Interview Für Ingo Schulze ist die Kleinstadt interessanter als Berlin, Zoë Beck schreibt über Terroranschläge in London. Und was beschäftigt Alina Herbing und Fabian Hischmann?
Lesen wir unverdrossen Romane, während uns die Welt um die Ohren fliegt? Kämpft die Gegenwartsliteratur mal wieder mit dem berühmten Relevanzproblem? Wie soll sich der Schriftsteller zum Horror der Gegenwart verhalten? Unsere Autorinnen jedenfalls schreiben, was sie wollen, Kunst kann unmöglich über jedes Stöckchen springen. Aber warum sollte sie auch?
der Freitag: Herr Schulze, schreiben Sie als dezidiert politischer Autor gerade den großen Trump-AfD-Roman, auf den jetzt alle warten?
Ingo Schulze: Was heißt schreiben, den hab ich schon fertig … Nein, aber das, was zu Trump und AfD geführt hat, spielt in meinem neuen Buch eine Rolle. Es ist der Versuch, unsere Selbstverständlichkeiten zu befragen. Denn was selbstverständlich ist, n
ere Selbstverständlichkeiten zu befragen. Denn was selbstverständlich ist, nimmt man als gegeben hin. Aber das ist ja ein historisches Resultat verschiedener Interessen. Die Idee war, einen Toren, einen Naivling, durch beide Systeme zu schicken, der sich in der DDR als guter Sozialist um verfallende Mietshäuser kümmert und nach 89 als Millionär aufwacht. Sein Problem ist, das Geld anständig wieder loszuwerden.Wir fühlen mit dem armen Mann.Schulze: Er wird dabei selbst zu einer absurden Figur, führt aber auch die alten wie die neuen Verhältnisse als absurde vor. Er sucht immerhin nach einer Alternative zu den Verhältnissen.Man denkt ja eigentlich, dass sich Schriftsteller angesichts solcher Realitäten wie Trumps Wahl oder des Brexits vor Roman-Ideen kaum retten können.Fabian Hischmann: Der Gedanke ist zynisch. Mir wäre es lieber, wenn wir uns diese unvorstellbaren Dinge imaginieren müssten. Und so etwas wie Trump hätte ich mir nicht einmal gerne vorgestellt.Frau Beck, Sie nicken heftig. Ist Trump nicht mal ein guter Plot?Zoë Beck: Nein. Als Satire vielleicht, aber wirklich lustig findet das doch niemand. Ich halte das Schreiben in dieser Wirklichkeit sogar für schwieriger, weil sich die Gegenwart so stark überzeichnet, dass man sich die Stoffe mit Bedacht suchen muss. Viele, die vorher immer gesagt haben, dass sie sich aus der Politik heraushalten, schauen jetzt, inwiefern das, was da passiert, in ihrem Schreiben reflektiert wird. In Gesellschaftsbildern zum Beispiel. Und wenn ich jetzt den Roman von Alina Herbing lese und auf das Thema Windräder stoße, dann poppt das Politische sofort auf. Das Politische ist in allem anwesend.Frau Herbing, Ihr Debütroman „Niemand ist bei den Kälbern“ spielt in einem kleinen Mecklenburger Dorf, wo eine 20-Jährige mit sich und ihrem Leben in einem Milchviehbetrieb hadert. Wirklich politisch klingt das erst einmal nicht.Alina Herbing: Die Menschen dort kommen mit Entscheidungen der EU oder der Bundesregierung in Berührung, die sie ganz konkret betreffen. Dann der schon erwähnte Bau der Windräder, die das Landleben und die Landwirtschaft in der Region beeinflussen. Und die Öffnung der innerdeutschen Grenze. Ich bin beim Schreiben nicht von politischen Fragen ausgegangen. Aber ich konnte das alles auch nicht einfach weglassen.Placeholder infobox-1Die Schriftstellerin Thea Dorn forderte kürzlich die Mitglieder der „liberalen Blase“ – zu der sie sich auch selbst zählt – auf, sich der Kritik von rechts zu stellen. Herr Schulze, ziehen Sie sich diesen Schuh an?Schulze: Ach, so ein Unfug! Was ist denn die Kritik von rechts? Ist es etwa die Kritik an der Ökonomisierung aller Lebensbereiche? Oder der Ungerechtigkeit auf nationaler und internationaler Ebene? Die eigentliche Frage ist doch, wieso war es so lange so ruhig im Land? Warum kommen die Flüchtlinge erst jetzt? Das verstehe ich nicht.Frau Herbing, Sie haben als Schülerin auf dem Land in Nordwestmecklenburg erlebt, wie Klassenkameraden Kinder vom Asylbewerberheim beschimpften.Herbing: Ich war sieben und hatte damals schon gemerkt, dass das in Mecklenburg relativ normal war. Wenn die Kinder von Asylbewerbern in den Bus wollten, wurden sie erst einmal beschimpft, und im Bus ging es weiter. Das kam natürlich von den Eltern. Die haben ihren Kindern vermittelt, dass es Menschen gibt, die hier nicht hergehören. Kinder glauben das erst einmal. Ich bin von meinen Eltern anders erzogen worden: tolerant und offen.Herr Hischmann, Sie sind auch im ländlichen Raum groß geworden, in Baden-Württemberg. Wie waren Ihre Erfahrungen mit dem Konformitätsdruck?Fabian Hischmann: Irgendwann in der Pubertät fand ich, dass ich nicht automatisch Dinge gut finden will, die alle anderen gut fanden. Es gab beispielsweise eine Zeit, da mussten alle Böhse Onkelz hören. Ich fand das einfach unglaublich dumm. Bis heute werde ich skeptisch, wenn mich jemand in so eine Konsensblase drücken will. Für mich war klar, dass ich mich Richtung Stadt bewegen will.Wo ja auch oft die Debatten bestimmt werden.Hischmann: Auf dem Land wird schon politisch debattiert, aber eben meist in eine Richtung. Das Integrationsthema beispielsweise kam erst im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise auf.Beck: Aber wir hatten doch die sogenannten Gastarbeiter. Schon zu der Zeit gab es die, die sich abgeschottet und in Parallelgesellschaften zurückgezogen haben. Die strukturellen Grundlagen waren schon damals ausschlaggebend für das gelingende Ankommen der anderen, das sind jetzt keine neuen Debatten. Dennoch führen wir sie. Da frage ich mich, ob wir aus der Erfahrung einfach nicht schlauer werden wollen.Schulze: Meiner Ansicht nach ist das wirklich Interessante die Kleinstadt. Da ist man politisch viel stärker gefordert, weil letztlich jeder jeden kennt. Da spielt Angst eine Rolle, 1990 genauso wie heute, als aus dem vermeintlichen Nichts Skinheads oder Rechtsextreme auftauchten. In Berlin eine Überzeugung zu haben ist nicht so schwierig wie zum Beispiel in einem Kaff wie Altenburg.Mit Überzeugungen, Herr Hischmann, tut sich auch die Generation schwer, die sie in Ihrem neuen Roman „Das Umgehen der Orte“ beschreiben. Sie hat zwar alle Möglichkeiten, kann damit aber wenig Sinnvolles anfangen. Woran mag das liegen?Hischmann: Weil es zu viele Angebote gibt. Das ist zwar erst einmal schön, aber es kann auch zu einer Orientierungslosigkeit führen – aufgrund des Überangebots an Möglichkeiten. Aber ich tue mich mit diesem Generationenbegriff schwer. Vor die Generation, für die Alina Herbing und ich hier sitzen, wird immer ein „Y“ gesetzt. Das soll dann etwas aussagen. Aber was? Es gibt in dieser Generation eine große Diversität an Menschen, die ich in meinem Roman versucht habe darzustellen.Schulze: Ich frage mich, ob nicht jemand, der in den 1960er Jahren aufgewachsen ist, viel mehr Möglichkeiten hatte als die heutige Jugend. Ich muss mir nur die Situation an den Unis anschauen, das ist ja eine Knechtschaft.Hischmann: Vielleicht sind auch nicht die Möglichkeiten entscheidend, sondern die zur Verfügung stehende Zeit. Heute ist alles einfach wahnsinnig schnell. Ich konnte damals auch mal in der Uni fehlen. Heute sehe ich bei Studenten einen Riesendruck. Am besten mit allem in drei Jahren fertig sein! Ich weiß gar nicht, ob es so sinnvoll ist, mit 22 oder 23 Jahren ins „wahre, ernste Leben“ durchzustarten.Absolventen der Schreibschulen in Hildesheim und Leipzig wie Ihnen oder Alina Herbing wird oftmals vorgeworfen, nach einem Masterplan zu schreiben. Das Resultat sei Gleichförmigkeit.Hischmann: Das ist doch alles nur Blabla! In den USA kann man an jeder Uni Creative Writing studieren, das ist nichts Verwerfliches. Wie viele Journalisten waren denn jemals in so einer Schreibschule und haben sich angeschaut, was da passiert? Das haben doch die wenigsten gemacht. Diese kategorischen Aussagen, die da oft getroffen werden, finde ich langweilig und nahezu dämlich. Es ist doch zu einfach, zu behaupten, dass das alles zu konform und gleichförmig wäre. Natürlich gibt es Ähnlichkeiten, aber zugleich sind das so unglaublich unterschiedliche Bücher, die da in den letzten Jahren erschienen sind!Der Ton wird zunehmend rauer, die Sprache verroht. Nicht nur, aber auch in den sozialen Netzwerken. Fließt diese beständige Eskalation in Ihr Schreiben ein?Schulze: Für jemanden wie mich gibt es die Zäsur 1989/90, mit der – nicht allein, aber auch – viel an Alternativen verschwunden ist. Die 1990er Jahre waren nur ein Sich-selbst-nicht-mehr-ernst-Nehmen, was den Boden für die heutigen Verhältnisse bereitet hat. Jetzt bricht das alles auf. Ich habe die Diskussion über die AfD in der Verwandtschaft. Es gibt Schulkameraden, die rufen mich an und fragen, warum ich dieses und jenes schreibe. Das sind alles Eindrücke, die sickern ein in das eigene Schreiben.Hischmann: Bei mir generieren die Figuren die Sprache. Ich habe aber nicht das Bedürfnis, grundlos eine bestimmte sprachliche Eskalation zu betreiben, nur weil das gesellschaftlich passiert. Wenn eine Figur bei mir „Arschloch“ sagt, dann hat das einen Grund. Dann heißt es manchmal, die Sprache sei zu vulgär oder zu direkt. Aber stellen Sie sich vor, jemandem wird im Straßenverkehr die Vorfahrt genommen. Dieser Jemand wird nicht „Du Schlingel“ denken. Sondern eben eher: „Du Arschloch.“Gibt es Themen, von denen Sie derzeit am liebsten nichts mehr lesen wollen?Schulze: Es ist nie eine Frage des Stoffes. Mich interessieren auch die Schlafstörungen eines verzärtelten Jungen am Ende des 19. Jahrhunderts in Paris nicht sonderlich, aber trotzdem lese ich Proust. Es geht um das Wie, um den Blick auf die Welt!Herbing: Ich fand diese Frage immer überflüssig. Für mich ist wichtig, dass ich ein Faszinosum für mein Sujet entwickle – und dafür, wie ich das in welcher Weise zu Papier bringe.Frau Beck, Sie haben in Ihrem jüngsten Kriminalroman „Schwarzblende“ auf aktuelle Ereignisse zurückgegriffen: einen islamistischen Mord in London.Beck: Ja, man kann auf das reagieren, was gerade passiert. Das kann auch schnell sehr alt werden, ich hätte mir gewünscht, dass sich das alles anders entwickelt – und muslimische Anschläge plötzlich der Vergangenheit angehören.…der britische Soldat Lee Rigby wurde von britischen Islamisten nigerianischer Abstammung auf offener Straße ermordet …Beck: Ich dachte, es sei einer von vielen Anschlägen auf der Welt. Ich wollte mir vor allem die mediale Entwicklung davon anschauen, die Polarisierung im Nachhinein und die politischen Fehler. Das Buch erschien dann kurz nach dem Pariser Charlie-Hebdo-Attentat und das Erschreckende für mich war, dass in der Wirklichkeit genau die Fehler passierten, die ich in meinem Roman dargestellt hatte.Schulze: Die Übertreibung liegt eigentlich immer in der Wirklichkeit. Natürlich kann man Literatur und Wirklichkeit nicht eins zu eins vergleichen. Orwells 1984 ist ja nicht veraltet, nur weil die Verhältnisse, in denen wir leben, nicht exakt den darin beschriebenen entsprechen. Trump zum Beispiel ist für mich immer auch ein Blick in den Spiegel, weil das, was er sagt und darstellt, offenbar von vielen als Alternative zu dem Bestehenden wahrgenommen wird. Das sagt natürlich viel über die Verkommenheit des Bestehenden aus.Beck: In meinem nächsten Buch drehe ich die Schraube der Wirklichkeit ein bisschen weiter, um diese Verkommenheit zu zeigen. Ich habe um meine Figuren eine Post-Brexit-Welt gebaut.Wo findet denn heute noch der große Gesellschaftsroman statt? In der Literatur oder bei „House of Cards“?Schulze: Natürlich in beidem! Ich bin 1998 von Marcel Reich-Ranicki verrissen worden, weil ich über meinen Roman Simple Storys gesagt habe, dass er wie eine Fernsehserie funktioniert. Die Serien kommen doch von der Literatur!In Ihren verschiedenen Rollen – Debütantin, junger Autor, Autorin und Verlegerin sowie Erfolgsautor – sind Sie Teil des Literaturbetriebs. Macht er denn gerade Spaß, dieser Betrieb?Herbing: Mir macht das Schreiben Spaß und das Drumherum auch. Aber ich finde es wichtig, sich da immer mal wieder rauszuziehen. Ich unterrichte nebenbei in Frauenintegrationskursen – da kommt man automatisch wieder auf den Boden der Tatsachen.Hischmann: Der Literaturbetrieb ist halt ein Teil, der zum Schreiben dazugehört. Die Frage, ob er mir Spaß macht, stellt sich mir gar nicht.Beck: Ich habe mein gespaltenes Verhältnis zu diesem Betrieb. Es gibt überall Akteure, mit denen man nicht so gern zusammenarbeitet, und andere, bei denen man ungemein dankbar ist, dass man sie kennengelernt hat. Unterm Strich liebe ich die Literatur.Schulze: Ich bin ja selbst Teil des Literaturbetriebs. Wir haben in diesem Land wahrscheinlich nicht nur den besten Buchhandel, sondern vermutlich auch den besten Literaturbetrieb. Ich weiß noch, am Anfang gab es für jede Lesung 400 Mark, die habe ich mir immer in Taxi-Nächte umgerechnet …… als Fahrer oder Gast?Schulze: Als Fahrer natürlich! Dafür hätte ich eine Woche Taxi fahren müssen! Da wusste ich sofort, dass es mir im Vergleich zu anderen sehr gut geht.Placeholder infobox-2Placeholder infobox-3
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