Inspektor K.

Kommentar George Orwell lässt grüßen

Eigentlich könnte man sie fast bewundern, die machiavellistische Weitsicht, mit der George W. Bush "gefährliche" Themen aus dem Weg räumt: Ein geradezu strategischer Schachzug gelang ihm mit der Ernennung Henry Kissingers zum Chef der "unabhängigen" Kommission, die untersuchen soll, wie es zu den Anschlägen vom 11. September 2001 kam. Der "Ermittler" Kissinger ist der Kissinger, der am 11. September 1973 einen blutigen Putsch in Chile einfädeln half und hinterher die Fakten vertuschte, der Kissinger, der den Vietnamkrieg hinauszog und den heute Richter in Chile, Argentinien und Spanien wegen Menschenrechtsverbrechen hören wollen.

Das ist aber auch der Henry Kissinger, der als weitsichtiger Architekt der Öffnung nach China und Jongleur der Rüstungskontrollverträge mit der UdSSR noch heute Ansehen genießt als Staatsmann von Format. Besonders im Umfeld der Demokraten und im gemäßigten Flügel der Republikaner: Wo vor Monaten Forderungen laut wurden, dass doch untersucht werden müsse, warum die saudischen Flugzeugattentäter ihren Anschlag über Jahre hinweg vorbereiten konnten. Behinderten möglicherweise die engen Beziehungen der Familie Bush zur Königsfamilie in Riad gründliche Ermittlungen? Was geschah im Juli 2001 mit einer Warnung des Anti-Terrorismuschefs im Nationalen Sicherheitsrat an den Präsidenten, "bin Laden ist entschlossen, in den USA loszuschlagen"?

Bush hat sich Forderungen nach einer Untersuchung lange widersetzt, und das Thema mit der Irak-Kampagne in den Hintergrund gedrängt. Und jetzt kommt Kissinger, von dem Bush nichts zu befürchten hat und der als Inbegriff des realpolitischen Amerikas gilt. Schon Reagan hatte dessen Image ausgeschlachtet, obwohl er im Wahlkampf gegen Kissingers Detente zu Felde gezogen war; Kissinger galt den ganz Rechten als Symbol des verpönten, weil internationalistisch angehauchten Wall Street Establishments. Trotzdem ernannte ihn Reagan 1983 zum Chef einer "überparteilichen" Kommission zu Mittelamerika. In El Salvador mordeten damals rechte Todesschwadronen, US-Militärhilfe verhinderte den Kollaps des Regimes, und die CIA finanzierte die nikaraguanischen Contras. Im von den Demokraten kontrollierten Kongress wollten da viele nicht mitziehen, trotz Reagans Alarmruf, die Sowjetunion habe via Kuba und Nikaragua einen "Angriff auf den amerikanischen Kontinent" gestartet. Henry musste her, der holte auch ein paar Demokraten in seine Kommission, und bekannte dann in seinem Abschlussbericht, dass die USA die sozialen Hintergründe der Konflikte angehen, ebenso aber die Militärhilfe für El Salvador "deutlich" erhöhen müssten. Reagan hatte genau das hören wollen und konnte seiner viel kritisierten Politik ein neues Mäntelchen umhängen. George Bush hätte jetzt auch gern so ein Mäntelchen, man weiß ja nie, wie der "Terrorismuskrieg" weitergeht, und was noch alles ans Tageslicht kommt. Henry wird das schon richtig machen. Enthüllende Veröffentlichungen waren dem schon immer ein Gräuel.

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