Interview von Steve Buscemi

Kino Unter amerikanischen Filmkritikern kursiert der traurige Witz, dass Hollywood-Remakes für europäische Filmemacher den garantierten Sturz in die ...

Unter amerikanischen Filmkritikern kursiert der traurige Witz, dass Hollywood-Remakes für europäische Filmemacher den garantierten Sturz in die Obskurität bedeuten. Der holländische Regie-Veteran George Sluizer hat nach der "Amerikanisierung" seines Thrillers Spurlos nur noch eine Handvoll Filme gedreht, und an Ole Bornedal samt seiner beiden Nachtwache-Verfilmungen erinnert sich außerhalb Dänemarks heute niemand mehr. Theo van Gogh ist von diesem Schicksal verschont geblieben, makabererweise durch seinen Tod. Van Gogh hatte gleich mehrere amerikanische Neuverfilmungen in Planung, als er 2004 von einem islamischen Fanatiker auf offener Straße ermordet wurde. Ausgerechnet der Tod des notorischen Provokateurs hat das Interesse Hollywoods in einem Maße gesteigert, wie es seine Filme allein kaum rechtfertigen würden.

Interview, die vierte Regie-Arbeit des Schauspielers Steve Buscemi, ist das erste von drei van Gogh-Remakes, derer man sich in Hollywood nun angenommen hat. Die persönliche Widmung "Für Theo" deutet dabei an, dass zumindest einige Vertreter der amerikanischen Filmindustrie ihr Gewissen plagte, nachdem die Ermordung van Goghs, als "Strafe" für seinen islamkritischen Kurzfilm Submission, unter Hollywood-Regisseuren kaum kritische Reaktionen ausgelöst hatte. Erfreulich ist auch, dass sich mit Buscemi, Stanley Tucci und John Turturro drei Regisseure gefunden haben, die man meistens in den richtigen künstlerischen Kontexten antrifft. Rückblickend mag es eine Ironie des Schicksals sein, dass ausgerechnet Submission, van Goghs formal interessantester, in gewisser Weise auch zurückhaltendster Film, letztlich das Todesurteil bedeutete. Für seine postume Hollywood-Einführung haben die drei Regisseure jedoch einem zentralen Motiv seiner Filme den Vorzug gegeben: dem "ewigen Kampf zwischen Mann und Frau", wie es van Gogh selbst Mitte der neunziger Jahre salopp formulierte.

In Interview bekommt man es mit zwei besonders unsympathischen Exemplaren zu tun. Pierre Peters, gespielt von Buscemi selbst, ist ein in Ungnade gefallener Kriegsreporter, der von seinem Redakteur zu einem Interview mit dem blonden Celebrity-Sternchen Katya (Sienna Miller) verdonnert wurde. Pierre hat seine besten Jahre hinter sich, Katya ihren neuesten Filmen gerade in den Kinos. Noch bekannter als ihre Filme sind allerdings die Namen ihrer ständig wechselnden Beischlafpartner. Katya benötigt Pierres Magazin für den ersehnten Karriereschub zur seriösen Schauspielerin. Er den Job, um seinen Hals aus der Schlinge zu ziehen. Die gegenseitige Abhängigkeit wird nur übertroffen von der Verachtung füreinander. So sitzen sie sich in Katyas Luxus-Loft gegenüber und schmeißen sich Obszönitäten an den Kopf, während die Rollen von Interviewer und Interviewtem im Minutentakt wechseln.

Charakterstudien waren nie eine Stärke van Goghs. Meist überzeugten seine Filme durch eine nicht mal unoriginelle, mitunter vulgäre Insistenz, die nicht selten zur Penetranz tendierte. Weder Pierre noch Katya dürfen mit der Sympathie des Zuschauers rechnen. Interview ist ein hässliches, kleines Kammerspiel, das an niederste Instinkte appelliert: die perfide Lust, Menschen bei ihrer öffentlichen Demontage zuzuschauen. Buscemi muss aus dem dürftigen Stoff das Beste rausholen, und das gelingt ihm auf formaler Ebene. Indem er den Handlungsort in ein weiträumiges Apartment verlegt, schafft er eine adäquate Arena für den Machtkampf zweier Profilneurotiker. Wie Raubtiere belauern sie sich, ständig umkreist von den drei Kameras, die Buscemi - als Hommage an van Gogh - beim Dreh eingesetzt hat. Dank der Geräumigkeit gelingt es ihm, die Figuren auf das zu reduzieren, was sie sind: zwei arme, verlorene Seelen.

Die Niedertracht und der blanke Zynismus des Films legen jedoch auch den hohlen Kern dieses Experiments frei. Die Besetzung von Katyas Rolle mit Sienna Miller hat immerhin etwas latent Selbstreferentielles; im Grunde spielt sie sich selbst. Bekannt geworden als Freundin von Jude Law, ist sie seitdem in der Klatschpresse als markenbewusstes It-Girl omnipräsent. Aber so recht will sich Interview am Celebrity-Kult nicht erregen. Vielmehr scheint es, als hegten die Filmemacher eine generelle Abneigung gegen ihre Mitmenschen. Eine Erfahrung, bei der man sich auch als Zuschauer nicht ausgeschlossen fühlen muss.

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