Im September 2015 wurde in Griechenland eine linke Regierung wiedergewählt, deren dynamischer Premier Alexis Tsipras dabei blieb, die Austeritätspolitik nicht willenlos hinzunehmen – trotz neuerlicher Troika-Auflagen. Ein gutes halbes Jahr später setzt ebendiese Regierung eine Spar- und Kürzungspolitik um, die bei Syriza jahrelang als völlig widersinnig verschrien war. Allerdings kam der Partei inzwischen der linke Flügel abhanden, und Tsipras selbst hat seinen Radikalismus über Bord geworfen und regiert einen Staat, der sich weiter in einer verzweifelten Lage befindet.
Musste es so kommen? Einige Medien nähren europaweit den Mythos, Syriza sei durch einen Coup konservativer EU-Regierungschefs ausgebremst worden, um jede Gefahr auszuschalten, dass andere Länder sich mit dem Syriza-Virus infizieren könnten. Soll heißen, die griechische Linke seien von den Mächten des Neoliberalismus niedergerungen worden, auch wenn ihre Frontleute bis zuletzt für das Gute gekämpft und vielleicht gar die Saat eines Aufstands gesät hätten.
Das ist bestenfalls die halbe Wahrheit, die Wirklichkeit eine andere. Vor einem Jahr noch war die Syriza-Regierung davon überzeugt, dass die europäischen Kreditgeber wegen der äußerst kritischen Finanzlage Griechenlands nachgeben würden, sofern man ein neues Rettungspaket nur entschlossen und lange genug ablehne. Man ging davon aus, dass die Risiken für die Eurozone größer seien als für Griechenland. Deshalb werde sich schon ein „ehrenwerter Kompromiss“ finden, um die Sparauflagen zu lockern und die Schuldenlast zu verringern. Der Inspirator dieser Strategie, die von Tsipras wie von einer Mehrheit der Syriza-Führung übernommen wurde, hieß Yanis Varoufakis und war anfangs Finanzminister.
Kein Plan B
Wohlmeinende Kritiker wiesen schon damals darauf hin, dass die Eurozone über eine Reihe äußerst rigider und unbeweglicher Institutionen verfüge, die allein ihrer inneren Logik folgen und jeden Schuldenschnitt als Zumutung zurückweisen würden. Darüber hinaus stand die Europäische Zentralbank (EZB) bereit, um den griechischen Banken die Geldzufuhr zu kappen und der griechischen Volkswirtschaft – und mit ihr der Syriza-Regierung – die Luft abzudrücken. Ohne dass er über einen realistischen Plan B verfügte, war es für Tsipras in dieser Lage unmöglich, auf Augenhöhe mit der EU-Spitze zu verhandeln. Ein solcher Plan hätte die Option einschließen müssen, die Währungsunion zu verlassen. Schließlich bot nur eine Rückkehr zur eigenen Währung die Möglichkeit, sich dem Schwitzkasten der EZB zu entziehen. Sicher wäre das alles andere als einfach geworden, hätte aber dazu geführt, dass man sich der katastrophalen Bailout-Strategie der Geldgeber widersetzt hätte. Leider war die Syriza-Führung dazu in keiner Weise bereit.
EU-Finanzminister wie Wolfgang Schäuble und der Niederländer Jeroen Dijsselbloem reagierten mit Verwirrung und Frustration, teils mit offener Feindseligkeit gegenüber Athen und suchten die konzertierte Aktion mit der EZB, die langsam den Liquiditätshahn schloss und sich weigerte, auch nur einen Cent zusätzlicher Finanzhilfe zu gewähren. Erst sollte Tsipras wieder zu allem Ja und Amen sagen. Ab Juni 2015 kratzte seine Regierung letzte Liquiditätsreserven zusammen, mit denen sich jedoch nicht verhindern ließ, dass den Banken das Geld ausging und die Wirtschaft weiterem Siechtum verfiel. Bald wurden Kapitalkontrollen eingeführt und die Banken geschlossen.
Am 5. Juli 2015 spielte Syriza seine vorletzte Karte aus, als Tsipras über das neue, ungemein harte Kreditpaket in einem Referendum abstimmen ließ. Erstaunlicherweise waren 62 Prozent aller sich beteiligenden Griechinnen und Griechen so mutig, gegen die Auflagen aus Brüssel zu stimmen. Tsipras hatte zwar für ein Nein geworben, doch erst als das Ergebnis feststand, musste ihm schlagartig klar werden: Dieses Votum lief von den Konsequenzen her auf den Austritt aus dem Euro hinaus, für den sein Kabinett keinerlei ernsthafte Vorkehrungen getroffen hatte. Sicherlich gab es vage „Pläne“ für eine Parallelwährung oder ein paralleles Bankensystem, aber unvollendete Gedankenspiele waren um fünf vor zwölf völlig nutzlos. Zudem hatte niemand die Bevölkerung auf eine solche Zäsur vorbereitet. Vor allem aber wollten Tsipras und seine Umgebung um jeden Preis am Euro festhalten. So hatten sie keine andere Wahl, als sich vor den Geldgebern in den Staub zu werfen.
Fataler Effekt
Heute hält sich die Koalition aus Syriza und der rechten Anel (Unabhängige Griechen) an ökonomisch unsinnige Haushaltsüberschüsse, hat die Steuern erhöht wie Flugplätze und Häfen privatisiert, von den Einschnitten bei den Renten ganz zu schweigen. Der neue Bailout hat Griechenland, das sich schon lange in einer Rezession befindet, zum Stillstand verurteilt. Kein Wunder, wenn gut ausgebildete, junge Leute das Land verlassen.
Diese Bilanz von Syriza sorgt für einen fatalen Effekt. Sie hat in ganz Europa den Eindruck verstärkt, dass sich Widerstand gegen die Austeritätspolitik letzten Endes totläuft. Und sich an deren Dogmen und Direktiven vorerst nichts ändern lässt. Träfe das zu, wären die Folgen für andere Länder gravierend, besonders für Spanien, wo die Linkspartei Podemos mit dem Gedanken spielt, Regierungsverantwortung zu übernehmen.
Ist Syriza daran gescheitert, dass die Austeritätspolitik unüberwindbar blieb? Oder lag es daran, dass die Partei weder willens noch darauf vorbereitet war, die Mitgliedschaft im Euro offen infrage zu stellen? Wer das EU-Austeritätsregime für sein Land außer Kraft setzen will, muss sich auf die direkte Konfrontation mit der Währungsunion einlassen. Da Länder wie Griechenland dem nicht standhalten können, heißt das, sie müssen auf den Ausstieg eingestellt sein. Die Kernstaaten der Eurozone werden sich dem nur dann widersetzen, wenn sie die Konsequenz in Form dysfunktionaler Modalitäten im gemeinsamen Währungsraum fürchten müssen. Ansonsten werden sie einen Grexit anstandslos durchwinken. Davor nicht zurückzuschrecken, ist die Aufgabe, vor der die europäische Linke steht. Dies ist die positive Lektion, die uns das Syriza-Debakel beschert.
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