Jeden Tag Jahrestag

Jubelsucht Grenzenlose Manie: Die Geburts- und Jahrestage auch der unbedeutendsten Personen und Ereignisse werden zunehmend zelebriert. Die wichtigsten Daten 2014 im Überblick
Ausgabe 02/2014
Jubelsucht – und was davon übrig bleibt
Jubelsucht – und was davon übrig bleibt

Foto: China Fotos/ AFP/ Getty Images

In den noch immer beliebten Literaturkalendern findet sich kein Tag, an dem nicht ein Dichter oder eine Dichterin Geburts- oder Todestag hat. Bei Musikkalendern ähnlich. Noch voller ist der imaginäre Kalender der Medialchronisten. Kaum zu ignorieren sind natürlich die Fünfziger und Hunderter, gerne auch in Kombination. Tausender sind geschichtsnaturgemäß nicht ganz so häufig, aber um so ehrfürchtiger zu bedenken. Wenn es um lebende Kulturteilnehmer geht, dann ist jeder Zehner- und ab der Verrentung jeder Fünferschritt der öffentlichen Nachrede wert.

Bis es die offizielle Jubiläums-App nach EU-Norm gibt, hier zur mentalen Vorbereitung eine erste Auswahl: Hellmuth Karasek, der Egon Bahr der Literaturkritik, hat seinen 80. schon gefeiert (4.1.) Kate Moss wird am 16.1. legendäre 40. Arno Schmidt, lebte er noch, hätte ihr am 18.1. uneinholbare 60 Jahre voraus. Damit zu den Hundertern. Es folgt am 4.2. Alfred Andersch, am 31.7. Louis de Funès und am 27.8. Heidi Kabel.

Verwöhnter Erster Weltkrieg

Da hat aber der Erste Weltkrieg schon seinen runden Geburtstag gehabt. Etwas unfair dünkt, dass er bereits seit dem Vorjahr gefeiert wird, wo er doch noch vier schöne und immer schönere Jahre vor sich hat! Da steht zu befürchten, dass der „Krieg des kleinen Mannes“, der Bauernkrieg – immerhin wird er 500 –, zu kurz kommen wird. Jedenfalls ging infolge des Indieweltkommens von WK I. der Jagd- und Heidedichter Hermann Löns vor 100 Jahren aus dieser. Nicht einschlägig kausal hingegen der Tod von Christian Morgenstern (31.3.) und Paul Heyse (2.4.), unser zweiter Literaturnobelpreisträger, von dem eine erstaunte Welt bei der Gelegenheit erfuhr, dass er überhaupt gelebt hat. Dabei war er einmal viel beliebter als, sagen wir Günter Grass, bei dem sich ausnahmsweise nichts rundet.

Lassen wir die longue durée beiseite, also den großen Karl, der am 28.2. auf 1.200 Jahre zurückblicken könnte, machen wir kein Aufhebens um 450 Jahre Michelangelo (18.2.), dito Shakespeare (23.4.), 350 Jahre Gryphius oder 200 Jahre Jenny Marx, dann können wir schnell noch vorab den Lebendigen die Reverenz erweisen. Um die mütterliche Sonne dreht sich alles – Angela Merkel, die zu ihrem 60. Geburtstag am 17.6. noch keineswegs beginnen wird, die nötigen Papiere für den Vorruhestand zu sammeln. Wie und wo Oprah Winfrey und John Travolta feiern werden, weiß man noch nicht. Jürgen Trittin wird jedenfalls am 25.7. so tapfer zu lächeln versuchen wie Rainald Goetz auch am 24.5. geschrieben und Eva Mattes am 14.12. nur noch 10 Tage bis Heiligabend haben wird, und vom schüchternen Christoph Ransmayr werden wir am 20.3. wünschen, dass er uns einen zweiten Morbus Kitahara schenkt.

Sie alle kommen aus einem wunderbaren Geburtsjahr, in dem die UEFA das Licht der Welt, das Ohnsorg-Theater das der Fernsehscheinwerfer, das Berliner Ensemble den Schiffbauerdamm und die Hochschule für Filmkunst Babelsberg erblickte. Ebenso auf die Nachwelt kamen „Rock around the Clock“, die Zeitschrift Brigitte, das Wort zum Sonntag, Adenauers Alleinvertretungsanspruch für ganz Deutschland, das Volkskammer-Gesetz zur Entschuldung von Klein- und Mittelbauern, nicht zu vergessen das Wunder von Bern und der unvergessliche Film La Strada. Schließlich wird 2014 auch Der Herr der Ringe sechzig Jahresringe angesetzt haben. Ihnen allen schon jetzt unseren Glück- oder Bedauernswunsch! Womit wir frei für alle die Jubiläen wären, die es bis hierher noch gar nicht geschafft haben.

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