Isch mach disch Sprache

Kurzdeutsch Die Jugend benutzt immer weniger Artikel und Präpositionen. Müssen wir uns sorgen?
Ausgabe 22/2016

Man kann sich Sachbuchhitlisten der vergangenen Wochen anschauen und findet darauf: etwas von Hitler, Adolf, etwas von Sarrazin, Thilo, etwas über den deutschen Wald, die Biografie eines deutschen Rappers. Heftige Mischung. Im Verborgenen hält sich Diana Marosseks Band mit dem vielversprechenden Titel Kommst du Bahnhof oder hast du Auto? (Hanser Berlin, 160 Seiten, 15,90 Euro). Die Autorin denkt darüber nach, „warum wir reden, wie wir neuerdings reden“, und findet einen süffigen Begriff für ihre Untersuchungen: Kurzdeutsch.

Der Wald wächst und raunt; von Hitler wissen wir, dass er ein großer Sprachvereinfacher war; Sarrazin bessert seine Rente mit Altherrenvereinfachungen darüber auf, dass sich ständig etwas abschafft, und vom deutschen Sprechgesang wissen wir, dass er seine Wurzeln bei Falco hat, sich aber von Wien losmachte, daraufhin penetrant einen „Unterschichten“-Ursprung reklamierte und seinen Abgrenzungswahn meist mit Sprachtrümmern formuliert. Stellt Kurzdeutsch da eine Verbindung her? Jedenfalls wissen wir jetzt, dass es aus den Elementen Jugendsprache, Zuwanderung, Stadtbevölkerung besteht und dass es – Achtung, AfD! – auf multiethnischem Boden wächst.

Diana Marossek destilliert aus ihren Beobachtungen von Berliner Schulen und Straßen nicht nur eine Dissertation, sondern eben auch besagtes Sachbuch, das leider oft nach Tantensprache („Bei unserem Rundgang durch die neuesten Entwicklungen der deutschen Umgangssprache blicken wir hinter die Kulissen dieses Sprachtrends“) oder Telekolleg-Linguistik („Der Fachbegriff für dieses Anhängsel heißt übrigens Suffix“) klingt. Dabei sind etliche Aspekte interessant: Kurzdeutsch vermeidet Artikel, Kontraktionen und Präpositionen, badet in gar nicht böse gemeinten rituellen Beschimpfungen und verbindet sie mit hartgesottenen Sch-Lauten: „Isch mach disch Messer.“ Warum auch Menschen im Erwachsenenalter „Lass ma Kino gehn“ sagen, kann mit dem deutlich verlängerten Adoleszenzdruck zu tun haben.

Kurzdeutsch funktioniert als jugendliche Abgrenzung, ist Teil der immerwährenden Coolness-Suche und nicht zuletzt auch die Lust am Spiel. Diana Marossek vermutet hier viel, klärt aber wenig. Man könnte mehr über ein Schulsystem nachdenken, das noch den Geist des 19. Jahrhunderts atmet; Stadtplanung, die für Verfestigung von Armutssiedlungen und Reichenghettos sorgt; die verhunzte Einwanderungspolitik. Kurzdeutsch ist ihr Begriff für Sätze wie „Ich hab Vertrag“, den auch Mario Götze vorträgt. Der ist zwar Fußballer, aber ein in Memmingen geborenes Mittelschichtskind ohne Migrationshintergrund. Ob sich da etwas dauerhaft in der Umgangssprache eingenistet hat, lässt sich bislang nur vermuten.

Aber die deutsche Sprache ist oft Gegenstand seltsamer Sorgen. Wenn man zum Beispiel im Zug kurz vor Hannover das Buch fertig gelesen hat, steht plötzlich ein älterer Herr in Funktionskleidung auf, reicht einem ein Schreiben auf dem „Für Erwachsene“ steht und das ein gut abgehangenes Lamento gegen die Benutzung von Anglizismen enthält. Der Mann ist nicht Thilo Sarrazin, aber der Brief bedauert, dass die Jugend von heute „die alten Lieder“ nicht mehr kenne. Hitler, Sarrazin, denkt man, die alten Lieder, der deutsche Wald: Vielleicht ist die Verbreitung von Kurzdeutsch ein gutes Zeichen. Ein Zeichen nämlich, dass der Boden für die dumpfen Sorgen schwindet.

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