Ist nach der Demokratie vor der Demokratie?

Debatte Colin Crouch setzt bei einem Auftritt in Deutschland auf die Zivilgesellschaft. Aber es gibt da ein Problem

Die Demokratie sei keineswegs im Niedergang begriffen, sondern lebendig wie nie, erklärt der Berliner Historiker Paul Nolte in der aktuellen Ausgabe des Magazins 'Cicero': Arabischer Frühling, Occupy-Wall-Street, die Piraten und die Stuttgarter Wutbürger belegten es. Alle Thesen vom baldigen Ende des demokratischen Zeitalters hätten sich selbst als Auslaufmodell erwiesen.

Im Rahmen einer Veranstaltung des Deutschlandfunks traf Paul Nolte am letzten Freitag in Köln auf einen prominenten Analytiker postdemokratischer Zustände: den britischen Soziologen Colin Crouch. Lobbygruppen und Konzerne, die sich mit der Politik verbandelten, höhlten die Demokratie aus. Was Crouch 2004 anhand der Situationen in Italien und Großbritannien beschrieb, konnte er im letzten Jahr anhand der Finanzkrise aktualisieren: Die Großbanken seien gestärkt aus der Krise hervorgegangen und die Politik spare lieber bei den Staatsausgaben als „die Märkte“ zu beunruhigen.

In der Tat scheint das ängstliche Starren auf die Bewegungen an den Finanzmärkten das deutlichste Indiz für die Machtlosigkeit der demokratischen Institutionen, die offensichtlich auf die Finanzmärkte reagieren statt diese zu korrigieren. Aber könnte man nicht folgern: Wo Gefahr für die Demokratie ist, wächst das Rettende auch? Denn schließlich wachsen doch all die Aufbrüche in der Zivilgesellschaft, auf die Nolte hinweist. Crouch wäre der Idee wohl gar nicht abgeneigt, auch er setzt auf die Zivilgesellschaft als – freilich bescheidene – Gegenmacht zu den Konzernen. Man möchte das ja gerne glauben.

Kleine Zirkel

Der Grüne Europaparlamentarier Sven Giegold aber weist auf ein Problem hin, das zu denken gibt: Wenn der EZB-Chef vierteljährlich vor Europaparlamentariern seine Geldpolitik erkläre, dann sei klar, dass er in der öffentlichen Sitzung nicht sage, was er wirklich denke: Täte er das, würden „die Märkte reagieren“. Das Entscheidende werde also nichtöffentlich gesagt.

Das könnte ein Teil der Erklärung dafür sein, das – außer der FDP – alle Politiker inzwischen einer Regulierung der Finanzmärkte das Wort reden, sekundiert von der Mehrheit der Experten, aber dreieinhalb Jahre nach Lehman Brothers erstaunlich wenig passiert ist. Die Zivilgesellschaft mag das einfordern. Wenn aber ein kleiner Kreis von Entscheidern sich an diesem Diskurs nicht ehrlich beteiligen kann, sondern vielmehr meint, aufgrund eines nur ihm zugänglichen Wissens entscheiden zu müssen, dann hat sich die Entscheidungsebene vom demokratischen Souverän abgekoppelt.

Kleine Zirkel mit weitreichenden Kompetenzen liegen grad schwer im Trend: Wolfgang Schäuble will das Haushaltsrecht des Bundestages an ein Gremium aus neun Parlamentariern delegieren, der Finanzmarktstabilisierungsfonds (SoFFin) kann Milliardengarantien für Unternehmen bewilligen ohne den Bundestag zu fragen, der „Frankfurter Kreis“ aus Merkel, Sarkozy, Lagarde und Draghi entscheidet faktisch über die Fortsetzung der Hilfskredite für Griechenland.

Anders gesagt: Demokratie kann nur funktionieren, wenn es einen transparenten Diskurs gibt über das, was getan werden soll. Wenn aber die Offiziellen nicht offen reden dürfen, dann leben die Entscheider und die Zivilgesellschaft in unterschiedlichen Welten. Der einen Welt fehlt das Volk um Demokratie zu sein, der anderen Welt fehlt Zugang zur Entscheidungsmacht um Demokratie zu sein.

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