Ingo Arend

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Schriftsteller vor Gericht

Es war eine der schwärzesten Wochen der türkischen Geschichte. Erst der Mord an dem Journalisten Hrant Dink, dann die Drohungen gegen Literatur-Nobelpreisträger Orhan Pamuk. In einer der schwierigsten Phasen seiner Geschichte schien das Ost-West-Schwellenland demonstrieren zu wollen, dass es keine Eile hat mit der Ankunft in Europa.

Gegen die türkischen Bedrängnisse wirken die deutschen Verhältnisse paradiesisch. Kein Journalist, kein Autor wird hier wegen "Verunglimpfung der Nation" (wie es der Paragraph 301 des türkischen Strafgesetzbuches formuliert), angeklagt oder gar erschossen. Doch problemlos haben sich Presse- und Kunstfreiheit hierzulande auch nicht durchgesetzt.

1956 wurden in Düsseldorf von einem christlichen Jugendbund Werke von Grass, Nabokov und Camus öffentlich verbrannt. Von Genet bis Miller reicht die Kette der Literaturverbote in Deutschland. 1962 blickte Konrad Adenauer in einen "Abgrund von Landesverrat" und ließ Spiegel-Redakteure inhaftieren. Und 1966 nannte - im wohl berühmtesten Verbotsfall - das Oberlandesgericht Hamburg Klaus Manns Roman Mephisto eine "Schmähschrift in Romanform". Darin hatte der Sohn Thomas Manns in der Person des Hendrik Höfgen das wenig schmeichelhafte Bild eines Nazi-Mitläufers entworfen, das seinem Ex-Schwager Gustaf Gründgens zum Verwechseln ähnlich sah. Prompt erkannte das Gericht in dem Werk ein "verunglimpfendes Lebensbild". Das vom Bundesverfassungsgericht 1971 bestätigte Verbot besteht bis heute.

Auch das von den Hütern der Grundrechte noch für dieses Jahr angekündigte Urteil über das 2003 vom Bundesgerichtshof verfügte Verbot von Maxim Billers Roman Esra (Freitag 31/2006) dürfte ein Lackmustest für Kunstfreiheit in Deutschland werden. Seit drei Jahren fragen sich Verleger und Autoren: Werden die Karlsruher Richter endlich die Praxis beenden, die in solchen Verfahren geltend gemachten Persönlichkeitsrechte Dritter höher zu bewerten als das Grundrecht nach Artikel 5 unseres Grundgesetzes? Oder werden auch sie die in Billers Roman auftretenden Beziehungskombattanten Adam und Esra mit dem Autor und seiner ehemaligen Lebensgefährtin gleichsetzen, die gegen den Roman geklagt hatte? Nur dann nämlich lassen sich manche Eigenschaften, die Biller seiner weiblichen Hauptfigur zuschreibt, als "negativ verzerrtes Charakterbild" der Klägerin lesen, wie es der BGH tat.

Zwar hatte schon beim Mephisto-Urteil von 1971 der Richter Stein eine "kunstspezifische Betrachtungsweise" solcher Fälle angemahnt. Schaut man durch diese Brille, ist Billers Buch weder ein Schlüsselroman noch eine schlechte Autobiographie à la Dieter Bohlen. Sondern eine "Choreographie des scheiternden Begehrens", deren Abbilder sich von den Urbildern, die Biller womöglich Pate gestanden haben, längst gelöst haben. So jedenfalls sieht es der Münchener Germanist Michael Ansel. Auf einer Tagung in Tutzing bescheinigte er kürzlich in einer überzeugenden Analyse Billers Personal den Rang von symbolisch verdichteten Kunstfiguren.

Bleibt es bei der höchstrichterlichen Gleichsetzung von Kunst und Realität, droht die Schere im Kopf. Wenn für Werke, deren Stoffe ein Autor seiner allernächsten Umgebung entnimmt, eine Art Verfremdungs-Gebot durchkommt, wie es der BGH anmahnte, kann man, wie der Berliner Schriftsteller Alban Nikolai Herbst kürzlich sarkastisch anmerkte, "nur noch surreale Romane schreiben". Auch sein Roman Meere war 2003 verboten worden, weil das Gericht in der Darstellung der weiblichen Hauptfigur die Intimsphäre von Herbst realer Ex-Geliebten verletzt sah. Und es droht eine Art Privatisierung der Zensur: Für den BGH genügt es schon, wenn die "nächste Umgebung" eine Romanfigur als Bekannten wiederzuerkennen glaubt, um ein Verbot des Werks zu erwirken. Unter diesen Prämissen hätte Thomas Mann es sich wahrscheinlich gut überlegt, jenes Stück Weltliteratur zu schreiben, in dem er das Lübecker Bürgertum "abkonterfeit" hatte - die Buddenbrooks.

Europa hielt den Atem an, als die türkische Autorin Elif Shafak vergangenes Jahr angeklagt wurde, weil sie eine armenische Figur in einem ihrer Romane von "türkischen Schlächtern" sprechen ließ. Ganz so weit entfernt von dieser Praxis scheint die Kunstexegese deutscher Gerichte auch nicht. Denkt man sich Edmund Stoibers Forderung hinzu, den Blasphemie-Paragraphen 166 des Strafgesetzbuches zu verschärfen, könnten Kunst- und Meinungsfreiheit in Deutschland den "türkischen Verhältnissen" in Zukunft zumindest verflixt ähnlich sehen.


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