FREITAG: Was halten Sie vom Thesenpapier Roland Kochs zur Ausländerintegration, in dem er "ungewohnte Vorstellungen zur Müllentsorgung" und "Hausschlachtungen in der Wohnküche" erwähnt?
SCHORLEMMER: Koch bedient auf demagogisch geschickte Weise Klischees, betreibt Wahlkampf, der zynisch, ideenlos und eines Demokraten unwürdig ist. Leider sind dem Bundesinnenminister und der Kanzlerin Wahlerfolge in Hessen wichtiger als eine liberale Gesellschaft. Zuvor hatten sie noch vor Schnellschüssen gewarnt.
Was meinen Sie mit demagogisch geschickt?
Er stigmatisiert Migranten, denen er deutsche Sekundärtugenden wie Ordnung, Sauberkeit, Fleiß abspricht. Dabei haben auch viele Deutsche ungewohnte Vorstellungen von Müllentsorgung. Statt ein Wort über massive rechtsradikale Gewalt zu verlieren, spielt er sich als Sprecher einer schweigenden Mehrheit auf, vermeintliche Tabus mutig brechend: Für kriminelle Ausländer will er selbst Lager wieder hofffähig machen. Und was verbirgt sich hinter dem der schweigenden Mehrheit? Eine rassistische?
Sind härtere Strafen oder schnelle Abschiebung eine Lösung?
Härtere Strafen schrecken kaum ab. Wer Härte erfährt, wird selber roh. Wichtiger ist, dass alle Gewaltdelikte zügiger aufgeklärt und die Täter schneller bestraft werden.
Was schlagen Sie vor, um Jugendkriminalität einzudämmen?
Sanktionen müssen spürbar sein und nahe am Tatzeitpunkt liegen. Der soziale Kontext der Täter verlangt nach mehr Prävention. Auch ein Boxcamp kann hilfreich sein, wenn dort (Selbst-)Disziplinierung und Aggressionsabbau erfolgen. Gewaltakte sind nicht zu tolerieren. Ursachenbeschreibung rechtfertigt sie nicht. Aber Wurzeln des Übels sind zu beseitigen, statt Knastkarrieren zu befördern.
Reicht Ihnen der Protest gegen Koch aus?
Nein. Mit BILD hat er zudem einen starken Verbündeten, der die zwei Vorgänge mächtig aufgeblasen hat. Nun scheint es fast so, als müsse man Angst haben, wenn man auf der Straße Jugendlichen begegnet, vor allem ausländischen. BILD reduziert stets komplexe Wirklichkeit auf Schlag-Zeilen.
Glauben Sie, dass Koch wiedergewählt wird?
Ja. Er saugt aus geschürter Angststimmung Stimmen. Ein demagogischer Brandstifter suggeriert als sonorer Biedermann, er hätte gute und schnelle Problemlösungen. Erlaubt scheint, was nützt. Er hat es vorerst geschafft, die Debatte zu bestimmen - mit Ideenarmut, Ressentimentschürung und Abruf "gesunden Volksempfindens".
Das Gespräch führte Dirk F. Schneider
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