Integrationsfeindlich

Kommentar Europäische Leitkultur

Rechtzeitig zum Berlin-Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Tayyip Erdogan und der heißen Wahlkampfphase in Bayern hat die CSU wieder einmal eine Kontroverse über den EU-Beitritt der Türkei ausgelöst. Diesmal war es CSU-Landesgruppenführer Michael Glos, der befand, nie und nimmer dürfe dieses Land EU-Mitglied werden, und das solle auch im bevorstehenden Europawahlkampf laut und deutlich gesagt werden. Als argumentativen Nachschlag servierte Glos allerlei schwerverdauliche Ressentiments gegen fremde Kulturräume, zu denen er auch die Türkei zählt.

Verstehen wir uns nicht falsch: Es gibt viele gute Gründe, sich gegen einen allzu schnellen, bedingungslosen EU-Beitritt der Türkei zu stemmen. So lange am Bosporus freie Meinungsäußerung verfolgt und eine ethnische Minderheit wie die Kurden brutal unterdrückt wird, solange Folter und Mord von politisch Oppositionellen mehr als geduldet werden, kann die Frage nach einem EU-Beitritt der Türkei kaum mit einem schallenden "Ja" beantwortet werden. Die Beitrittsverhandlungen an die Menschenrechtsfrage zu koppeln, wie es die rot-grüne Bundesregierung zumindest propagiert, hat Sinn. Auch wenn man gespannt sein darf, ob diesen Worten auch Taten folgen. Oder ob die Berliner Koalition, wenn es zum Schwur kommt, so schlingert wie bei der Frage der Waffenlieferungen an die Türkei.

Doch die Menschenrechtskarte spielen Stoiber und Glos ganz bewusst nicht aus. Sie verweisen lieber auf den "wirtschaftlichen Zustand des Landes" - ein Argument, das ihnen bei der EU-Osterweiterung so nicht über die Lippen kam, obwohl es hier nicht weniger Berechtigung gehabt hätte. Die CSU verweist aber vor allem auf den "völlig anderen Kulturraum", dem die Türkei angehöre. Das Wortungetüm von einer europäischen "Leitkultur" ist da nicht mehr fern. Befördert wird mit solchen Parolen allein das Unbehagen gegenüber dem Unbekannten und Fremdartigen. Diese dumpfen Ängste zu nähren, um sich schließlich von ihnen zu ernähren, ist wieder einmal das Kalkül der bayerischen Union. Nichts anderes bedeutet Glos´ Ansage, die Beitrittsfrage zum Thema im Europawahlkampf zu machen, nichts anderes bedeuten auch Stoibers wiederholte Gedankenspiele, über einen Türkei-Beitritt per Volksabstimmung entscheiden zu lassen.

Dass die CSU mit ihrer Position auch innerhalb der europäischen Christdemokraten weitgehend isoliert ist, schert sie wenig, solange der Wähler die fremdenfeindlichen Parolen nur honorieren. In Bayern gelang es der CSU schon des öfteren, gegen Ausländer zu hetzen und damit Prozentpunkte zu gewinnen. Dabei interessiert es die Christsozialen freilich nicht, wer die Zeche für den von ihr initiierten (Wahl-) Kampf der Kulturen bezahlen darf: Es werden vor allem die türkischen und moslemischen Einwanderer aus aller Welt sein, die in der Bundesrepublik - zum Teil seit Jahrzehnten - leben.

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