Jazzmusik als kostbares Kulturgut

Lauschangriff Durch die "Iniative für einen starken Jazz in Deutschland" wollen Musiker nicht länger Schlusslicht in einer kulturellen Hierarchie sein

Seid realistisch – fordert das Unmögliche, hieß es in einer Zeit, als Kollektivität und utopisches Denken hoch im Kurs standen. Der Satz des lateinamerikanischen Revolutionärs lässt sich ohne Mühe andernorts auf den Wunsch nach gesellschaftlicher Teilhabe übertragen. Der Jazz war etwa seinerzeit realistisch genug, das Unmögliche zu fordern. Neben Rock und Pop stand er auf der Seite des Fortschritts, die Lagergrenzen waren durchlässig.

Das ist lange her, 40 Jahre etwa. 40 Jahre, in denen die Zahl von hoch qualifizierten Jazzmusikern in Deutschland angestiegen, aber auch die Rigidität von musikalischen Grenzlinien gewachsen ist. Jazzmusiker wurden bescheiden und richteten sich im Möglichen ein, was oft hieß, wohl erzogen und höflich die Krumen aufzusammeln, die vom großen Tisch fielen. Angenehme, freundliche Menschen.

Mittlerweile ist der einstige rebellische Gestus verflogen und mit ihm auch die Verwurzelung in Gemeinschaften, Communities, Klassen, Szenen und die Funktion der improvisierten Musik als Fanfare einer Utopie und Vorschein einer besseren Welt. Im Abseits schrumpften Emanzipation und herrschaftsfreie Interaktion in der Improvisation auf ein rein individuelles Maß. In diesem Nebel war auch die wirtschaftliche Basis des Jazz verschwunden.

Einfordern der künstlerischen Relevanz von Jazz

Auf Anregung der in Berlin lebenden Pianistin Julia Hülsmann und des Saxofonisten Felix Falk versuchen Jazzmusiker aus der Hauptstadt und anderen deutschen Städten, dem Jazz in Deutschland neues Leben einhauchen. Die „Initiative für einen starken Jazz in Deutschland“, die von Nils Landgren bis Nils Wogram, von Michael Wollny bis Ernst-Ludwig Petrowsky mittlerweile mehr als 2.000 Musiker unterstützen, fordert neben der Stärkung der Künstlersozialkasse, der Einführung von Garantiegagen (zumindest bei öffentlich geförderten Veranstaltern) und der Einhaltung professioneller Standards, was Fahrtkosten und Unterbringung betrifft, vor allem eines: den Abschied von kulturellen Hierarchien, die den Jazz zu einer unterklassigen Form der Musikausübung stempeln.

„Deutschland verfügt über 84 öffentlich geförderte Opern- und Konzerthäuser in 81 Städten. Es sollte ebenso viele öffentlich geförderte Spielstätten des Jazz und der improvisierten Musik geben“, verschieben die Musiker selbstbewusst Ton und Messlatte. Hier wird nicht länger um Almosen aus den Projekttöpfen der Kulturverwaltungen gebettelt, sondern die Anerkennung der künstlerischen Relevanz des Jazz eingefordert. Wie fern diese in den Jahren des freundlich bescheidenen Pragmatismus gerückt war, zeigt sich am Versuch Hamburgs, das Image einer Musikstadt aufzubauen. Jazz zählte dabei offenbar nicht zu den kostbaren Kulturgütern. Als zum Jahreswechsel einer von zwei Jazzclubs in der Stadt vor den Kosten einer Modernisierung der Toilettenanlage kapitulieren musste, zog sich die Kulturbehörde darauf zurück, dass sie den Club nicht anders behandeln könne als andere Musikclubs.

Das genau ist der Punkt: die darbenden Sparten im Off des traditionellen Kulturbetriebs werden gegeneinander in Anschlag gebracht, während die Millionen an anderer Stelle aus Füllhörnern fließen. Dem Musikeraufruf ist zu danken, dass er die Zeit beendet, in der der Jazz immer nur bescheiden und pragmatisch, mit guten Manieren und gescheitelt seine Anliegen vortrug – und immer weiter im Abseits landete. Als eine fordernde Sparte der Musik, die all das ins Visier rückt, was lange als unmöglich galt, könnte der Jazz die Realität verändern. Ein erster Schritt ist getan.

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