"Wenn er tot ist, wird er sicherlich im Himmel sein“, sagt Edita Burgos, eine resolute Frau in den frühen Sechzigern, „wenn er noch lebt, soll er wissen, dass wir in all den Jahren nichts unversucht gelassen haben, ihn zu finden.“ Seit zweieinhalb Jahren sucht Edita vergeblich nach ihrem Sohn Jonas. Verzweiflung und Hoffnung haben die tief religiöse Mutter und Jonas’ jüngeren Bruder im November erneut nach Brüssel geführt, wo beide gegenüber EU-Diplomaten auf ihr Schicksal und das vieler anderer philippinischer Familien aufmerksam machen und Rechtsbeistand erwirken wollten.
Jonas Burgos war 37 Jahre alt, als er am 28. April 2007 von bewaffneten Männern beim Mittagessen aus einem Restaurant in der Ever Gotesco Mall von Manila gezerrt
la gezerrt und entführt wurde. Zeugen erinnerten sich danach, dass er seinen Kidnappern ins Gesicht schrie: „Ich bin nur ein Aktivist!“ Keiner der anwesenden Gäste schritt ein, als man Jonas an Händen und Füßen packte und in einen Lieferwagen stieß. Wenigstens merkten sich einige Augenzeugen die Nummer des Fahrzeugs, das später in einem Militärcamp gefunden wurde, aber die Armee hüllt sich bis heute in Schweigen, sie wisse nichts von einer Entführung – absolut nichts.Die Freunde von Jonas glauben zu wissen, weshalb er verschwunden ist: Der auf ökologischen Landbau spezialisierte Landwirt war Mitglied der Allianz der Bauern in Bulacan, einem Regionalverband der Bauernbewegung KMP. Mehrfach hatte er Farmer in Rechtsfragen beraten. Beide Organisationen streiten seit Jahren für die Belange von Pächtern und haben sich so den Zorn von Großagrariern zugezogen, die Schlägertrupps aushalten und mit der Armee kooperieren. Das philippinische Militär hat beide Verbände bereits 2007 auf die Liste der „Staatsfeinde“ gesetzt.Seit dem Amtsantritt von Präsidentin Gloria Arroyo im Januar 2001 sind laut Recherchen der philippinischen Menschenrechtsliga Karapatan mehr als 1.000 Menschen Opfer von Hinrichtungen geworden. 202 Personen erlitten das gleiche Schicksal wie Jonas Burgos – Gewerkschafter, Juristen, Ärzte, Geistliche, Bauernführer. Kein einziges dieser Verbrechen ist bis heute aufgeklärt. Die Täter werden in der Umgebung staatlicher Sicherheitskräfte vermutet und laufen frei herum. Geschützt werden sie von einer Regierung, die nach den Anschlägen vom 11. September 2001 die strategische Trias Antikommunismus – Aufstandsbekämpfung – Antiterrorkrieg wie eine Monstranz vor sich her trägt.Antikommunistischer KittWas dabei geschieht, folgt Handlungsmustern, wie sie vom so genannten Operationsplan Freiheitswacht/Phase II vorgegeben werden, um vermeintliche „Vorfeldorganisationen“ der KP und ihrer Guerilla, der Neuen Volksarmee, auszuschalten. Betroffen waren bisher aber zumeist Aktivisten der im Parlament vertretenen linken Parteien Bayan Muna (Volk zuerst) und Anakpawis (Kinder des Schweißes) – und eben NGOs wie die bäuerlichen Organisationen.Am 23. Juni 2006 erklärte Präsidentin Arroyo in ihrer Eigenschaft als Oberkommandierende der Streitkräfte vor Offizieren der Militärakademie im nordphilippinischen Baguio, binnen zwei Jahren werde jeder „kommunistische Aufruhr“ überrollt sein. Dies sei „der Kitt, der uns eint“. Umgehend machte sie dafür zusätzlich umgerechnet 20 Millionen Dollar locker.Wie kein anderer Offizier der Streitkräfte verkörperte Generalmajor Jovito Palparan bis zu seiner Pensionierung im September 2006 den Prototyp des Haudegen, der mit dem Segen Arroyos Todesschwadronen rekrutierte und in Marsch setzte. Bereits als junger Leutnant, der Mitte der siebziger Jahre auf den vorwiegend muslimischen Inseln Basilan und Jolo im Süden stationiert war, nahm er ohne große Bedenken die Ermordung jugendlicher Moros in Kauf, weil er befürchtete, dass sich diese später ohnehin dem Widerstand anschließen würden. Danach war der in immer rascherer Folge beförderte Offizier als Befehlshaber auf den Inseln Mindoro und Samar stationiert, bis er als letzte Station das Kommando der 7. Infanterie-Division in Zentralluzon übernahm. In dieser Funktion setzte er sich tatkräftig dafür ein, „mit Terroristen und Kommunisten kurzen Prozess zu machen“.Edita Burgos ist fest davon überzeugt, dass die Menschenrechte in ihrem Land unter Präsidentin Arroyo auf unerträgliche Weise missachtet werden. Nur mit einem starkem politischen Willen ließen sich all die außergerichtlichen Exekutionen aufklären und die Kultur der Straflosigkeit überwinden. Als Sprecherin des Menschenrechtsverbundes „Familien der Verschwundenen für Gerechtigkeit“ bleibt Burgos mehr denn je auf den Beistand des Auslandes angewiesen. Und auf den muss sie nicht verzichten. Seit 2006 erhoben neben Amnesty International und Human Rights Watch ebenso wie EU-Botschafter in Manila oder Kirchen in den USA und Kanada, selbst Großunternehmen wie WalMart und Gap Inc. schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Manila und verlangten ein Ende der terroristischen Selbstjustiz.Grausame ProzedurDoch Arroyo sei dermaßen kaltschnäuzig, glaubt Edita Burgos, dass sie alles tue, um sich und ihre Klientel an der Macht zu halten und so vor Strafverfolgung zu schützen: „Die Botschaft der Präsidentin ist eindeutig. Wer immer sich dafür einsetzt, das Schicksal der Ermordeten und Entführten aufzuhellen, verliert unverzüglich sein Gehalt und seinen Job, möglicherweise sein Leben“. Jonas’ jüngerer Bruder JL, der als freischaffender Filmregisseur arbeitet und nebenbei die Free Jonas Burgos Movement leitet, verweist auf eine andere Seite des Familienschicksals. Sein Vater José Burgos, Anfang der achtziger Jahre ein angesehener Verleger des regimekritischen Blattes We Forum, war von den Schergen des Marcos-Regimes festgenommen und fast ein Jahr lang inhaftiert worden. „Doch selbst während dieser Zeit des Kriegsrechts“, wundert sich JL, „zeigte man meinem Vater wenigstens einen Durchsuchungs- und Haftbefehl. Heute – unter angeblich demokratischen Bedingungen – wird einer aus unserer Familie einfach gewaltsam entführt.“Seine Mutter Edita beschreibt eine grausame Prozedur, der sie sich mehrfach unterziehen musste. Des Öfteren erhielt sie von den Behörden die Nachricht, die Leiche eines mit Jonas fast oder eindeutig gleichaltrigen Mannes sei gefunden werden und müsse identifiziert werden. „Wenn ich mich auf den Weg machte, betete ich, es möge nicht mein Junge sein. Wenn mir dann klar war, dass es sich nicht um Jonas handelte, musste ich an die Mutter denken, die irgendwo wie ich nach ihrem Sohn sucht oder vielleicht kein Fahrgeld hat, um dessen sterbliche Überreste zu identifizieren.“