Es wird wieder gestreikt in Deutschland. Die Lokführergewerkschaft GDL hat weitere Arbeitsniederlegungen angekündigt, und auch die Piloten sind in Kampflaune und bleiben immer mal wieder auf dem Boden. Das missfällt nicht nur Deutscher Bahn und Lufthansa, sondern auch der gewerkschaftlichen Konkurrenz von EVG und Verdi. Im Hintergrund feilt das Bundesarbeitsministerium an einem Gesetzentwurf, der die Rechte kleiner Gewerkschaften beschneiden soll. Und es gibt einen Krach, über den kaum jemand redet: Derzeit streiten sich IG Metall und Verdi vor einem internen Schiedsgericht des Deutschen Gewerkschaftsbunds. Die Metaller hatten im Sommer beim Airbus-Dienstleister Stute einen Haustarifvertrag durchgesetzt. Die Dienstleistungsgewerkschaft, obwohl sie im Gegensatz zur IG Metall dort kaum Mitglieder hat, will das nicht hinnehmen. Stute gehört zur Logistikbranche, und für die ist im DGB traditionell Verdi zuständig.
Was hat das alles miteinander zu tun? Hier wie dort wird mit dem Grundsatz der Tarifeinheit argumentiert. Pro Betrieb soll nur eine Gewerkschaft etwa über Gehälter verhandeln. Weil man nach deutschem Richterrecht nur streiken darf, wenn man auf einen Tarifvertrag abzielt, dürften die anderen Gewerkschaften in der Konsequenz nicht mehr zum Streik aufrufen.
Die Tarifeinheit wird fast schon mythisch überhöht zur Einheit der Beschäftigten, die es gegen eine „Spaltung“ zu verteidigen gelte. Dabei werden schwere Geschütze aufgefahren, selbst die Niederlage der deutschen Arbeiterbewegung gegen den Faschismus darf als Argument nicht fehlen.
Auch der DGB wirbt weiter für die Tarifeinheit. Es ist ein Missverständnis, dass er seine Haltung zur gesetzlichen Regelung geändert hätte. Zwar beschlossen die Delegierten des DGB-Kongresses im Frühjahr, man lehne „jegliche Eingriffe in die bestehenden Regelungen ab, die das Streikrecht (...) beeinträchtigen“. Die Formulierung klingt gut, tatsächlich handelt es sich um dieselbe Augenwischerei, wie sie die SPD-Bundesarbeitsministerin betreibt: Auch Andrea Nahles will ja kein gesetzliches Streikverbot, sondern nur vorschreiben, dass Minderheitsgewerkschaften keine Tarifverträge mehr abschließen dürfen. Über die Konsequenzen sollen die Arbeitsgerichte entscheiden. Worauf der DGB abzielt, dafür fand dessen Vorsitzender Reiner Hofmann klare Worte: „Wir brauchen eine Stabilisierung der Tarifeinheit. Wenn uns die Große Koalition dabei helfen will, nehmen wir das Angebot zur Hilfe natürlich an.“
Vorgeschobenes Argument
Doch das ist gefährlich. Zwar ist in der Gewerkschaftsbewegung der Ruf nach Einheit aus guten Gründen positiv besetzt. In den aktuellen Auseinandersetzungen dient der Begriff aber eher dazu, die Eigeninteressen der großen Organisationen zu kaschieren, die mit den langfristigen Interessen der Mitglieder und Beschäftigten wenig gemein haben. Der gesetzliche Zwang zur Tarifeinheit, den der DGB gemeinsam mit den Arbeitgebern seit nunmehr viereinhalb Jahren fordert, hatte von Anfang an nur die Ausschaltung der Überbietungskonkurrenz kampfstarker Alternativgewerkschaften zum Ziel. Die Unterbietungskonkurrenz durch Gefälligkeitstarifverträge schwacher oder unternehmerfreundlicher Organisationen – etwa der christlichen Gewerkschaften – stand nie im Fokus.
Transnet, die heutige Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), gehörte im Jahr 2007 zu den ersten Rufern nach einer „Verteidigung der Tarifeinheit“. Der Grund war simpel: Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) hatte die Tarifgemeinschaft mit Transnet und der kleinen Beamtengewerkschaft GDBA verlassen und strebte einen eigenen Tarifvertrag an. Die über Jahre gefahrene Politik der Lohnzurückhaltung und Anpassung an den Privatisierungskurs des Bahnmanagements wollte sie ihren Mitgliedern einfach nicht mehr länger verkaufen. Mit einem ebenso langen wie harten Arbeitskampf setzte sie im Jahr 2008 schließlich ihre Eigenständigkeit durch.
Zwar ist es der Finanzkrise zu verdanken, dass der geplante Börsengang der Bahn nicht stattfand. Dass aber die Bahn nicht schon vorher verkauft wurde, dürfte zum guten Teil aufs Konto der streikenden Lokführer gehen. Nebenbei profitierten auch die Transnet-Mitglieder vom Ergebnis der Konkurrenzgewerkschaft: Unter dem Druck des Überbietungswettbewerbs korrigierte Transnet den Kurs der Lohnzurückhaltung.
Dass das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ bloß vorgeschoben ist, wird daran deutlich, dass der Konzerntarifvertrag, den EVG und Bahn geschlossen haben, nie für alle Mitarbeiter der Deutschen Bahn gedacht war. Für die Beschäftigten der Logistiktochter DB Schenker oder der zur Bahn gehörenden Fernbus- und Nahverkehrsunternehmen führt nicht die EVG, sondern Verdi die Tarifverhandlungen. Es geht dabei um rund 20.000 Beschäftigte – was ziemlich genau der Zahl der in der GDL organisierten Lokführer entspricht. Es ist jedoch nicht bekannt, dass die EVG an diesem Bruch der Tarifeinheit Anstoß genommen hätte.
Selbst in Unternehmen, in denen nur eine Gewerkschaft Tarifverträge abschließt, ist das Prinzip „Ein Betrieb – ein Tarifvertrag“ längst nicht mehr selbstverständlich. Im Zuge von Privatisierungen, Kostensenkungszwang und finanzmarktgetriebenen Unternehmerstrategien sahen sich Gewerkschaften seit Beginn der 90er Jahre immer öfter genötigt, verschiedene Tarifregelungen für Beschäftigte innerhalb eines Betriebs abzuschließen – mit schrittweisen Verschlechterungen: etwas Bestandsschutz für Altbeschäftigte, verschlechterte Bedingungen bei Neueinstellungen und noch niedrigere Standards für Mitarbeiter ausgegliederter Tochtergesellschaften. Beispiele findet man bei ehemaligen Staatskonzernen wie Post und Telekom, in kommunalen Verkehrsbetrieben wie der Berliner BVG, aber auch im Automobilbau.
Auch wenn es für die DGB-Gewerkschaften angesichts der Umstände zweifellos schwierig war, Antworten auf diese Unternehmeroffensiven zu finden: Der Wunsch, ihre einstige faktische Monopolstellung in der Gewerkschaftslandschaft qua Gesetz wiederherzustellen, führt in die Irre.
Neue Angriffe aufs Streikrecht
Als im Juni 2010 der damalige DGB-Chef Michael Sommer zusammen mit dem Arbeitgeberpräsidenten Dieter Hundt vor die Bundespressekonferenz trat, um ein Tarifeinheitsgesetz zu fordern, war das nicht der erste Versuch, im Verbund mit den Arbeitgebern der kleinen kämpferischen Konkurrenz das Streikrecht streitig zu machen. Bereits 2005 hatte Verdi gemeinsam mit der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände und der Flughafen Frankfurt-Hahn GmbH vor dem Arbeitsgericht Offenbach geklagt – mit dem Ziel, der Fluglotsengewerkschaft GdF die Tariffähigkeit absprechen zu lassen. Die Klage wurde jedoch abgewiesen. Interessant ist, dass die GdF überhaupt erst eigene Tarifforderungen stellte, nachdem Verdi in mehreren Tarifrunden ohne Not deutliche Verschlechterungen für die Fluglotsen akzeptiert hatte.
Die grundgesetzlich garantierte Koalitionsfreiheit beinhaltet nach vorherrschender Rechtsauffassung grundsätzlich auch das Streikrecht. Bundesarbeitsministerin Nahles hat also die undankbare Aufgabe, eine Quadratur des Kreises zu versuchen: die Streikmöglichkeit der kleinen Spartengewerkschaften einzuschränken, ohne ihre verfassungsmäßigen Rechte zu verletzen. Das ist schwer bis unmöglich, meinen Juristen und auch der Sachverständigenrat der Bundesregierung.
Daher wird das Gesetz wohl entweder harmlos bleiben oder vor dem Bundesverfassungsgericht scheitern. Die Folge dürften jedoch neue Versuche sein, das Streikrecht einzuschränken. Entsprechende Vorstöße gibt es schon lange, vor allem aus den Unternehmen Bahn und Lufthansa. Hier ist nicht mehr von Tarifeinheit die Rede, sondern von Zwangsschlichtungen, „Cool down“-Phasen im Arbeitskampf, Begrenzung der Verhandlungsdauer und Streikverboten bei Gefährdung des „Gemeinwohls“. Auf diese Angriffe sollten Gewerkschafter eine klare Antwort finden, anstatt zweifelhafte Vereinbarungen mit den Arbeitgebern zu zelebrieren.
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