Jeder eine Ich-AG

Sportplatz Kolumne

Die Fußballwelt könnte heiler sein. Nach durchwachsenen Ergebnissen in der Championsleague und dem UEFA-Cup werden die kommenden Testspiele der deutschen Nationalmannschaft - am 8. 10. gegen das Team der Türkei in Instanbul und am 12. 10. gegen China in Hamburg - eher mit Sorge als mit Spannung erwartet. "Fördern und fordern" lautet nicht nur die Devise von Hartz IV, sondern auch das Konzept des Trainerteams in der Vorbereitung auf die Fußball-WM im eigenen Lande. Sicherheit gilt hier wie dort als Leistungskiller, denn wer sich sicher fühlt, wird faul. Dementsprechend verfahren Klinsmann Co. nach dem Prinzip, kein Spieler solle sich auf seinen Platz in der Nationalelf verlassen können. Alle Positionen bleiben offen, denn es soll konkurriert werden um den Einsatz: Kahn gegen Lehmann, Podolski gegen Klose. Die schlechten Leistungen der Truppe in den vergangenen Freundschaftsspielen lassen vermuten, dass mehr gefordert als gefördert wurde.

Klinsmann fordert die "totale Fitness" von seinen Spielern und erklärt in Interviews, jeder einzelne solle sich erheblich steigern und "zum Antreiber werden." Zudem erhielten die Aspiranten den Auftrag, in ihren Clubs die ausländischen Konkurrenten um die Stammplätze zu verdrängen: "Wir wollen, dass die deutschen Nationalspieler zeigen: Wir sind Herr im Haus." Der Trainer verlangt weiterhin vollen Einsatz in der Freizeit: "Wie nutze ich als Spieler drei Stunden Freiraum richtig? Ich kann mich ständig weiterbilden, ob im Umgang mit dem Computer, im Erlernen einer Fremdsprache, oder: in der Arbeit mit den Medien." Hier läuft etwas merklich aus dem Ruder. Hat irgend jemanden interessiert, was Ailton sagte, als er am laufenden Meter Tore für Werder Bremen schoss? Die Deutschkenntnisse des Brasilianers waren zwar marginal, aber umso verständlicher seine Aktionen auf dem Rasen.

Leider verhelfen die markigen Sprüche nicht zu gutem Spiel, denn das Konzept mit der Konkurrenz funktioniert offenbar nicht. Eigentlich kein Wunder, denn Fußball ist ein Mannschaftssport oder wie es Berti Vogts so treffend formulierte: "Der Star ist die Mannschaft". Teamgeist ist eine Komponente des Spiels, die nur bei Strafe ignoriert werden kann und manchmal für mehr Chancengleichheit sorgt. Eine wirklich motivierte Truppe hat durchaus Möglichkeiten, die Zusammenballung höchstbezahlter, eitler und einander nicht grüner Diven namens "Real Madrid" zu schlagen. Wie elf Leute, die zusammenhalten, alle möglichen technischen Defizite kompensieren und fehlende Weltklassespieler ersetzen können, zeigte zuletzt das griechische Team, das bei der Europameisterschaft in Portugal den Titel holte. Der Ruf nach "Mannschaftsgeist" ertönte prompt nach den letzten Freundschaftsspielen: wenn die Abwehr Schwächen zeigt, muss das Mittelfeld eben hinten mithelfen! Woher aber soll der Teamgeist kommen?

Kritische Stimmen beklagten bisher lediglich den verordneten Konkurrenzkampf um die Torwart-Position, nicht aber das Gesamtkonzept. Es scheint, als werde hierzulande nach Vogts und Völler, die eher harmlos deutsche Tugenden verkörperten, eine Modernisierungsstrategie um jeden Preis verfolgt. Das Kompetenzteam aus Klinsmann, Löw und Bierhoff wirkt modern und effizient. So wird die Leistung, die sich wieder lohnen soll, nach streng wissenschaftlichen Kriterien beurteilt: Die Überprüfung der "Laktatwerte" misst das objektive Leistungsniveau der Spieler. Schade nur, dass der "Klinsmann-TÜV" eventuell etwas über Fitness verrät, aber in Sachen Spielkompetenz, Ballgefühl und erst recht über das Zusammenspiel leider so gar nichts aussagt. In diesem Zusammenhang sei an die Europameisterschaft im Jahre 1992 erinnert: die Mannschaft Jugoslawiens wurde kurzfristig wegen des Balkankonfliktes aus dem Turnier ausgeschlossen und die nicht qualifizierten Dänen rückten unvermutet nach. Während alle anderen Mannschaften topfit aus dem Trainingsdrill der Vorbereitungscamps kamen, liefen die dänischen Spieler gut gelaunt und unvorbereitet direkt aus dem Urlaub auf. Diese "Big-Mäc-Truppe" (die Mannschaft soll sich während des Wettbewerbs hauptsächlich von Cola und Burgern ernährt haben) wurde Europameister.

Der Gastgeber der WM ist automatisch qualifiziert. So wird, wie stark oder schwach auch immer, eine deutsche Elf um den Titel mitspielen. Ob allerdings unter dem blödsinnigen WM-Motto "Die Welt zu Gast bei Freunden" 11 Freunde in der Nationalmannschaft spielen werden, fragt sich.


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