Die Inzidenz, bis zum Frühling 2020 ein medizinischer Fachbegriff, ist seit einem Jahr in aller Munde. Täglich veröffentlichen Zeitungen die „Zahlen“ der „Inzidenz“, die mithin für die breite Bevölkerung eine bedrohliche Wirkung haben. Denn die Inzidenz, auch das weiß mittlerweile jeder durchschnittlich Begabte, ist der Gradmesser für den Lockdown.
Sie ist also enorm wichtig, aufgrund dieser Zahl werden 83 Millionen Bundesbürger in den Stubenarrest geschickt – oder auch nicht. Geschäfte werden geschlossen, Theater bleiben zu undsoweiter.
Ein Student rechnet es vor
Doch was ist eigentlich die Inzidenz? Im Duden ist sie definiert: „Anzahl der neu auftretenden Erkrankungen innerhalb einer Personengruppe von bestimmter Größe während eines bestimmten Zeitraumes.“ – „Erkrankung“, wohlgemerkt. Seit einem Jahr gilt in den Medien in Deutschland jedoch anscheinend eine andere Definition, dabei wurde Erkrankung stillschweigend durch „positives Testergebnis“ ersetzt.
Dies führt die ganze Definition ab absurdum, denn während ein Erkrankter schnell aus einer bestimmten Menge herausgefiltert werden kann, weil er ja Krankheitssymptome zeigt, sind positiv Getestete mitnichten als krank erkennbar. Von einer Inzidenz in diesem Zusammenhang zu sprechen, verbietet sich also.
Also ist die Inzidenz, so wie sie von Politik und Medien dargestellt wird, formal nicht korrekt. Doch selbst in der Berechnung des Inzidenzwertes können sich Fehler durch falsche Ausgangswerte einschleichen, wie unter anderem der Mathematik-Student Patrick Schönherr vorgechnet hat: Landkreis A und Landkreis B haben jeweils 50.000 Einwohner und jeweils ein Prozent Infizierte. Landkreis A testet 5.000 Einwohner und findet rund 50 Infizierte. Landkreis B testet 2.000 Einwohner und findet rund 20 Infizierte. Damit läge Landkreis A bei einer Inzidenz von 100, Landkreis B jedoch bei einer Inzidenz von 40. Dies, obwohl beide Landkreise ein Prozent Infizierte haben. „Rückschlüsse auf das Pandemiegeschehen lässt dieser Inzidenzwert nicht zu“, folgert der Student. Man könnte auch sagen: mit der Menge der Schnelltests (die auch fehlerhaft sein können) lässt sich die „Zahl“ heraufschrauben oder herunterschrauben.
Michael Wieden, Experte für betriebliches Gesundheitsmanagement aus Ratingen, verdeutlicht in einem Video, dass die Inzidenz nichts über die Gesamtgefährdungslage in der Bevölkerung aussagt. Zudem hält er das Wording der Medien, wenn vom Inzidenzwert gesprochen wird, für ein Problem. „Der Inzidenzwert beinhaltet nicht ausschließlich Neuinfektionen“, so Wieden. „Er zeigt ausschließlich die Zahl der positiv ausgefallenen PCR-Tests an, sogar inklusive möglicher Mehrfachtestungen pro Person. Desweiteren impliziere „Neu“, dass die Person am Vortag oder an einem der vorherigen Tage noch nicht infiziert gewesen wäre. „Neu“ bedeutet aber lediglich, an diesem Tag positiv getestet und gemeldet, aber keineswegs zwingend infiziert.“ Korrekterweise, so argumentiert Wieden, müsste das Robert-Koch-Institut also nicht von Infektionen oder Neuinfektionen sprechen, sondern ausschließlich von Meldungen positiver PCR-Tests.
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