Jack Bauer als Symptom

Medientagebuch Anschauungsmaterial für Gesellschaftskritiker: Die amerikanischen Crime- und Actionserien zeigen den Menschen bei der Arbeit, und nur noch dort

Viele nicht ganz so genaue Hingucker glauben ja immer noch: Selbst in den besseren Crime- und Actionserien gehe es um Crime und Action. Es gehe um terroristische Bedrohungen, um Morde aus Eifersucht oder aus einem gesunden Wahnsinn heraus. Diese nicht ganz so genauen Hingucker verwechseln den Inhalt mit dem Inhalt, die süße Füllung mit der Botschaft. Sie sind Opfer von Jahrzehnten des ARD-Tatort-Guckens. Dort filetiert man ja am liebsten eine der Säue, die in den letzten Monaten durchs Mediendorf gescheucht worden sind. Ausländerhass, Pädophilie, Praxisgebühr, her damit, wir stricken draus einen Kriminalfall, lassen in der Mitte des Films einen Experten die nötigsten Daten raushauen und halten das dann für sozialkritische Volksaufklärung.

Da kann man nun drüber streiten. Man kann aber auch zu einer der besseren amerikanischen Crime- oder ­Actionserien schalten. Wie viel weiter sind doch die! In ihnen erhebt das Böse nicht nur ein Mal pro Woche einen seiner vieltausend Köpfe, welcher dann abgehackt und eingebuchtet wird. In den paar Serien, die man schauen mag, wohnen die Ermittler mitten im Herzen der größten aller heutigen Bestien, der Hochdruckgesellschaft mit ihren drei Geboten:

Du musst schneller sein.

Du musst deinen Kollegen ausbooten, ehe er dich ausbootet.

Es gibt keine anderen Götter neben mir, deinem Job.

Das ist ja der einzige Glaubenssatz, auf den die Medien sich noch verständigen mögen: Froh sei, wer immer feste arbeiten darf, er mache sich also lang. Im Weltbedrohungsepos 24, gerade erst mal wieder abgelaufen, ist dieses Credo zur Karikatur geworden, Held Jack Bauer muss stets vier Killerprobleme gleichzeitig lösen, und seine Kollegen stehen umschichtig unter Verdacht, in all die irren Bedrohungen verstrickt zu sein. Jack ist jetzt schon da, wohin der Wachstumswahn uns bringen will. Verunsichert to the core, beheimatet allein im Arbeitsleben, bleibt ihm der nächste wichtige Termin als einziger Ankerplatz: In zehn Minuten trifft das Spezialkommando ein, in einer Stunde sollen die Geiseln erschossen werden, heute um drei muss die Präsentation fertig sein.

Einen Schritt weiter sind sie sogar schon bei Navy CIS, das uns bei Sat.1 den Sonntag Abend versüßt. Leichter und komödiantischer gehalten, singt diese Serie dasselbe Lied: Der ermittelnde Mensch ist existenzberechtigt nur am Arbeitsplatz, den er auch nur widerwillig verlässt, um an Tatorten seinen Jux mit den Kollegen zu treiben. Erwachsenes Privatleben gibt es keins.

Entweder wohnt man in einer spätpubertären Gamerbude oder man schnitzt frührentnermäßig vereinsamt an einem Boot im Hobbykeller herum. Familienleben hat man nur, wenn man Israelin ist und der Herr Vater einen – streng dienstlich – zum Mossad einberuft. Kurz gesagt: Hier hat das Ameisenleben sich schon behaglich am Arbeitsplatz eingerichtet, der dauerhafte Erfolgsdruck ist längst internalisiert und wird von allen mit Begeisterung gelebt. Hündisch verehrt von allen Beteiligten, schwebt Papa Chef, der Ameisenkönig, immer aus höheren Ebenen hernieder, er sieht alles und hat alles gehört. Die Abteilung hat das Sozialleben ersetzt, geschwistergleich kabbeln sich alle. Und im Keller der Behörde schließt sich der große Kreis des Lebens. Gut gelaunt werden hier die Leichen seziert, gut gelaunt blickt man der Tatsache ins Gesicht: Niemand hier wird jemals erwachsen werden. Niemand hier wird sich jemals abnabeln von der großen Idee unserer Zeit: Dass ohne Unterlass effizient gearbeitet werden müsse.

Klaus Ungerer ist Autor (Alles über die Welt), sein nächster Roman handelt vom Arbeitsleben der Lobbyisten und von parasitärer Gedankenkontrolle.

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