It’s politics, stupid!

Ex-Kandidat Xavier Naidoo Der Eurovision Song Contest ist ein Ritual, bei dem nationale und vor allem auch europäische Identitäten formuliert werden. Der NDR zeigte sich blind dafür
Ausgabe 48/2015
Wurde eingeladen und dann schnell wieder ausgeladen: Xavier Naidoo
Wurde eingeladen und dann schnell wieder ausgeladen: Xavier Naidoo

Foto: Clemens Bilan/Getty Images

Vergangenen Donnerstag überraschte der NDR mit der Ankündigung, dass es dieses Mal keine TV-Publikumsabstimmung darüber geben wird, wer Deutschland beim Eurovision Song Contest (ESC) vertritt. Man habe intern entschieden, dass Xavier Naidoo im Mai 2016 nach Stockholm reisen wird. 48 Stunden später verkündete der Sender, Naidoo sei wieder ausgeladen. In der Zwischenzeit hatte es Protest gehagelt: 25.000 Unterschriften gegen Naidoos Teilnahme waren bis Freitagnachmittag gesammelt worden.

Der NDR machte in der Sache keine gute Figur, dabei wollte er sich mit der Idee gleich mehrere Probleme vom Hals schaffen: Auf keinen Fall sollte es ein Debakel wie beim letzten Mal geben, als der Sänger Andreas Kümmert, nachdem das Fernsehpublikum für ihn abgestimmt hatte, die Wahl nicht annahm. Die Zweitplatzierte Ann Sophie rückte damals nach und landete in Wien auf dem letzten Platz. Die Nominierungsidee von NDR-Unterhaltungschef Thomas Schreiber sollte aber offensichtlich auch Symbolwert haben. Naidoo ist in Mannheim geboren, seine Eltern kommen aus Südafrika. Passt doch jetzt in der Flüchtlingskrise perfekt, einen Deutschen mit Migrationshintergrund zu schicken. Naidoo als Symbol für ein weltoffenes Deutschland – so äußerte sich Schreiber dazu. Man nennt das auch „positiven Rassismus“. Als Kehrseite der Ausgrenzung des Fremden gibt es den Vorzeigemigrationsdeutschen. Xavier Naidoo als der neue Roberto Blanco der Unterhaltungsindustrie.

Die vermeintliche Cleverness der Entscheidung muss Schreiber dafür blind gemacht haben, wen er vor sich hat. Bekannt war alles: Xavier Naidoos Auftritt bei den rechtsextremen „Reichsbürgern“, verschwörungstheoretische Interviewäußerungen zu 9/11, antisemitische, sexistische und homophobe Songtexte. Für den NDR kein Problem. Bushido hat ja auch schon den Integrationsbambi bekommen.

Nun sind Naidoos Platten nicht auf dem Index, und er ist einer der erfolgreichsten deutschen Popstars der vergangenen 20 Jahre. Den Song für die WM 2006 (Dieser Weg) durfte er immerhin auch schreiben. Ist es also übertrieben, wenn die mehrheitlich schwule ESC-Fangemeinde – mit tatkräftiger Unterstützung nichtschwuler Alliierter – etwas sensibler reagiert als das weniger zimperliche Fußballdeutschland, wenn der NDR ihr zu ihrem Lieblingsevent Naidoo vor die Nase setzen will?

Man kann Naidoos Äußerungen nicht als naive Entgleisungen abtun. Er bedient sich althergebrachter Argumentationsfiguren: Eine jüdische Finanzelite regiere die Welt, und Homosexuelle seien nicht nur aus Angst vor Frauen fehlgeleitet, sondern in ihrem Herzen pädophil. Solche Argumente sind nicht weniger antisemitisch oder homophob, wenn ein Künstler irgendwie meint, er sei nicht rechts.

Eine Klarstellung kam in diesem Fall übrigens auch weniger von Naidoo selber, der bekannte sich nur indifferent zu „Liebe, Toleranz und Frieden“. Die Rolle der Erklärung hatte der NDR übernommen. Aber weder Sendeanstalt noch Künstler haben hier unbedingt die Deutungshoheit. Das liegt nicht an der medialen Wucht des Online-Protests, wie der NDR die Kritik an Naidoo inhaltlich zu bagatellisieren versuchte. Vielmehr könnte man sagen: Naidoos Texte sprechen für sich selbst.

Bleibt die Frage nach der Bedeutung des ESC. Was heißt es, wenn eine Nation auf europäischer Bühne durch einen Popsong vertreten wird? Xavier Naidoo ist kein Politiker und der ESC kein G20-Treffen. Die European Broadcasting Union, als Dachverband für den ESC verantwortlich, betont immer wieder, der Wettbewerb sei unpolitisch. Doch wie die EM im Fußball ist auch der ESC ein Ritual, bei dem nationale und vor allem auch europäische Identitäten formuliert werden. Auch deshalb kann man über die Haltung des NDR in dieser Posse nur den Kopf schütteln. Es ist Zeit, dass eine andere Sendeanstalt die Zuständigkeit für den ESC übernimmt.

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