Sie sind süß und bezaubernd. Ihr schmutziges, braunes Fell ist so weich, dass es mir vorkommt, als glitte es durch die Finger wie Mehl. Erst als eines der neun Wochen alten Kätzchen meinen Arm mit den Zähnen packt, werde ich auf schmerzhafte Weise daran erinnert, dass es Löwen sind, mit denen ich es zu tun habe. Wilde Tiere, doch auf diese vier Jungtiere trifft dies nur bedingt zu. Sie werden in kleinem Gehege hinter der Lion’s Den (Löwengrube) gehalten, einem Lokal in einer verlassenen Gegend, 120 Kilometer südlich von Johannesburg. Touristen halten an, um sie zu streicheln. Die wenigsten Besucher wagen sich über den Berg, wo das Gehege mit fast 50 jungen und ausgewachsenen Löwen oder Tigern liegt.
Die Moreson-Ranch ist eine von 160 südafrikanischen Farmen, die legal Raubkatzen züchten. Mittlerweile leben am Kap mit über 5.000 Tieren mehr Löwen in Gefangenschaft als in Freiheit (etwa 2.000). Die Besitzer der Ranch bestehen darauf, ihre Tiere nicht selbst zu jagen und zu töten. Vielmehr seien es Trophäenjäger aus Europa und Nordamerika, die Raubtiere in diesen umzäunten Gebieten erlegen. Was sich dabei abspielt, wird Canned Hunting – „Jagen aus der Dose“ genannt –, weil es mehr damit zu tun hat, Fische in einem Fass zu erschießen, als mit wirklicher Jagd. Das Ganze läuft wie folgt ab: Ein Löwe wird aus seinem Gehege in ein umzäuntes Gebiet gebracht, wo er ein paar Stunden lustlos umher stromert, bis er dann von einem Mann, der auf der Ladefläche eines LKW steht, mit einem Gewehr, einer Pistole oder sogar einem Bogen erschossen wird. Der bezahlt dafür zwischen 5.000 und 25.000 Dollar. Das Geschäft ist völlig legal.
Wie die anderen Tagesausflügler aus Johannesburg bezahle ich wesentlich moderatere 3,50 Dollar, um die Löwen auf der Moreson-Ranch zu sehen. Auf deren Website werden Touristen ausdrücklich dazu eingeladen, alles – vom Nationalsymbol Südafrikas, dem Springbock, bis hin zu Löwen und Krokodilen – „aus der Dose“ zu jagen. Um auf den Geschmack zu kommen, gibt es eine Tour durch das 2.000 Hektar große Anwesen. Herden von Gnus und Antilopen nehmen vor dem Truck Reißaus, halten dann inne und beobachten die Gäste misstrauisch. Die Führer behaupten, die Tiere würden erkennen, ob jemand Waffen trage oder nicht. Am anderen Ende der Ranch liegt eine verlassene Farm, umgeben von Gehegen mit lethargisch dreinblickenden Großkatzen. Zwei Tiger zerren gerade an Hühnerkadavern, die in der afrikanischen Sonne vor sich hin rotten.
Wie am Fließband
Cathleen Benade, die Wildtier-Fotografie studiert und auf der Ranch mithilft, erzählt, die Tiere würden nur eine Stunde nach der Geburt von ihren Müttern getrennt und die ersten acht Wochen ihres Lebens mit der Flasche aufgezogen. Als wir nach Einbruch der Dunkelheit auf der Veranda der Löwengrube sitzen und von weitem das Gebrüll der Tiere hören, erklärt mir Maryke Van der Merwe, die Verwalterin der Ranch, diese Trennung sei notwenig, weil die Jungtiere andernfalls verhungern würden. Die Muttertiere hätten keine Milch. „Die suchen ihre Jungen ein paar Stunden lang, aber es ist nicht so, dass sie traurig wären. Ich glaube, nach ein paar Tagen erinnern sie sich gar nicht mehr daran, dass sie Nachwuchs hatten.“
Tierschutzexperten sehen das anders. Sie sagen, die Jungen würden von der Mutter separiert, damit die schnell wieder trächtig werden könne. Schließlich wolle man soviel Nachwuchs aus ihr herausholen wie möglich – fünf Junge alle zwei Jahre. „Dass die Jungen isoliert werden müssen, weil die Mütter keine Milch geben, das habe ich in der Wildnis noch nie gesehen“, sagt der Evolutionsbiologe Pieter Kat, der in Kenia und Botswana mit wilden Löwen gearbeitet hat. „Es kann vorkommen, dass in Gefangenschaft gehaltene Löwen und Tiger ihre Jungen töten, weil sie unter großem Stress stehen. Doch die Züchter trennen Jungtiere in erster Linie von ihren Müttern, weil sie nicht wollen, dass die von ihnen abhängig werden. Außerdem soll sich das Muttertier schnell wieder paaren und junge Löwen wie am Fließband produzieren.“
Das Jagen hat am Kap zwar eine große Tradition, aber für Canned Hunting können sich nur wenige Südafrikaner erwärmen. Da die toten Löwen legal ausgeführt werden dürfen, kommen die meisten Interessenten dieser Jagd aus Übersee. Die Trophäensammler reizt der garantierte Erfolg ebenso wie der Preis. Das Erlegen eines wilden Löwens auf einer Safari in Tansania kostet um die 50.000 Dollar. In Südafrika ist das schon für 5.000 Dollar möglich. Vor fünf Jahren erließ die südafrikanische Regierung ein Gesetz, um Canned Hunting zu verhindern. Die Züchter wurden beauflagt, dass ein Tier erst zwei Jahre lang in der Wildnis gelebt haben muss, bevor es gejagt werden darf. Doch die Löwenzüchter klagten, und so kam es, dass eine Kammer des Obersten Gerichts das Gesetz mit der Begründung kassierte, die Beschränkung sei „nicht sinnvoll“. Die Zahl der erlegten Tiere ist seitdem sprunghaft angestiegen. Wurden zwischen 2001 und 2006 noch 1.830 Löwentrophäen aus Südafrika ausgeführt, so waren es zwischen 2006 und 2011 bereits 4.062 – ein Anstieg um 122 Prozent.
Besonders die Nachfrage aus Fernost steigt kontinuierlich. 2001 wurden nach China, Laos und Vietnam gerade einmal zwei Löwen als „Trophäen“ überführt, 2011 waren es bereits 70. Während der Handel mit Tigern mittlerweile verboten ist, zieht die Nachfrage nach Löwen für eine Verwendung in der traditionellen asiatischen Medizin gewaltig an. Wurden 2009 fünf Löwenskelette aus Südafrika exportiert, so waren es 2011 bereits 496. Will Travers von der Tierschutzorganisation Born Free nennt Zuwachs und Umfang dieses Handels „erschreckend“.
Die Züchter argumentieren, es sei besser, die Jäger erlegten gezüchtete Löwen, anstatt die in freier Wildbahn lebenden Populationen weiter in ihrer Existenz zu bedrohen. Umwelt- und Tierschützer verweisen hingegen darauf, dass die Zahl der wild lebenden Löwen in den vergangenen 20 Jahren trotz des Canned Hunting um 80 Prozent zurückging. Tatsächlich befördere es den Rückgang sogar, meint Fiona Miles, Direktorin von Lionsrock, einem Reservat für Großkatzen in Südafrika, das von der Tierschutzorganisation Four Paws betrieben wird. Wildtiere, so Fiona, blieben von einem Markt, der durch die Jagdsimulation etabliert werde, nicht unberührt. Auch sie würden nun quasi mit einem Preisschild an der Stirn durch die Gegend laufen. „Das Geschäft erhöht für die einheimische Bevölkerung den finanziellen Anreiz, mit Wilderern zu kooperieren und bei der illegalen Jagd auf frei lebende Löwen ein Auge zuzudrücken. Trophäenjäger, die zunächst einen halbzahmen Löwen erlegt haben, können sich später bei echten, wilden Tieren den Ritterschlag abholen.“ Fiona Miles fing an, sich für den Schutz der Löwen einzusetzen, nachdem sie eine bahnbrechende Dokumentation über Canned Hunting gesehen hatte. „Auf der ganzen Welt genießt der Löwe den Status eines Königs im Dschungel, und diese Leute machen aus ihm eine Ware.“
Alternative „Lion Walk“
Eine alternative Nutzung für die in Gefangenschaft aufgezogenen Löwen könnte der Tourismus sein. So machen wir einen „Lion Walk“ mit dem Löwenflüsterer Martin Quinn, der das Umweltbewusstsein der Touristen fördern will. Wir ziehen mit drei Junglöwen, die auf der Moreson-Ranch aufgezogen und von Quinn und seinem Assistenten Mike Thompson trainiert wurden, durch die Steppe. Erstaunlich weiße Löwen (die Tierschützern zufolge oft durch Inzucht gewonnen werden) laufen mit uns, rennen los und legen sich dann ins Gras – bereit, aus dem Hinterhalt anzugreifen. Quinn und Thompson halten sie nur mit Stöcken unter Kontrolle, warnen uns aber, dass es sich nach wie vor um wilde Tiere handeln würde. Es ist eine nervenaufreibende Erfahrung.
Quinn hofft, dass er mit seinem Projekt die Moreson-Ranch davon überzeugt, dass ein lebendiger Löwe mehr wert ist als ein toter. Seit er damit begonnen habe, auf der Ranch mit den Löwen zu arbeiten, hätten die Besitzer kein einziges Tier mehr zu Jagdzwecken verkauft. Er hofft, dass man die auf der Ranch geborenen Jungtiere auswildert. Züchter behaupten manchmal, ihre Löwen seien für diesen Zweck bestimmt. Aber die Fälle, in denen tatsächlich Auswilderung betrieben wird, sind verschwindend gering. Selbst der respektabelste Zoo hat noch nie ein erfolgreiches Programm initiiert, um in Gefangenschaft geborene Tiere wieder in die Wildnis zu entlassen.
Pieter Kat, der die Tierschutzorganisation Lion Aid gegründet hat, sieht in den Löwen-Spaziergängen nur eine weitere Einkommensquelle für die Züchter, bevor die Tiere weiterverkauft werden. Verwalterin Maryke Van der Merwe jedenfalls glaubt nicht, dass Lion Walks die Einnahmen ersetzen könnten, die von der Farm durch den Verkauf ihrer Löwen erzielt werden. „Wir behalten die Tiere bis zu sechs Monate lang, damit die Leute mit ihnen spielen können und dann verkaufen wir sie an andere Löwenparks“, sagt sie und besteht darauf, die Jagdeinladung auf der Internetseite sei falsch. Bei ihr würden keine Löwen gejagt. „Wir verkaufen sie an Leute, die eine Genehmigung haben, Löwen zu halten. Was sie mit den Tieren machen, ist ihre Sache. Wir wissen es nicht. Aber wir veranstalten kein Canned Hunting.“
Moratorium statt Verbot
Drei Autostunden von der Ranch entfernt liegt Lionsrock. Auch hier wurden früher Löwen gezüchtet, bis die Tierschützer von Four Paws das Anwesen kauften und in ein Refugium für etwa 100 missbrauchte Großkatzen umwandelten. Manche von ihnen stammen von Zuchtfarmen aus dieser Gegend, gerettet werden aber auch Tiere, die unter untragbaren Bedingungen von Zoologischen Gärten in Osteuropa, in Jordanien und im Kongo gehalten wurden.
Lionsrock hat zwar noch Platz für weitere 100 Tiere, kann aber nicht alle in Gefangenschaft gezüchteten Löwen Südafrikas aufnehmen. Four Paws und andere Tierschutzverbände fordern zunächst ein Moratorium für die Löwenzucht. Sie fürchten, ein regelrechtes Verbot hätte zur Folge, dass Tausende von Löwen getötet würden. Doch nach ihrer Niederlage vor dem Obersten Gericht gibt es wenig Anzeichen dafür, dass sich die südafrikanische Regierung in naher Zukunft noch einmal mit den einflussreichen Züchtern anlegt. „Wenn es uns gelingt, dass die Leute diese Tierindustrie nicht länger unterstützen, und wir ihnen klar machen können, was da tatsächlich passiert – wie das Leben für einen in Gefangenschaft geborenen Löwen aussieht –, wird es einen Aufschrei geben“, meint Fiona Miles. „Langfristig hat ein lebendiger Löwe einen viel größeren Wert.“
Züchterinnen wie Maryke Van der Merwe sind sich da nicht sicher. „Viele reiche Leute aus Übersee kommen nun einmal nach Südafrika, um einen Löwen zu schießen, ihn sich an die Wand zu hängen und zu zeigen: Seht her, ich habe einen Löwen erschossen! Klar, dass die Geld nach Südafrika bringen.“
Van der Merwe kann daran nichts Schlechtes finden und sagt von sich, sie gehöre zu einer Familie von Tierfreunden: „Wir sind mit den Tieren aufgewachsen. Wenn sie noch ganz klein sind, laufen sie im Haus herum und gehören ganz selbstverständlich dazu.“
Patrick Barkham ist Guardian -Korrespondent im südlichen Afrika
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