Intellektuelle Dienstleister

Wachhundprosa Die deutschen Kritiker haben sich auf Michael Moore eingeschossen

Wie alle ordentlichen Blätter Deutschlands rechnete auch die Süddeutsche Zeitung pünktlich zum Jahrestag der Attentate mit der Brut der Verschwörungstheoretiker ab. Dazu gehören in erster Linie Mathias Bröckers, Andreas von Bülow und neuerdings auch Michael Moore. Moores Buch Stupid white men nennt der renommierte Großinvestigator Hans Leyendecker ein "außerordentlich dummes und mit Verschwörungstheorien vollgestopftes Buch". Leyendecker - sonst berühmt als akribischer Rechercheur - bleibt allerdings den leisesten Hauch eines Belegs schuldig. So stellt sich zum Beispiel die Frage: Wo sind denn eigentlich die Verschwörungstheorien in Moores Buch? Da es bereits vor den Anschlägen erschienen ist, kann es dazu nichts sagen. Aber vielleicht meint Leyendecker ja, dass sich Moore ausgiebig und fundierte Gedanken darüber macht, ob es bei der Wahl von George Bush II. mit rechten Dingen zugegangen ist. Das sind allerdings Gedanken, die intelligente Menschen auf der ganzen Welt bewegen. Und es fällt einigermaßen schwer, Moores Schlussfolgerungen nicht zu teilen. Zu den supergrotesken Fragen, die Michael Moore stellt, zählt Hans Leyendecker auch die folgende: Ob "George Bush die Anschläge auf das World Trade Center ebenso gelegen [kamen] wie Adolf Hitler der Reichstagsbrand". Nun, über diese Frage hat man selbst in der Süddeutschen Zeitung schon dutzendfach spekuliert, und nach den Erfahrungen mit der vorsätzlichen Fälschung von Kriegsgründen kam die Mehrzahl der Kommentatoren zu einem ähnlichen Ergebnis wie Michael Moore - auch wenn deren Prosa etwas diplomatischer ausfiel. So kommt man bei näherer Betrachtung um eine ganze andere Frage kaum mehr herum: was ist eigentlich mit Hans Leyendecker los? Denn sein Artikel ist nichts als ein außerordentlich dummer und mit Flegeleien vollgestopfter Text.

Dass Verschwörungstheoretiker einen Knall haben, ist von der Sprachregelung bereits vorgegeben. Das Dumme ist nur: es hat nicht nur einen Haufen Verschwörungen in der Weltgeschichte gegeben, es laufen auch noch eine ganze Reihe. Verschwörungen sind nämlich nichts anderes als verdeckte Operationen eines bestimmten Stils. Allerdings pflegen wir Verschwörungen, die wir enttarnt zu haben glauben, nicht mehr Verschwörungen, sondern Affären, Skandale oder Justizangelegenheiten zu nennen. Einer der großen Spezialisten im Aufdecken solcher Verschwörungen heißt Hans Leyendecker. Man lese nur sein im Sommer erschienenes Buch Die Korruptionsfalle: ein weiterer verschwörungstheoretischer Bestseller unserer Tage - nur nicht ganz so erfolgreich wie seine Konkurrenten. Leyendecker sondiert die Verhältnisse sozusagen im bananenrepublikanischen Rahmen: Müllverbrennungsanlagen, Möllemann, Ämterpatronage undsoweiter. Er führt uns auch in das Dunkel der Geschäfte von Leo Kirch und Helmut Kohl. Am Ende seiner Ausführungen, die an Deutlichkeit wenig zu wünschen übrig lassen, überrascht er uns mit der Einschätzung: Kohl war nicht bestechlich. Er hat nur sein Gehalt ein bisschen aufgestockt. Einerseits kann Leyendecker nichts beweisen, andererseits kann man ganz andere Schlussfolgerungen aus seiner Schilderung ziehen. Doch offensichtlich will er das nicht. Einer wie er hat sich immer als part of the game verstanden. Die Welt ist sozusagen noch in Ordnung, wenn ein Leyendecker seinen Beruf ausüben kann. Dabei handelt es sich allerdings bloß um eine Form von vorsätzlichem Katholizismus: was schert mich die Sünde, wenn ich beichten darf?

Jetzt kann man sich natürlich vorstellen, wie sich die Leyendeckers fühlen, wenn ein ungemütlicher Typ wie Michael Moore das Terrain betritt, der offensichtlich mehr im Sinne hat, als Orden für journalistische Zivilcourage zu sammeln. So kann man vielleicht Leyendeckers Ausfälle gegen die so genannten Verschwörungstheoretiker verstehen. Sie laufen ihm nicht nur den Rang ab, sie bringen sein Geschäft in Verruf: am Ende wird man ihn noch für einen Systemkritiker halten, einen Linken vielleicht sogar!

Dieses Problem hat der ehemalige taz-Journalist Jörg Lau schon lange nicht mehr. Er beweist tätige Reue für seine alternativen Lehrjahre. Und so liest sich heute jeder seiner Artikel wie ein Empfehlungsschreiben für höhere ordnungspolitische Aufgaben. Einen Tag nach Leyendeckers Pamphlet erschien seine Abrechnung mit den Verschwörungstheoretikern in der Zeit. Nun sind beide Artikel bis in den gequälten Humor hinein einander so ähnlich, dass man daran erinnern muss, dass der ganze Sermon eine Woche zuvor bereits schon im Spiegel stand. Daraus sollte nun niemand gleich eine Verschwörung der Meinungsindustrie ableiten. Das Gleichschaltungstalent unserer Gesinnungsarbeiter macht jede zentrale Steuerung überflüssig. Also spult auch Jörg Lau seine Textbausteine ab. In seinen Augen ist Moore ein "zutiefst zynischer Paranoiker". Was immer ein zutiefst zynischer Paranoiker sein mag, solche Monstren kommen gewiss selten allein. Und so ist kein Wunder, dass Jörg Lau - jetzt ganz Verschwörungstheoretiker - ein "freitragendes System" von "geistig obdachlosen Linken" am Werk sieht. Dazu gehört dann zum Beispiel auch der slowenische Philosoph Slavoj Zizek. Diesen parakommunistischen Agenten enttarnt Lau im Merkur. Zizek habe "etwas Verkommenes, geistig Verwahrlostes", und seine Erscheinung umwehe etwas "entschieden Romanhaftes". In solcher frühvergreisten Diktion dürften bereits unsere unfrommen Vorfahren Staatsfeinde aller Art denunziert haben.

Man muss bei dieser Gelegenheit allerdings auch daran erinnern, dass im Merkur mittlerweile George Bush II. als politischer Vollstrecker von Ernst Jüngers Vermächtnis gefeiert wird. Jörg Lau liegt jedenfalls auf der Lauer. Erst vor einem Jahr hatte er in der Zeit einen weiteren schlimmen Verschwörungstheoretiker enttarnt: Noam Chomsky, der sich erlaubt, die imperialen Strategien der USA für gefährlich zu halten. Was von Jörg Lau mit einem Speerfeuer von Psychiatriediagnosen niedergemäht wird.

Doch je mehr wir von solchen beflissenen Ordnungskräften wie Leyendecker oder Lau über angebliche Verschwörungstheoretiker lesen, um so mehr hat man den Eindruck: diese biederen Abgeordneten der intellektuellen Dienstleistungszunft haben mittlerweile die Hosen gestrichen voll - und zwar aus gutem Grund: Noch der schlechteste Text eines Michael Moore ist unendlich anregender als etwa die servile Wachhundprosa eines Jörg Lau.


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