Interview "Aber ich gehe jetzt nicht mehr zurück": Der kurdisch-iranische Filmemacher Bahman Ghobadi über sein Exil, den Stress und Schwierigkeiten bei der kurdischen Verständigung
Mit No One Knows About Persian Cats, seinem Film über die Rockmusik-Subkultur in Teheran, sorgte Bahman Ghobadi dieses Jahr in Cannes für Aufsehen. Das war kurz vor den Wahlen. Nach dem Festival ging der 43-Jährige, dessen Film Schildkröten können nicht fliegen 2005 in Deutschland ins Kino kam, nicht zurück in seine Heimat. Mit seinen bisher sieben Filmen gewann der im kurdischen Teil des Iran geborene Ghobadi zahlreiche internationale Preise. Er gilt als einer der bekanntesten Vertreter des zeitgenösischen kurdischen Kinos. Zur Zeit lebt und arbeitet er in Arbil, dem Verwaltungssitz der Autonomen Region Kurdistan im Irak, und in Berlin, wo er an einem neuen Filmprojekt arbeitet.
Bahman Ghobadi: Vor drei Jahren wollte ich einen Film mit dem Titel 60 Second
wollte ich einen Film mit dem Titel 60 Seconds About Us machen. Drei Jahre habe ich darauf gewartet, dass die Regierung dieses Projekt genehmigt, aber sie hat es nicht getan. Schließlich bin ich krank geworden, in Depressionen verfallen, hatte Stresssymptome. Ich habe dann beschlossen, ein anderes Thema zu bearbeiten, fast dokumentarisch. Innerhalb von 17 Drehtagen haben wir einen Untergrundfilm gemacht, ohne Genehmigung. Damals habe ich mich sehr über die Regierung geärgert, das sieht man dem Film an. Man sieht auch die Hektik, in der er gemacht wurde, merkt die ständige Angst, von der Polizei erwischt zu werden.Wie reagierten die offiziellen Stellen, als bekannt wurde, dass der Film in Cannes läuft?Für die Agenturen und Zeitungen im Iran ist das ein schwarzes Loch, bis heute hat dort niemand über den Film berichtet. Die Menschen haben davon durch die BBC, von ausländischen Webseiten oder aus kurdischen Programmen erfahren. Die Regierung war verärgert, selbst die offiziellen Vertreter, die in Cannes waren, haben mich böse angeguckt. Im Iran wollen sie meinen Film jetzt nicht zeigen. Ich arbeite gerade an einer neuen Version für die dortigen Zuschauer und werde die DVD auf dem Schwarzmarkt unter die Leute bringen, ohne Geld zu verlangen. Die Menschen im Iran sollen den Film sehen, ohne Geld dafür zu zahlen.Unterscheiden sich die aktuellen Reaktionen von den Reaktionen auf Ihre vorhergehenden Filme?Bei Schildkröten können nicht fliegen war es das gleiche. Sie haben kein Problem mit meinen Filmen, sie haben ein Problem mit mir. Es gibt im Iran auch einige islamische Filmemacher, deren Filme oft schrecklich sind, aber die Regierung mag ihre Geisteshaltung. Schildkröten können nicht fliegen lief damals nur in einem einzigen Kino. Wir durften keine Plakatwerbung machen. Jetzt ist es fast besser, dass die Regierung nicht einmal die Erlaubnis gegeben hat, No One Knows About Persian Cats überhaupt zu zeigen. Wenn die Leute das hören, tun sie alles, um den Film zu sehen. Das ist eine gute Reklame.Wie hat sich die Situation für Filmemacher im Iran nach den Wahlen verändert?Nach den Wahlen ist alles doppelt so schwer geworden, besonders für die, die sich davor für eine Erneuerung ausgesprochen haben. Die meisten Filmemacher haben Mussawi unterstützt und das auch öffentlich vertreten. Jetzt bleibt die bisherige Regierung an der Macht, die Zensur ist stärker geworden, und viele Drehgenehmigungen wurden zurückgenommen. Auch finanziell gibt es größere Schwierigkeiten. Die politische Situation hat schlechte Auswirkungen auf das iranische Kino.Wo steht der Iran für Sie geopolitisch?Wir befinden uns in der Mitte zwischen Ost und West. Der Iran ist offen für westliche Kultur, es gibt sehr viele Übersetzungen europäischer Weltliteratur. Man kann hier alles finden, solange es nicht politisch ist. Deswegen liegt der Iran für mich etwas mehr im Westen. Ich selbst bin ein internationaler Filmemacher, aber ich komme aus dem Iran, und ich bin Kurde. Ich habe einen iranischen Pass, aber ich komme aus einer anderen Kultur, und ich spreche eine andere Sprache.Gibt es Unterschiede zwischen den Kulturen der Kurden der verschiedenen Länder?Ja, es gibt viele Unterschiede. Wir leben sehr nahe beieinander, aber wir haben eine Unzahl von Grenzen zwischen den kurdischen Gebieten in der Türkei, im Irak, im Iran und in Syrien. Als ich meinen Produzenten Mehmet Aktaş zum ersten Mal getroffen habe, haben wir uns gar nicht verstanden. Wir brauchten einen Übersetzer. Jetzt, nach ein paar Jahren, verstehen wir uns. Wir haben den selben kulturellen Hintergrund und eine ähnliche Art, zu denken. Im Lauf ihrer Geschichte haben die Kurden nie eine Verbindung zueinander gefunden, nie die Grenzen zwischen ihnen überwunden. Ich betone, dass ich hier nicht von einem neuen Staat rede. Aber wir müssen diese Grenzen kaputtmachen, damit die Menschen einfacher miteinander in Kontakt kommen. Von meinem Geburtsort Baneh wollte ich einmal nach As Sulaymaniyah, einer Stadt im kurdischen Teil des Iraks, fahren. Mit dem Auto braucht man dafür etwa zwei Stunden Fahrzeit. Aber ich musste zwei Jahre auf die Reisegenehmigung warten. Zwei Jahre! Und dann haben wir zwei Tage und zwei Nächte an der Grenze verbracht, erst haben die Iraner alles durchsucht und uns verhört. Danach haben die Iraker auf der anderen Seite genau das selbe gemacht. Ich habe keine Ahnung, warum. In meinen Filmen geht es dauernd um diese Grenzen. Die Grenze ist ein negativer Charakter in meinem Kopf und in meinen Filmen.Wann haben Sie sich entschlossen, nicht mehr zurückzugehen?Vor zwei Jahren habe ich gemerkt, dass ich in dieser Situation keinen Film mehr machen kann. Der Stress, der dadurch entsteht, weil sie alles unter Kontrolle haben, dein Telefon, deine E-mails, dein Büro. Du unterhältst dich mit irgendjemanden über dein neues Drehbuch, und dann erzählt dieser jemand der Regierung, welche Themen Bahman demnächst bearbeiten wird. Ich will jetzt nicht zurückgehen. Hier bin ich eine kleine Gallionsfigur für das kurdische Kino. Vielleicht kann ich damit Vorbild für einige junge Leute sein. Vielleicht kann ich hier einen Film machen und damit ein Fenster für die kurdische Begegnung öffnen, eine Plattform für die kurdische Kultur etablieren. Deutschland ist dafür der beste Ort. Wir wissen, dass kurdische Regisseure gute Filme machen können. Wenn wir hier einen Film machen, können wir das Verhältnis zwischen dem Westen, zwischen Deutschen und den Kurden verbessern.
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