Nick Twisp ist vierzehn und sein größtes Problem ist sein Jungfrauenstatus. In seinem Tagebuch hält er sämtliche Peinlichkeiten fest, die ihm und seinem Freund Lefty zustoßen. Für beide dreht sich alles um Sex - hörbar. Lustschreie ertönen hier häufig und laut, an einer Stelle im Hörspiel wird Nick selbst davon aus dem Schlaf gerissen - und auch Hörer vor den Lautsprechern könnten von neugierig Gewordenen unterbrochen werden ... Es ist Nicks Mutter, wunderbar lasziv von Astrid Meyerfeld gespielt, die es lautstark erst mit Jerry, dem Lastwagenfahrer, und nach dessen Ableben mit Officer Wescott treibt. Mittendrin singt dann plötzlich eine quäkende Southpark-Stimme den Titelsong Crazy times, gefolgt von einer Zusammenfassun
mmenfassung der Handlung - für die diejenigen, die dieses Hörbuch gerade anhören, allerdings wenig Bedarf haben. Es muss sich dabei um ein Überbleibsel aus Sendezeiten handeln, das herausgeschnitten gehört, da es beim dritten Mal pro CD einfach nervt.Aber auf die lästige Unterbrechung folgt dann wieder Nick, todesmutig damit beschäftigt, die tyrannische Empfehlung seiner angebeteten Sheenie in die Tat umzusetzen: Fahr den Wagen deiner Mutter zu Schrott! Auch andere Aktionen von Nick sind ambivalent. Nicks Idee, sich an Leftys Schwester mit einem vorgetäuschten Selbstmord zu rächen, versetzt die ganze Stadt inklusive Lokalfernsehen in helle Aufruhr und Lefty selbst in Panik. - Mit einer Art beherztem Fatalismus führen Nick und Lefty aus, wovon Teenager sonst nur träumen. Nicks Tagebucheintragungen schildern das alles schon als Vergangenheit, von Sven Platen in entsprechend cool-lakonischer Haltung gelesen. Weitaus weniger souverän klingt er dafür in den Spiel-Szenen, wenn er von einer Pechsträhne in die nächste Katastrophe schlittert, Nächte mit Nintendospielen verbringt, und morgens den neuen Lover seiner Mutter im Bad antrifft: "Sieht aus wie partiell rasierter Stier. Baumelnde Hoden, die bis zu den Knien reichen ..."Bei Crazy Times von C.D. Payne handelt es sich alles in allem um ein entzückend unverblümtes und tabuloses Portrait pubertierender Jugendlicher in den neunziger Jahren, von Regisseur Oliver Sturm vielleicht ein bisschen zu konventionell inszeniert - es hätte ruhig ein Tick mehr "Crazyness" sein dürfen, um dem Text gerecht zu werden! Trotzdem erfreut die derbe Offenheit - besonders wirkungsvoll im Kontrast zu zwangsharmonisierenden Feiertagen.Auch in den Vagina Monologen der amerikanischen Journalistin Eve Ensler ist das tabulose Reden über Sexualität zentral. Interviews mit Frauen jeglichen Alters und in den unterschiedlichsten Lebenssituationen hat die Autorin in teils authentische, teils poetisch verdichtete Aussagen übertragen. Große Schauspielerinnen sprechen diese Monologe auf amerikanischen und internationalen Bühnen und jetzt auch in der Hörbuchfassung. Es sind Selbstbefreiungsgeschichten, von denen besonders die von Käthe Reichel Vorgetragene beeindruckt. Die Brecht- und Bessonschauspielerin liest Die Überschwemmung, die Geschichte einer alten Frau, der als junges Mädchen ihre erste "lustvolle Überschwemmung" vom Geliebten dermaßen verleidet wurde, dass sie seitdem "da unten" alles dicht gemacht hat. Erst Jahrzehnte später wagt sie es, überhaupt darüber zu sprechen.Die Vagina Monologe sind inspiriert vom "alten" feministischen Thema, sich bewusst zu werden, wie sehr männliche Missachtung die Selbstwahrnehmung deformiert hat. Der Sound der neunziger ist hier, was die sexuelle Befreiung der Frauen betrifft, noch der gleiche wie vor 15, 20 Jahren. Das Selbstbefreiungspathos mag unangenehm unzeitgemäß klingen, es zwingt vor allem zu der Einsicht, dass Feminismus schicksalhaft ahistorisch ist: Jede Generation, so scheint es, muss dieselben Erfahrungen noch einmal machen, Wiederholungen sind notwendig.Die Abenteuer von Gilgamesh lassen nicht nur die Geschichte der Frauen, sondern die der Menschheit als ewige Wiederholung erscheinen. Gilgamesh, König von Uruk, regiert grausam und erfolgreich die erste Großstadt der Welt, kämpft gegen Dämonen um Zedernholz, verliert den geliebten Freund, trauert, lehnt sich vergeblich gegen den Tod auf. Ein phantastischer Abenteuerreigen, der in Motiven und Sprache nicht zufällig an Odysseus, Ilias und das Alte Testament erinnert. Das Epos um den sumerischen König Gilgamesh, vor mehr als 4.000 Jahren zum ersten Mal schriftlich fixiert, ist ein Urbild unserer Dichtung.Dionysisch gellt das Geheul der Kämpfenden durch den akustischen Raum von Regisseur Klaus Buhlert. "Jajajajajajajaja" schallt der Lockruf der Kriegs- und Liebesgöttin Isthar jodelnd und geistert von hinten nach vorn und wieder zurück, auf der Suche nach dem begehrten Gilgamesh. Auch Gilgameshs Schrei schallt herausfordernd und leicht größenwahnsinnig, bevor er, von Martin Wuttke genial gespielt, wieder in einer sehr klaren, überzeitlichen Sprache existentielle Überlegungen anstrengt, seine Träume (Kontaktaufnahme mit den Göttern) erzählt, nach dem Wesen des Todes fragt.Es ist eine wahre Freude zu hören, wie Buhlert mit der "Weltlichkeit" des Epos umgeht und aktuelle Bezüge hineinbringt, so lässt er die Götterversammlungen heutigen Politikersitzungen ähneln oder besetzt Enkidu, den Behaarten, mit dem großartigen Josef Bierbichler, der mit dem ihm eigenen bodenständigen bayrischen Tonfall die geheimnisvolle Atmosphäre und unvorhersehbaren Götterurteile kontrastiert.Alles andere als schulmeisterlich oder altmodisch klingt diese Hörspielfassung eines Jahrtausende alten Textes: Variationsreiche Sprache, Perspektivwechsel in der Erzählerposition, erstklassige Sprecher, präzise dosierte Musik- und Geräuscheinspielungen bescheren einen erstklassigen Hörgenuss.Raoul Schrott: Gilgamesh Epos, der hörverlag, München 2001, 3 CDs, 63 DM Eve Ensler: Vagina Monologe, Patmos Verlag, Düsseldorf 2001, 1 CD, 29,95 DM C.D. Payne: Crazy Times, Der Audio Verlag, Berlin 2001, Teil 1 und 2, je 2 CDs à 32,95 DM
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