gewalttätigen Gruppierungen identifiziert, die insbesondere in der ostdeutschen Stichprobe keine nennenswerten, in den anderen nur schwache Indikatoren für Gewalttätigkeit erkennen lässt, also still ist und von der auf öffentliche Zustimmung und Ausstattung angelegten Hilfsbereitschaft der professionellen Jugendhilfe und Jugendpflege nicht beachtet wird.

Keine Welt ohne Grenzen

Abschließend wurde in einer so genannten Befindlichkeitsanalyse das Denken aller befragten Jugendlichen untersucht. Es kristallisierte sich ein Denktypus heraus, der in der Autoritarismusforschung als kennzeichnend für eine autoritäre Persönlichkeit bezeichnet wird. Die Jugendlichen haben ein dichotomes Weltbild, das durch das Urteil, wer zur eigenen Gruppe/Gesellschaft gehört und wer ausgegrenzt wird, gekennzeichnet ist. Dabei sind es keineswegs nur die sogenannten Ausländer, die ausgegrenzt werden, sondern auch Mitglieder der eigenen Gesellschaft, die hier plakativ die Unnützen und die Bösen genannt werden. Sie abzuwehren und unberechtigte Ausländer auszuschließen, insofern die Dazugehörigen zu unterstützen ist Aufgabe der politischen Führung. Und von uns unerwartet war dabei die Unabhängigkeit von Gewalt und politischer Einstellung.

Weitet man den Blick auf die Lebenssituation der Jugendlichen, wird anschaulich, dass die antidemokratisch eingestellten Jugendlichen andere sind als die gewalttätigen. Für diese ist eine auffällig starke Einbindung in Gleichaltrigengruppen kennzeichnend, während nur antidemokratisch, aber nicht gewalttätig eingestellte Jugendlichen stärker an eine informelle persönliche Umgebung gebunden sind. Überdurchschnittlich hoch ist unter ihnen die Angabe, dass sie bei ihren Freunden Ansehen genießen. Diese Jugendlichen sind in ihrem Verhalten, auch nach ihren Schulleistungen nicht negativ auffällig. Sie fallen durch eine Neigung zu Ordnungstugenden auf, was sie bei Erwachsenen vermutlich eher beliebt macht und erklärt, weshalb auch alle Auskünfte über soziale Kontakte zur älteren Generation positiv sind. Antidemokratische Einstellungen laufen deshalb mehr auf Unterordnung als auf Aufsässigkeit hinaus.

Die Jugendlichen der gewaltbereiten Mentalität lassen aus dem Spektrum rechter Einstellungen vor allem erkennen: die starke Bindung an die Gruppe, die Ausländerfeindlichkeit und darauf bezogen ein Gefühl des Bedrohtseins, auf das sie mit der Demonstration eigener Stärke reagieren. Dieses Gefühl des Bedrohtseins folgt aber nicht oder nur zum geringeren Teil dem Erleben eigener Chancenlosigkeit, dies ist vielmehr die Befindlichkeit der resignativ reagierenden Jugendlichen. Näher liegt die Interpretation, dass die Demonstration eigener Stärke vorwiegend als Verhaltensstil innerhalb der Gruppe inszeniert wird. Die besondere Aufmerksamkeit der Medien gegenüber vermeintlich evidenten Hinweisen auf rechtsradikale Gesinnung ist unter den gewaltbereiten Jugendlichen darüber hinaus ein verführerisches Motiv für die Lust an Randale.

Problematisch ist, dass über dieser vereinfachenden Zuschreibung die politisch tatsächlich relevante Entwicklung übersehen wird. Die breite Tendenz der Jugendlichen nach rechts hat keinerlei skandalöse Begleiterscheinungen.

Die Studie "Subjektive Befindlichkeit von Jugendlichen im innerdeutschen und europäischen Ost-West-Vergleich" wurde von der Universität Rostock und dem Deutschen Institut für Internationale Pädagogische Forschung in Frankfurt am Main 1995 und 1996 in sechs europäischen Großstädten (Rostock, Frankfurt, Rotterdam, Graz, Riga und Brünn) angestellt. Insgesamt nahmen über 5000 Jugendliche im Alter von 15 und 17 Jahren an der Erhebung teil. (www.dipf.de)

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