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Kernaufgabe Michael Ignatieff plädiert für einen pragmatischen Umgang mit den Menschenrechten

Die größte Gefahr für die Menschenrechte geht heute von den USA aus. Und nicht, wie man annehmen könnte, von sogenannten "Schurkenstaaten". Zu dieser harschen Schlussfolgerung kommt Michael Ignatieff in seinem Buch Die Politik der Menschenrechte. Die Glaubwürdigkeit der Menschenrechtsidee werde durch die amerikanische Politik untergraben. Einerseits häuften sich militärische Interventionen der Vereinigten Staaten, bei denen die Grenze zwischen humanitärer Notwendigkeit und imperialem Charakter verschwimme, wie in Bosnien und Kosovo. Andererseits verwiesen die USA in menschenrechtlichen Fragen wie der Todesstrafe auf ihre staatliche Souveränität. Die Folge: der weltweite Konsens über die Menschenrechte bröckelt.

Der international bekannte Publizist und Harvard- Professor für Menschenrechtspolitik stimmt aber keinen Abgesang auf die Menschenrechte an. Im Gegenteil: sein Buch versteht sich als leidenschaftliches Plädoyer für sie. Der menschenrechtliche Konsens kann, nach Ignatieff, aber nur dann wiederhergestellt werden, wenn die verschiedenen Kulturen in einen freien und gleichberechtigten Dialog über ihren Sinn und Zweck eintreten. Dieser freie Austausch ist aber nur zu erreichen, wenn die Menschenrechte, von allem metaphysischen Ballast entschlackt, als pragmatisches und säkulares Instrumentarium zum Schutz der individuellen Freiheit verstanden werden. Für Michael Ignatieff sind die Menschenrechte "lediglich eine systematische Auflistung der ›negativen Freiheiten‹, ein Werkzeug gegen Unterdrückung, dessen sich die Menschen im Rahmen der kulturellen und religiösen Überzeugungen, nach denen sie leben, frei bedienen dürfen müssen."

Seine Hauptkritik richtet sich gegen die westliche Tendenz der Überhöhung der Menschenrechte. Sie verkämen so zu einer säkularen Religion, die mit zweifelhaften anthropologischen Grundannahmen operiere und den fragilen Menschenrechts-Konsens weiter gefährde. "Die moralischen und philosophischen Forderungen, die im Namen der Menschenrechte erhoben werden, mögen den Zweck haben, ihre universelle Anziehungskraft zu vergrößern. Doch in Wirklichkeit wird die gegenteilige Wirkung erzielt, da bei nichtreligiösen und nicht-westlichen Gruppen, die nicht eines westlichen säkularen Bekenntnisses bedürfen, Zweifel an den Menschenrechten geweckt werden."

Der Vorwurf des menschenrechtlichen Imperalismus, der von verschiedensten Seiten erhoben wird, ist für Ignatieff aber nicht zutreffend. Ihr universalistischer Geist zeigt sich, so Ignatieff, gerade darin, dass Menschen im Namen der Menschenrechte gegen alle Formen der Unterdrückung durch Mächtige ankämpfen. Gegen die Unterdrückung von Frauen in islamischen Staaten genauso wie gegen die Ausbeutung durch multinationale Konzerne in Afrika und Asien. Die "konzeptionslose" und rechtlich unklare Interventionspolitik des Westens leiste dem Imperalismusvorwurf aber Vorschub. Warum, fragt Ignatieff, hat man im Kosovo interveniert, in Ruanda aber nicht. Er fordert deshalb einen klaren politischen Charakter der Menschenrechte, der dem westlichen "moralischen Imperialismus" Einhalt gebiete. Sie müssten auf die Kernaufgabe der Konfliktlösung beschränkt bleiben.

Eine Diskussion über die Letztbegründung der Menschenrechte meidet Ignatieff. Denn die führe, so argumentiert er, unausweichlich in das Reich der metaphysischen Spekulation und untergrabe letztlich ihre interkulturelle Legitimität. Für Ignatieff reichen die katastrophischen Erfahrungen der jüngsten Geschichte zur Begründung der Menschenrechte aus. "Wir müssen unsere Überzeugung vom Wert der Menschenrechte auf eine Grundlage stellen, die die Menschen so nimmt, wie sie sind, also vom schlimmsten ausgeht. Mit anderen Worten, wir sollten Begründungen nicht von der menschlichen Natur, sondern von der Geschichte herleiten."

Michael Ignatieffs Forderung nach einem pragmatischen Umgang mit den Menschenrechten und seine Kritik an der humantitären Interventionspolitik des Westens könnte aktueller und treffender nicht sein, angesichts eines amerikanischen Endloskriegs, der im Namen von Freiheit und Menschenrechten geführt wird. Bei aller berechtigten Kritik, die Ignatieff übt, bleibt aber auch bei ihm offen, wie die Anerkennung und Durchsetzung der Menschenrechte konkret verwirklicht werden können. Denn auch heute sind sie ein Privileg weniger.

Michael Ignatieff: Die Politik der Menschenrechte. Europäische Verlagsanstalt, Hamburg 2002. 121 S., 16 EUR

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