Inkonsequente Atompolitik

Kernkraft Belgische Pannenreaktoren werden auch von Deutschland aus mit Brennstoff beliefert. Mit dem nötigen politischen Willen könnte die Bundesregierung dies unterbinden
Das Atomkraftwerk in Doel, Belgien
Das Atomkraftwerk in Doel, Belgien

Bild: Emmanuel Dunand/AFP/Getty

Trotz der beispiellosen Pannenserie belgischer Reaktoren laufen diese weiter und halten die Bevölkerung des Dreiländerecks bei Aachen pausenlos in Atem. Währenddessen wird Bundesumweltministerin Barbara Hendricks (SPD) nicht müde zu beteuern, dass sie keinen wirksamen Einfluss auf die belgische Energiepolitik habe. Sie verschweigt jedoch, wie sehr auch deutsche Brennstofflieferanten zur Gefahrensituation beitragen.

Die Brennelementfabrik im niedersächsischen Lingen versorgt das belgische AKW Doel mit Brennstäben. Laut Bundesamt für Strahlenschutz sind bis 2017 noch insgesamt fünf solcher Lieferungen genehmigt. Nach neusten Recherchen von Anti-Atom-Initiativen gibt es auch einen engen Zusammenhang zwischen dem belgischen AKW-Betreiber Electrabel und der Urananreicherungsanlage im nordrhein-westfälischen Gronau. Dort verarbeitetes Uran gelangt über Umwege – hauptsächlich über den US-amerikanischen Atomkonzern Westinghouse – schließlich nach Tihange und Doel.

Der Forderung nach einem Lieferstopp begegnete Frau Hendricks nur mit dem knappen Hinweis, das sei „aufgrund der aktuellen Rechtslage nicht möglich“. Der niedersächsische Umweltminister Atefan Wenzel (Grüne) hingegen lässt zur Zeit noch prüfen, inwieweit Brennelement-Transporte von Lingen nach Doel unterbunden werden können. Ganz so aussichtslos scheint es also nicht zu sein. Unabhängig davon könnte Ministerin Hendricks darauf hinwirken, die angesprochene „Rechtslage“ zugunsten eines größeren politischen Handlungsspielraums zu ändern. Dafür aber müsste sie ihre passive Haltung aufgeben, genauso wie Kanzlerin Angela Merkel. Beide Frauen haben den Amtseid abgelegt, "Schaden" vom "deutschen Volk" abzuwenden. Ein Dienst nach Vorschrift jedoch kann den "Schaden" nicht abwenden, nicht in dieser Lage.

Fünf Jahre nach Fukushima

Es wäre nun auch an der Zeit, durch eine Abstimmung im Bundestag endlich das Atomgesetz zu ändern und die Brennstoffproduktion in den deutschen „Atomausstieg“ einzubeziehen. Ein entsprechender Beschluss wurde vor Jahren im Bundesrat gefasst. Würde er rechtskräftig, müssten die Atomanlagen in Lingen und Gronau spätestens 2022 mit dem Abschalten der letzten deutschen AKW stillgelegt werden. Bisher besitzen sie eine unbegrenzte Betriebsgenehmigung.

Dass fünf Jahre nach Fukushima marode Reaktoren nicht nur die belgische und niederländische Bevölkerung bedrohen, sondern auch das Land, das sich eines „Atomausstiegs“ rühmt, mag wie eine bittere Ironie des Schicksals erscheinen. Doch mit Schicksal hat das wenig zu tun. Es rächt sich nun, dass die Regierung Merkel im Jahr 2011 den Ausstieg aus der Atomkraft nur halbherzig anging. Von einem moralisch-ethischen Standpunkt aus ist es ohnehin nicht tragbar, dass man durch eigene Brennstofflieferungen ins Ausland eine Technologie unterstützt, die man letztendlich für zu riskant hält. In diesem Lichte bekommt ein Argument, das oft gegen den Lieferstopp angeführt wird, eine zynische Note: AKW-Betreiber wie Electrabel seien auf deutsche Lieferanten nicht angewiesen, sie verfügten auf dem Weltmarkt über andere Quellen. Ganz von der Hand zu weisen ist das nicht.

Dennoch: Niemand kann ausschließen, dass eine schnelle Beendigung der nuklearen Brennstoffproduktion in Deutschland nicht auch zu einem Dominoeffekt führen könnte. Die Atomindustrie in Europa steht finanziell auf der Kippe. Electrabel beispielsweise hält sich nur noch mit Hilfe einer umstrittenen Steuererleichterung über Wasser. Jede Entscheidung, die den reibungslosen Ablauf der Brennstoffkette stört, trägt bei zur Schwächung der Atomkonzerne.

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