Auf einer Bürgerversammlung hat sich ein älterer Herr in Rage geredet: „Wenn Sie diesen Beschluss durchsetzen, werden die in Portitz nicht mit Blumen empfangen“, sagt er an Leipzigs Sozialbürgermeister Thomas Fabian (SPD) gerichtet und viele der Anwesenden applaudieren. Die – das sind die Flüchtlinge, die die Stadtverwaltung unter anderem auch in Portitz, einem Viertel am Rande Leipzigs unterbringen will. Denn das Konzept, das Fabian heute hier vorstellt, sieht vor, ein dringend sanierungsbedürftiges Flüchtlingsheim zu schließen. Die rund 200 Bewohner sollen stattdessen in sechs kleineren Unterkünften von bis zu 50 Plätzen untergebracht werden, die über die ganze Stadt verteilt sind – eine deutliche Verbesserung ihrer derzeitigen Wohnsituation. Zusätzlich soll ein neues Wohnheim mit bis zu 180 Plätzen, Kapazitäten für die steigenden Flüchtlingszahlen schaffen.
Im Umfeld des geplanten Wohnheims, aber auch an zwei der kleineren Standorten regt sich nun massiver Widerstand: „Das Sicherheitsgefühl der Anwohner ist mit diesem Vorhaben empfindlich gestört. Alle Bedenken der Bürger (Drogenkriminalität, Diebstahl, Vermüllung u.a.m.) konnten zu keiner Zeit bis zum jetzigen Stand auch nur ansatzweise widerlegt werden.“, heißt es in einem Brief aus Portitz an den Leipziger Stadtrat. Viele fürchten zudem einen Wertverlust ihrer Immobilien, wenn in ihrer direkten Nachbarschaft eine Unterkunft für Asylbewerber entsteht.
Ressentiments aus der Mitte der Gesellschaft
"Das sind rassistische Vorurteile in dem Sinne, dass Menschen auf Grund ihrer Herkunft negative Eigenschaften zugeschrieben werden.", sagt Carsten Völtzke, vom Netzwerk für Demokratie und Courage (NDC), das vor allem in Schulen politische Bildungsarbeit leistet. "Bei diesen krassen Generalisierungen wird überhaupt nicht mehr auf den Einzelnen geguckt. Diese Vorurteile gab es in den 80er Jahren schon. Die finden immer wieder ihren Platz – vor allem in der Mitte der Gesellschaft." Sicherlich ist nicht jeder Einwand gegen das Verwaltungskonzept rassistisch, doch die zahlreichen Ressentiments, die die Debatte prägen, haben viele Menschen in Leipzig erschreckt.
Als Juliane Nagel, die für die Linke im Leipziger Stadtrat sitzt, in einem Blogbeitrag die Mobilisierung in den drei Vierteln rassistisch nennt, schwappt eine Welle der Empörung über sie hinweg. Viele der Konzept-Gegner fühlen sich diffamiert und in die rechte Ecke gestellt. Ein CDU-Stadtrat wirft all jenen, die derselben Meinung sind „Feindlichkeit gegen kritische Bürger“ vor. Doch die Verhärtung der Fronten trifft vor allem die Flüchtlinge.
Amir Ardalan Rahnama und Seyed Aminreza Ghahani Soltanian sind zwei von Ihnen. Sie sind aus dem Iran geflohen und wohnen nun in dem heruntergekommenen Heim, das die Stadt schließen will. Die Vorurteile finden sie verletzend: „Die sehen jemanden mit schwarzen Haaren Alkohol trinken, und glauben, wir alle im Heim seien Alkoholiker oder würden Drogen nehmen“, sagt Aminreza. Ardalan sieht derweil einem möglichen Umzug mit gemischten Gefühlen entgegen: „So, wie die jetzt schon schimpfen, hat man Angst, Ärger zu bekommen, wenn man da hingeht.“
Die überzeugen, deren Vorurteile noch nicht komplett festgefahren sind
Was tun, wenn die Einheimischen die Integration verweigern? Wenn man die Asylsuchenden nicht in Industriegebieten isolieren will, bleibt nur, die Vorurteile der Bürger abzubauen. Auch eine Reduktion der Flüchtlingszahlen in an den umstrittenen Standorten ist im Gespräch. „Fremdenfeindlichkeit kommt aus der Mitte der Gesellschaft“, sagt Sozialbürgermeister Fabian diplomatisch. „Wenn wir versuchen wollen, ihr entgegen zu wirken, dürfen wir die Menschen nicht beschimpfen, sondern müssen versuchen, ihre Vorbehalte abzubauen und sie für Neues aufzuschließen. Darin sehe ich auch unsere Aufgabe.“
Deswegen wollen die Verantwortlichen den Dialog nicht abreißen lassen. Stadträtin Juliane Nagel hofft, mit konstruktiven Gesprächen, die sie und ihre Kollegen aus den anderen Fraktionen mit den Menschen vor Ort führen, zumindest diejenigen zu überzeugen, deren Vorurteile noch nicht komplett festgefahren sind. Und auch auf den Bürgerversammlungen betonen Vertreter der Stadtverwaltung immer wieder, dass im Umfeld des alten Asylbewerberheims keine signifikant höhere Kriminalität zu verzeichnen ist als im Rest der Stadt. Regelmäßig ernten sie dafür regelmäßig ungläubiges Raunen und Kopfschütteln im Saal. Der Weg ist noch weit.
Kommentare 7
"Der Weg ist noch weit."
Danke für diesen ausgewogenen Beitrag.
http://www.menschen-wuerdig.orgunterschriftenaktion für alle leipziger. zielzahl wurde schon von 2.500 auf 5.000 erhöht.
falscher link :/
http://www.menschen-wuerdig.org/
richtiger link
Gute, d.h. befriedende dezentrale Unterbringung bedeutet aber auch, Asylbewerber eben nicht in Stadtteilen mit bereits erkennbar problematischer Sozialstruktur unterzubringen. Und stattdessen in den "besseren" Stadtteilen für kleinere Familienverbände eine wirkliche Integration einzuüben - gestützt und begleitet durch Sozialarbeiter.
Gute, d.h. befriedende dezentrale Unterbringung bedeutet aber auch, Asylbewerber eben nicht in Stadtteilen mit bereits erkennbar problematischer Sozialstruktur unterzubringen. Und stattdessen in den "besseren" Stadtteilen für kleinere Familienverbände eine wirkliche Integration einzuüben - gestützt und begleitet durch Sozialarbeiter.
In was sollen sich denn Einheimische integrieren? In ein iranisches Umfeld oder ein nigerianisches oder ein irakisches?
Der Fall sollte als Aufhänger genutzt werden für die Asylanten-Frage. Die Wurzel des Problems ist die internationale Rechtsnorm, Asylanten aufzunehmen, ohne gleichzeitig den Aufwand rechtsverbindlich auf alle Staaten aufzuteilen. Die Aufnahme von Asylanten ist wie ein öffentliches Gut. Jeder nicht-aufnahmebereite Staat profitiert von den aufnahmebereiten Staaten, obwohl es überall Rechtsnorm sein sollte. Die Aufnahme-Staaten haben kein Rechtsmittel, um in den anderen Staaten Beiträge abzufordern für die Einhaltung der Rechtsnorm.
Die alten internationalen Verträge und Konventionen reichen nicht mehr aus für die Asylanten-Frage.
Wir brauchen internationale Steuerabkommen, die direkt die Wertschöpfung bei den Profiteuren (Rüstungslieferanten, Rohstoffkonzernen,...) abschöpfen, die die Flüchtlingsströme verursachen.
Die Asylanten sollen ein eigenes Anhörungs-Gremium für die Beratung der WTO, UNO, IMF erhalten. Sie brauchen Mitspracherecht beim Budget aus dem internationalen Fonds. Z.B. sollten sie die Fonds Social Impact Bonds zuweisen können. Bei Social Impact Bonds handelt es sich um unterjährig handelbare Anleihen mit Leistungskennziffern, die an Behörden und dem Dritten Sektor ausgegeben werden. Die Leistungsträger (Behörden, NGOs, Dritter Sektor) erhalten nur dann denn Nennwert der Bonds ausgezahlt, wenn sie die Leistungskennziffern erreichen. Bei der Festlegung der Leistungskennziffern sollen die Asylanten selbstverständlich Mitspracherecht haben.
Die Leipziger Anwohner sind Ernst zu nehmen in ihrer Befürchtungen. Fallende Haus- und Grundstückspreise sind denkbar. Daher brauchen sie gegen fallende Preise eine Versicherung, die wir auf die Mehrwertsteuer der Rüstungsprodukte umlegen sollten.