Ins schwarze Loch

Kommentar Österreichs Wahl

Am besten tief durchatmen und staunen. Erdrutsch ist ja fast untertrieben. Der Gewinn von über 15 Prozent für die ÖVP und der noch größere Verlust der FPÖ sind beispiellos in der langen Geschichte der Zweiten Republik. Wofür Haider mehr als zwölf Jahre benötigte, das gelang Wolfgang Schüssel in weniger als drei Jahren, ja eigentlich in knapp zehn Wochen. Da nutzt es auch nichts, dass SPÖ und Grüne zwischenzeitlich (fast) alle Wahlen gewonnen haben - am 24. November haben sie (trotz matten Zuwächsen) eindeutig verloren. Die Koalition wurde bestätigt, nur ist es der ÖVP gelungen, eine 1:1-Parität in ein 4:1-Kräfteverhältnis zu verwandeln.

Wer hätte das zu fürchten gewagt? Selbst wenn man jetzt einwenden sollte, dass die ÖVP ungefähr ihren Stand von 1986 wieder erreicht hat, war das eine außergewöhnliche Rückholung der Wähler im Zeitraffer. Freilich muss man sich gleich fragen, ob diese noch dieselben sind. Das ist gar nicht generationsmäßig zu verstehen, sondern wesensmäßig. Was meint, dass die Gebundenheit dieser Leute eine andere ist, als sie es vor mehr als 15, geschweige denn 30 Jahren gewesen ist. Schüssel hat diese Stimmen nicht erobert, sondern gestohlen - aber er hat sie, vorerst.

Dass das Platzen der Koalition allein der FPÖ angelastet werden konnte, war zweifellos ein Meisterstück des Kanzlers. Ein gelungener Coup, der auch gar nicht verheimlicht wurde. Ein Mythos ist geboren. Der kleine Prinz wird als Drachentöter gehandelt, weil er des Drachens abgeschlagene Köpfe als seine Tat präsentierte. Dass der Drache sich selbst die Köpfe abgebissen und ausgerissen hat, die der Prinz dem Publikum vorhielt, ist da ohne Belang. Wichtig ist: Der hat´s dem Haider gegeben. Wovon Linke stets träumten, nämlich Haider zu schlagen, das gilt fortan als Verdienst Schüssels. Dass es nicht stimmt, ist völlig egal, es wirkt.

Einmal mehr wurde die Provinz unterschätzt. Der Zug der Lemminge ist geradezu ins schwarze Loch marschiert. Vor allem das Land hat die Stadt in die Schranken gewiesen. In den bevölkerungsdichteren Agglomerationen schlugen sich SPÖ und Grüne um einiges besser. Doch "auf dem Lande" gab es ein Debakel sondergleichen. Mitgespielt haben dürfte auch das penetrante Gerede vom "rot-grünen Chaos" - das "Abschreckungsmodell" mit Verweis auf Deutschland hat jedenfalls seinen Zweck erfüllt.

Schüssel hat auch deswegen gesiegt, weil sein Erfolg seit der Ankündigung von Neuwahlen im September feststand. Diese Dynamik hat sodann alles mitgerissen: aus dem Aufholen wurde ein Überholen, letztlich ein Davonziehen. "Ohne ihn geht jetzt nichts mehr", schreibt die konservative Presse am Tag danach. Tatsächlich, um die Christkonservativen ist kein Herumkommen, selbst wenn alle anderen drei Parteien mit ihnen nicht wollen sollten. Dazu war dieser Erdrutsch zu überwältigend. Sich den Lockrufen der ÖVP zu entziehen, wird nun schwer, besonders für FPÖ und SPÖ. Die Kronen-Zeitung trommelt bereits für die Große Koalition.

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