Jacqueline M. trägt auffällige Ohrringe mit bunten Glitzersteinen, ihre Augen hat sie hellblau geschminkt. Die 41-Jährige wohnt mit ihrem Mann und zwei Söhnen im Stadtteil Rudow im Süden von Berlin. Doch eigentlich heißt sie gar nicht mehr Jacqueline, sondern Rumeysa. So steht es auf ihrer islamischen Glaubensurkunde, die sie stolz in der Hand hält. Schwarz auf grün ist darauf zu lesen, dass die deutsche Staatsbürgerin offiziell Muslimin ist. "Mit dem neuen Namen komme ich noch nicht so ganz klar", gesteht sie. "Die eine Hälfte meiner Freunde nennt mich noch Jacqueline, die andere Rumeysa." Auf der kleinen grünen Karte ist auch ein Bild von ihr. Darauf lächelt sie zufrieden in die Kamera - ihre blond gefärbten Haare sind unte
nter einem rosafarbenen Kopftuch versteckt. Das habe sie nur für das Foto aufgezogen, berichtet Jacqueline. Denn die islamische Glaubensurkunde braucht sie erst, wenn sie eines Tages nach Mekka pilgert - und das dauert noch, denn danach sollte man keine Sünde mehr begehen. "Für das Kopftuch fühle ich mich heute noch nicht bereit", erzählt die gebürtige Westberlinerin. Der öffentliche Druck sei zu groß. "Außerdem will ich momentan nicht auf Schminke verzichten."Jacqueline ist eine von rund 8.000 Berlinern, die zum Islam konvertiert sind - insgesamt leben in dieser Stadt etwa 280.000 Muslime. Das ist zumindest die Schätzung von Mohammed Herzog, dem Gründer und Vorsitzenden der Islamischen Gemeinschaft deutschsprachiger Muslime Berlin. Genaue Zahlen gibt es nicht, da Muslime keine Kirchensteuer zahlen und deshalb nicht offiziell registriert werden. Laut einer jüngst veröffentlichten Studie des Islam-Archivs sind zwischen 2004 und 2005 bundesweit rund 4.000 Menschen zum Islam übergetreten - viermal so viele wie im Jahr davor. Auch Herzog beobachtet in Berlin eine stark steigende Tendenz. Pro Monat wendeten sich mittlerweile fünf bis zehn Menschen an ihn, die zum Islam übertreten wollten. "Es sind sehr viele junge Leute dabei", berichtet der 63-Jährige. Früher sei die Mehrzahl wegen einer Heirat mit einem muslimischen Partner zum islamischen Glauben gekommen, doch heute dominierten persönliche Motive. "Das sind Menschen, die sich das lange überlegt und sich viel mit dem Koran beschäftigt haben", erklärt Herzog. Die meisten von ihnen seien vorher bereits sehr religiös gewesen und hätten irgendwann Zweifel an ihrer Religion bekommen. Der Mann mit der Brille und dem Vollbart weiß wovon er spricht: Bevor er 1979 in Jordanien zum Islam übertrat, war der Berliner Krankenpfleger und Gemeindehelfer in der Evangelischen Kirche.Die Islam- und Religionswissenschaftlerin Monika Tworuschka mag eigentlich keine Verallgemeinerungen, da eine Konversion immer sehr persönliche Gründe habe. Ein besonderer Reiz des Islam sei jedoch die starke Frömmigkeit. "Im Christentum ist der Glaube weitgehend aus dem Alltag verschwunden und spielt nur noch bei Anlässen wie Hochzeit oder Beerdigung eine Rolle", erläutert die 56-jährige Autorin. "Da überzeugt viele die Konsequenz der Lebensgestaltung, die der Islam bietet." Dem Glauben komme hier auch im alltäglichen Leben eine große Bedeutung zu. Hinzu komme die starke Solidarität und Verbundenheit unter Muslimen, die den Menschen ein Gefühl der Geborgenheit vermittelten.Ähnliche Gründe führt Jacqueline an. Vor ihrem Übertritt zum Islam war sie Atheistin. "Ich hatte aber immer das Gefühl, dass in meinem Leben etwas fehlt", berichtet sie. Viele ihrer ausländischen Freunde seien Muslime gewesen. "Bei ihnen habe ich mich immer sehr wohl gefühlt. Besonders gefallen hat mir das starke Zusammengehörigkeitsgefühl und das Familiäre", erzählt die hübsche Frau mit den Sommersprossen. "Dann bin ich da irgendwie reingerutscht", sagt sie und um ihre Augen bilden sich Lachfalten. Sie habe sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt, viel gelesen und diskutiert. Als Jacqueline dann zum Islam übergetreten ist, sei das eine "ganz lockere Geschichte" gewesen. Alkohol habe sie sowieso nie besonders gerne getrunken. Das war vor zehn Jahren. Ihrer Mutter hat sie davon zunächst nichts gesagt. "Ich wusste, wie sie reagieren würde", begründet Jacqueline ihr Schweigen. "Sie kann das nicht verstehen, ihr ist das alles zu fremd." Die Tochter überlegt eine Weile. Dann sagt sie: Ein Grund sei möglicherweise, dass die Mutter durch das Fernsehen ein so negatives Bild vom Islam vermittelt bekomme.Auf den ersten Blick wirkt es überraschend. Doch gerade nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist die Zahl der Übertritte überproportional gestiegen. Dabei werden Muslime seitdem von den Medien alles andere als friedliebend und sympathisch dargestellt. Aber das Thema Islam ist seither dauerpräsent. Dies sei ein entscheidender Faktor, erläutert Tworuschka: "Es wird ständig ins Bewusstsein gerufen, dass es noch etwas anderes gibt." Zum anderen könne bei einigen Menschen ihr Gerechtigkeitssinn eine Gegenreaktion hervorrufen. "Dem Islam wird oft Unrecht getan", erläutert die Wissenschaftlerin. Wenn man dann persönlich Muslime kennen lerne, die ganz anders sind als das negative Bild der Fanatiker, könne das den Ausschlag geben.Viele ihrer deutschen Freundinnen sind mittlerweile ebenfalls konvertiert, erzählt Jacqueline. Einige davon trifft sie alle vierzehn Tage zum Frühstück, das Mohammed Herzog im Interkulturellen Haus im Berliner Stadtteil Schöneberg organisiert. Dort werden bei Brötchen, Schokolade und Kaffee grundlegende Anfängerfragen diskutiert - wie man richtig betet beispielsweise oder was tatsächlich im Koran steht und was nicht. Einige der konvertierten Muslime leben sehr streng nach islamischen Grundsätzen. Strenger noch als viele Muslime, die in ihren Glauben hineingeboren werden, berichtet Herzog. Deshalb predigt der Vorsitzende vor allem Toleranz. Mit Blick auf das zweite Treffen der Islamkonferenz Anfang des Monats, das kontroverse Debatten auslöste, distanziert sich der 64-Jährige von radikalen Positionen: Muslimische Mädchen sollten sowohl an Klassenfahrten als auch am gemeinsamen Sportunterricht teilnehmen. "Wir leben in diesem Kulturkreis, deshalb sind die Schulgesetze hier einzuhalten", sagt Herzog. Er bedauere es, dass zu der Konferenz lediglich muslimische Dachverbände und keine lokalen Vereine oder Gemeinden eingeladen wurden - die Basis, wie er es nennt."Wichtig ist, dass jeder die Meinung der anderen akzeptiert", erklärt Jaqueline und schiebt sich einen Schokoriegel in den Mund. "Es ist nicht Sinn der Sache, dass man jemanden ablehnt, weil er seinen Glauben anders auslebt." So zum Beispiel ihre Freundin Barbara B. alias Aisha. Auf den ersten Blick könnten die beiden nicht unterschiedlicher sein. Die 56-jährige Frau aus dem Berliner Stadtteil Neukölln ist ungeschminkt und trägt ein schlichtes schwarzes Kopftuch aus Baumwolle. Ihren Körper versteckt sie unter einem riesigen grauen Sweatshirt und weiter Hose. Barbara ist 1998 zum Islam konvertiert. Bis dahin war sie streng katholisch. Auf Geheiß ihrer Eltern hat sie sogar einige Zeit im Kloster verbracht. Dann ist Barbara über ihre arabischen Nachbarn mit dem Islam in Kontakt gekommen. "Ich habe im Koran gelesen und alles so schön gefunden", erinnert sich die Ostberlinerin. Nach ihrer Konversion habe sie sich viel wohler in ihrer Haut gefühlt. Zwar habe sie früher gerne mal einen Schnaps getrunken und Schweinebraten gegessen, doch sei ihr der Verzicht nicht schwer gefallen. Ein Jahr später heiratete sie einen Moslem aus der Türkei. Der wollte sie zwingen, nur noch zuhause zu bleiben, ihn von vorne bis hinten zu bedienen und ein Kopftuch zu tragen. "Ich alleine entscheide", hat Barbara geantwortet und einige Jahre später die Scheidung eingereicht. Erst danach hat sie das Kopftuch angelegt - aus eigenem Antrieb.Mit zwei Freundinnen diskutiert Barbara beim Frühstück ihre Sorgen. Sie will nächste Woche umziehen und hat von ihrem Bruder den Rat bekommen, beim Treffen mit dem Vermieter auf das Kopftuch zu verzichten. Das will sie aber nicht. Deshalb beschließt die 56-Jährige, ihre Haare unter einem Schal zu verbergen. "An solche Sachen bin ich schon gewöhnt", berichtet sie. Einmal hat sie einen Job in einem Call-Center nicht bekommen. Der Chef habe damals zu ihr gesagt, sie suchten keine Putzfrau. Wenn sie die Arbeit wolle, dann nur ohne Kopftuch. Barbara hat mit einer riesigen Wut im Bauch abgelehnt. Oft wird sie in der U-Bahn komisch angeschaut oder sogar angepöbelt. Das Unverständnis in ihrer Umgebung ist groß. Selbst die eigene Schwester konnte Barbaras Entscheidung nicht verkraften. "Du hast einen Schatten", habe sie gesagt und den Kontakt abgebrochen. Die früheren Bekannten haben sich irgendwann ebenfalls nicht mehr bei Barbara gemeldet. Die Mutter von zwei erwachsenen Töchtern musste einen hohen Preis für ihre Konversion zahlen. Doch mit einem breiten Lächeln erklärt sie: "Ick fühl´ mir wohl."
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