Ja, haben Sie denn kein Auslandsvermögen?

Wirtschaft Der für 2018 erwartete Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands verheißt nichts Gutes. Ganz im Gegenteil, er deutet auf eine drohende Krise hin
Ausgabe 34/2018
Während Millionenprojekte umgesetzt werden, verrotten Schulen und Straßen. Warum?
Während Millionenprojekte umgesetzt werden, verrotten Schulen und Straßen. Warum?

Foto: imago/phototek

Allen Zöllen und Handelsbeschränkungen zum Trotz bleibt Deutschlands Leistungsbilanzüberschuss auf hohem Niveau. Das ifo Institut geht davon aus, dass der deutsche Leistungsbilanzüberschuss auch im Jahr 2018 wieder bei knapp acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen wird. Der chronische Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands, aber auch das chronische Defizit der USA zeigen sich demnach weitgehend unbeeindruckt von dem aktuellen Antiglobalisierungsgetöse.

Rechnerisch werden hierzulande also fast acht Prozent des Bruttoinlandsprodukts mehr produziert als verbraucht. Das entspricht – laut ifo Institut – ungefähr 264 Milliarden Euro. Produktion bedeutet Umwelt- und Ressourcenverbrauch.

Eine Ressource ist auch unsere Lebenszeit – und zwar die eigentlich knappe. Warum nur verwenden wir unsere Lebenszeit für eine Überschussproduktion? Warum arbeiten wir nicht einfach weniger? Die Antwort ist schlicht: Wir werden gar nicht erst gefragt.

Gerade die Exportfirmen generieren in Deutschland in der Regel erhebliche Renditen; auf diese Renditen wird das finanzmarktdominierte Wirtschaftssystem nicht so leicht verzichten. Deswegen wird der chronische Leistungsbilanzüberschuss sogar gelegentlich als Indikator für wirtschaftliche Leistungsfähigkeit missverstanden. Solch mangelhafter ökonomischer Sachverstand und die damit verbundene Ignoranz können die Weltwirtschaft – aber auch Deutschland – teuer zu stehen kommen.

Ein einfaches Beispiel mag das zeigen: Wir wissen alle, dass es um Schule, Wohnungsbau, Pflege, Infrastruktur ebenso wie Investitionen und einige andere Bereiche unserer Gesellschaft aktuell mehr schlecht als recht bestellt ist. Hier besteht ein erheblicher Bedarf, oder anders ausgedrückt: Hier gibt es enorme „Nachfrage“. Interessanterweise reagiert unsere Marktwirtschaft genau an diesem Punkt relativ starr. Viele dieser Knappheiten werden neuerdings zu Lebensrealitäten erklärt – und in erster Linie verwaltet. Marktwirtschaftliche Lösungen wären höhere Löhne, massive Importe – auch etwa von Dienst- und Bauleistungen – und Einwanderung. So würde der Leistungsbilanzüberschuss zwangsläufig schrumpfen – und wahrscheinlich die Lebensqualität vieler Menschen steigen. Stattdessen bleibt es bei chronischen Leistungsbilanzüberschüssen. Diese sind nichts anderes als Forderungen gegenüber dem Ausland. Deutschland als Volkswirtschaft gilt auf dem internationalen Kapitalmarkt als ein wichtiger Gläubiger. Mit hohen Leistungsüberschüssen wird diese Position weiter gekräftigt und das Auslandsvermögen der Unternehmen, Privatpersonen und Banken steigt.

Die Auslandsvermögen steigen? „Ja, haben Sie selbst denn keines?“, frage ich Sie neugierig. Seien Sie nicht beunruhigt. Das geht vielen so.

Denn von den Überschüssen und Renditen profitieren längst nicht alle. Genau das ist der Kern des finanzmarktdominierten Kapitalismus. Verteilungsprobleme sind diesem System inhärent. Wenigen Reichen stehen viele Arme gegenüber – und zwar national wie global. Die Vermögen werden mit dem chronischen Leistungsbilanzüberschuss ausgebaut. In Letzterem liegt damit ein erhebliches Destabilisierungspotenzial. Das hat sogar der Internationale Währungsfonds erkannt. Der für das Jahr 2018 erwartete hohe Leistungsbilanzüberschuss Deutschlands muss daher als weiterer weltwirtschaftlicher Krisenindikator verstanden werden.

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