Ein Trinkgeld in einem Restaurant zu geben, das ist wie der Schlussapplaus in einem Konzert. Sagt Herr Kohoutek. Das sei das "Danke schön" des Gastes an seinen Kellner, der Lohn dafür, dass ihm während seines Aufenthaltes beständige Aufmerksamkeit, fürsorgliche Behandlung und höfliche Korrektheit zuteil wurden. Deshalb geht Herr Kohoutek davon aus, dass er und seine Mitarbeiter nie leer ausgehen, wenn der Kunde das Haus verlässt.
Falls doch, dann hält es Herr Kohoutek für dringend geboten, den Service zu überprüfen. Denn eine Kleinigkeit könnte in Unordnung geraten sein. Oder der Gast war in Gedanken und hatte darüber schlicht und einfach vergessen, einen Obolus zu entrichten. Eine andere Möglichkeit gibt es für Herr
einem Restaurant zu geben, das ist wie der Schlussapplaus in einem Konzert. Sagt Herr Kohoutek. Das sei das "Danke schön" des Gastes an seinen Kellner, der Lohn dafür, dass ihm während seines Aufenthaltes beständige Aufmerksamkeit, fürsorgliche Behandlung und höfliche Korrektheit zuteil wurden. Deshalb geht Herr Kohoutek davon aus, dass er und seine Mitarbeiter nie leer ausgehen, wenn der Kunde das Haus verlässt.Falls doch, dann hält es Herr Kohoutek für dringend geboten, den Service zu überprüfen. Denn eine Kleinigkeit könnte in Unordnung geraten sein. Oder der Gast war in Gedanken und hatte darüber schlicht und einfach vergessen, einen Obolus zu entrichten. Eine andere Möglichkeit gibt es fXX-replace-me-XXX252;r Herrn Kohoutek nicht.Herr Kohoutek ist Oberkellner in einem Prager Kaffeehaus am Moldauufer, dessen Tradition bis ins 19. Jahrhundert zurück reicht und das seit wenigen Wochen wieder - aufwändig restauriert - im alten Glanz erstrahlt. Mit seinem Chef ist sich Herr Kohoutek einig, dass die Gabe des Gastes an das Personal weiter gereicht wird, und zwar in voller Höhe. Davon profitieren sowohl die Kellner, die unmittelbar den Gast betreuen, wie auch die Mitarbeiter, die an der Theke und in der Küche für das Wohl des Kunden sorgen.Nicht nur in Prager Restaurants ist das Trinkgeld mittlerweile als soziale Norm in das tägliche gesellschaftliche Leben integriert. Fast überall auf der Welt erwarten neben Kellnern auch Taxifahrer, Frisöre oder Zimmermädchen eine kleine Gabe für ihre Leistungen.Die Frage, wie hoch dieser Geldbetrag ausfallen sollte, beschäftigte schon viele, Ökonomen, Soziologen und Autoren diverser Reiseführer. Auch zahlreiche Bücher zur Etikette machen Vorschläge, an wen, wann und wie viel Trinkgeld zu geben ist. Doch niemandem ist es bisher gelungen, ein einheitliches Bild über die Höhe des Trinkgeldes zu schaffen.Ebenfalls unklar ist bis heute, welchen historischen Ursprung das Trinkgeld hat. Manche Geschichtsforscher vermuten, dass Gäste schon im 16. Jahrhundert den Bedienungen in englischen Kaffeehäusern Geld gaben, damit diese sich später ebenfalls ein Getränk kaufen konnten - daher der Name "Trinkgeld". Eine andere Theorie besagt, dass Feudalherren im 17. Jahrhundert den Bauern am Wegesrand Goldstücke zuwarfen, um sich eine sichere Durchreise zu verschaffen.Einig sind sich die Historiker darin, dass das Geben von Trinkgeldern in jenen Ländern besonders verbreitet war, in denen ein ausgeprägtes Diener-Herren-Verhältnis vorherrschte.Die Motive für dieses Verhalten zwischen "Herren" und "Dienern" und somit die Sitte des Trinkgeldgebens stellen auch aus ökonomischer Sicht ein großes Rätsel dar. Schließlich haben egoistisch denkende Menschen kein Bestreben, ihre eigene Wirtschaftskraft dadurch zu schwächen, dass sie für eine Leistung zur vereinbarten Entlohnung noch einen zusätzlichen Betrag aufwenden, quasi zur "Belohnung", auch wenn sie mit dieser Leistung zufrieden waren. Zumal sie bei einer einmaligen Interaktion nicht mit einer "Bestrafung" rechnen müssen, wenn sie kein Trinkgeld zollen.Deshalb versuchen Sozio-Ökonomen und Psychologen dieses Verhalten mit einem "sozialen" und mithin "schlechten" Gewissen zu erklären. Mit dem Trinkgeld, so glauben sie, könne der Kunde "Schuldgefühle" verringern. Denn er habe eine Dienstleistung in Anspruch genommen und fühle dadurch eine gewisse Schuld gegenüber dem Dienstleister. Somit sei dieses Trinkgeld gleichsam eine Beruhigung seiner selbst.Es entstehe eine Beziehung zwischen dem Dienstleistenden und dem Kunden, erklären Psychologen, und diese Beziehung sei dem Kunden mitunter unangenehm. Daher möchte er dem Dienstleister nicht nur die reine Dienstleistung vergüten, sondern auch das "gute Verhältnis", das sich in der Zwischenzeit gebildet habe.Wenn die Beziehung freilich zu eng geworden ist, erscheint es unangebracht, jemandem Geld als Anerkennung zu geben. "Das wäre fast so, als würden wir unsere Freunde für einen schönen Abend bezahlen", so die Wissenschaftler. Trotzdem bleibt fraglich, ob unsoziales Verhalten einen (wirtschaftlichen) Nutzenverlust und dadurch auch die Existenz des Trinkgeldes erklären kann.Dessen Höhe richte sich entscheidend nach der Festigkeit des Charakters, bemerkte einst der Satiriker Ephraim Kishon. Und nach geographischen Aspekten, möchte man hinzu fügen. So haben Berliner "Stadtbilderklärer" die Erfahrung gemacht, dass "Nordlichter" eher wenig Trinkgeld geben, Bürger aus dem Süden dagegen mehr. Auch Amerikaner geben viel, Japaner wenig, Skandinavier gar nichts. Manchmal gibt es im Berufsalltag der Stadtführer auch Überraschungen. Bei Schotten zum Beispiel. Nach einer dreistündigen Tour mit ihnen stieg eine Berliner Führerin mit einem vollen Geldbeutel aus. "Schotten wissen, dass sie als geizig gelten - und es kostet sie ein Vermögen, das Gegenteil zu beweisen", erklärte ihr daraufhin der Fahrer.Und die Deutschen? "Wenn keiner anfängt, Trinkgeld zu geben oder wenn der Vorsitzende vom Kegelverein nicht dran denkt, zu sammeln, dann gehen wir meist leer aus", so ihre Eindrücke.Tatsächlich untersuchten Studien mehrfach einen Zusammenhang zwischen nationalen Wertevorstellungen und der Neigung zum Trinkgeldgeben. Zumeist kommen die wissenschaftlichen Arbeiten aus den Vereinigten Staaten, wo das Forschungsinteresse an dem Thema besonders groß ist, weil Amerikaner jährlich etwa fünf Milliarden Dollar für Trinkgelder ausgeben. Überhaupt sind die USA- obwohl es am Anfang ihrer Historie nicht üblich war, überhaupt einen "Tip" zu geben - in dieser Hinsicht mittlerweile am teuersten: Zwischen 15 und 20 Prozent der Rechnungssumme werden dort als Trinkgeld erwartet, weil Bedienungen wegen ihres geringen Basisverdienstes davon leben müssen.Anders in England. Dort rechnen Gäste oft blitzschnell aus, was sie geben wollen und schieben dann diskret ein paar Pennies unter den Teller. Wem sie zu wenig erscheinen, der verlässt einfach schnell das Restaurant. Wer in England Trinkgeld gibt, fühlt sich noch heute zuweilen wie ein Gutsherr. "Das liegt wohl am alten Klassensystem, wo Trinkgeld früher viel stärker verbreitet war", bemerkt man dazu auf der Insel. Nun möchte man dort nicht mehr gerne als "Upper-Class-Schnösel" gelten. Weil aber Taxifahrer in England von amerikanischen Touristen sehr verwöhnt werden, kann es durchaus passieren, dass Fahrgäste mit dem Satz verabschiedet werden: "Was, ist das alles?"Mittlerweile gibt es kaum noch Länder, in denen überhaupt kein Trinkgeld bezahlt wird. Ausnahmen: Japan, wo für guten Service bestenfalls ein kleines Geschenk erwartet wird. Und China, wo man Trinkgeld außerhalb der Touristenzentren in vielen Fällen immer noch als Beleidigung empfindet.In Deutschland vermerken Speisekarten, dass "sämtliche Preise inklusive Bedienung und Mehrwertsteuer" zu verstehen seien. Dies impliziert, dass der Lohn der Kellner bereits abgegolten ist - oder der Chef den freiwilligen Obolus des Gastes für sich selbst behält. Tatsächlich ergaben Nachfragen in zehn Lokalen, dass nur ein Restaurant das Trinkgeld in voller Höhe an das Personal weiter reichte. Zwei Kneipen nutzten es als "Motivation" für ihre Mitarbeiter, die Anteile daran bekamen, doch in sieben Restaurants wanderte das Trinkgeld komplett in die Taschen der Chefs.Dabei sind auch hierzulande viele Kellner auf das Trinkgeld angewiesen. "Der Lohn sollte so sein, dass man davon leben kann", erklärt der Bundesverband Gaststätten dazu, "die freiwillige Gabe der Gäste ermöglichen den Dienstleistern darüber hinaus oft erst ihren persönlichen Luxus, etwa ihren Urlaub."So merken Kellner in Berliner Cafés an, dass sie das Trinkgeld ganz normal einplanen und tatsächlich immer mit etwa sechs Prozent rechnen dürfen, egal ob das Geschäft gut oder schlecht laufe.Andere Branchen, andere Gesetze. Verkäuferinnen in Blumengeschäften beklagen durchaus, dass Kunden nicht ihre Handwerkskunst sehen und mit einem entsprechenden Trinkgeld belohnen. Ebenso Friseurinnen, obwohl sie für ihre Kunden individuelle Leistungen erbringen würden.Bei Taxifahrern ist Trinkgeld durchaus noch üblich und nötig, weil sich die Arbeit "sonst nicht rechne", sagen Taxler. Sie sehen dies als Anerkennung dafür, dass sie den kürzesten Weg genommen haben und keine Umwege gefahren sind. Wobei auch der Fahrstil eine Rolle spiele. "Wenn ich rasant um die Kurven heize kriege ich weniger, als wenn ich vernünftig fahre", sagt einer. Zudem gilt: "Wer nett und freundlich ist, bekommt mehr."Tatsächlich wird Trinkgeld subjektiv oft als Belohnung für guten Service empfunden. Allerdings zeigt die Erfahrung, dass es oft nicht alleine der Service ist, der über das Trinkgeld und seine Höhe entscheidet. Wenn ein männlicher Gast die Rechnung bezahlt, so fällt dieses Trinkgeld meist höher aus als bei einem weiblichen. Ebenso hat sich bargeldloses Zahlen segensreich auf das Trinkgeld und seine Höhe ausgewirkt.Wichtig ist selbst die Anzahl der Gäste, die an einem Tisch essen, weil viele das Gefühl haben, sie müssten sich gegenseitig übertrumpfen und großzügiger sein. Sogar das Wetter spiele eine Rolle, wie viel - oder wenig - Trinkgeld bezahlt werde, berichten Bedienungen.Und für Stadtführer ist oft entscheidend, wie Besucher reagieren: "Je schlechter die Stimmung, desto besser das Trinkgeld", berichten sie, "wenn die Gäste in Applaus ausbrechen und toben, gibt es dagegen meistens gar nichts."Nicht selten fühlen sich Gäste heute unwohl bei diesem Brauch. Besonders nach der Euro-Einführung bereitete das Trinkgeld Kopfzerbrechen. Es stellte sich damals die Frage, wie viel Geld man liegen lassen sollte, wenn etwa für eine Tasse Kaffee plötzlich 2,50 Euro zu bezahlen waren. "Auf drei Euro aufrunden und damit zwanzig Prozent Trinkgeld statt der üblichen fünf Prozent in Kauf nehmen", fragte sich mancher. Oder lieber nur 2,80 Euro geben und damit Gefahr laufen, als knickrig zu gelten?Trinkgeld zu geben, ist eben auch eine Frage des Stils. Und häufig eine schwierige Gratwanderung zwischen Lob und Beleidigung. Deshalb raten Experten der Etikette dazu, im Zweifelsfall statt Geld eine kleine Aufmerksamkeit zu geben. Angebracht sei Trinkgeld in den dafür typischen Berufen wie Gastronomie, Hotel- und Reisebranche, Schönheitssalons oder beim Friseur.Und pekuniäre Anerkennung sollte von einigen Dankesworten begleitet sein - wie man umgekehrt bei Klage lieber komplett darauf verzichten sollte. Noch immer gilt zudem die alte Regel, dass Chefinnen und Chefs kein Trinkgeld bekommen. Wenig stilvoll erscheint dagegen, eine Restaurant-Rechnung von 99,50 Euro auf 100 Euro aufzurunden - eine glatte Beleidigung für jede Fachkraft.Im Gegensatz zu den USA, wo ein Trinkgeld im Restaurant ein "Must" ist, bleibt es in Deutschland eine freie Entscheidung für jeden Gast, im Restaurant ein Trinkgeld zu geben.Weil diese Zusatzgabe weltweit so begehrt ist, gibt es überall auch Restaurants, in denen Kellner eine "Trinkgeldabsicherung" betreiben. Tatort Wien: In einem Café am Südbahnhof wird ein Frühstück zu vier Euro angeboten, die Bedienung berechnet jedoch den regulären Preis von 4,20 Euro - macht fünf Prozent Trinkgeld für sie.Tatort Budapest: Die Bestellung in einem zentralen Bistro beträgt 2.630 Forint, bei der Bezahlung fügt der Ober noch 520 Forint als "Service" bei ausländischen Gästen an - ergibt fast 20 Prozent Trinkgeld.Und Tatort Prag: Anders als im eingangs erwähnten Café legen Kellner ausländischen Besuchern manchmal eigene Speise- und Getränkekarten vor, weshalb diese für ihr Bier 48 Kronen zahlen, Einheimische jedoch nur 28 - bei den vielen Biertrinkern ein lohnendes Geschäft für den Servierer.Zuweilen kann es in der Heimat Schwejks auch vorkommen, dass in einem Traditionslokal plötzlich ein 70-jähriger Türsteher auftaucht und 20 Kronen Eintritt verlangt. "Nein", sagt der Gast. "Gut, gibst du mir zehn Kronen, und ich bewache dafür deine Garberobe", erwidert der Alte. "Auf keinen Fall", entgegnet der Gast. "In Ordnung, gibst du mir fünf Kronen, und ich bewache deine Garderobe umsonst", bietet der Alte an. Da gibt sich der Gast geschlagen ...
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